Gesetzgebung

BVerfG: Festsetzung von Abgaben zum Vorteilsausgleich zeitlich nur begrenzt zulässig – Vorschrift des BayKAG verfassungswidrig

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Uhren-Serie: Paragrafenzeichen & UhrDas Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 05.03.2013 eine Vorschrift des bayerischen Kommunalabgabengesetzes (KAG) für unvereinbar mit dem Grundgesetz (GG) erklärt und die Nichtigkeit der betreffenden Vorschrift angeordnet, wenn nicht der bayerische Gesetzgeber bis zum 01.04.2014 eine verfassungsgemäße Neuregelung trifft. Die Unvereinbarkeitserklärung hat zur Folge, dass die betreffende Vorschrift von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf. Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen die Vorschrift entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens aber bis zum 01.04.2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen.

Bei der betroffenen Vorschrift handelt es sich um Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b) Doppelbuchstabe cc) Spiegelstrich 2 KAG. Diese verstößt nach Auffassung des BVerfG gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit:

Nach dem bayerischen Landesrecht betrage die Frist, in der kommunale Beiträge festgesetzt werden dürften, vier Jahre. Im Regelfall beginne diese Frist mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Beitragspflicht entstanden sei. Das KAG verweise in dem Zusammenhang weitgehend auf die Abgabenordnung (AO) des Bundes. Artikel 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b) Doppelbuchstabe cc) Spieglestrich 2 KAG treffe jedoch eine Sonderregelung für den Fall einer ungültigen Beitragssatzung – in diesem Fall beginne die Frist erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

Hierdurch werde der Verjährungsbeginn ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschoben (nämlich so lange, bis eine gültige Satzung erlassen worden ist). Das lasse die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, eine gewisse Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt und verstoße daher gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

Dem Beschluss des BVerfG liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Gemeinde fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war. Für die ausgebaute Dachgeschossfläche zog sie den Beschwerdeführer allerdings erst mit Nacherhebungsbescheid vom 05.04.2004 zu einem Kanalherstellungsbeitrag heran. Grundlage hierfür war eine Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 05.05.2000, die die Gemeinde zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 01.04.1995 in Kraft gesetzt hatte. Während des Widerspruchsverfahrens erwies sich auch diese Satzung als unwirksam. Die Gemeinde erließ daraufhin eine neue Satzung und setzte sie rückwirkend zum 01.04.1995 in Kraft. Die neue Satzung wurde am 26.04.2005 im Amtsblatt der Gemeinde bekanntgemacht.

Das BVerfG hat folgenden Leitsatz formuliert:

Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

BVerfG, B. v. 05.03.2013, 1 BvR 2457/08

Ass. iur. Klaus Kohnen; Abbildung: (c) bluedesign – Fotolia.com

Net-Dokument BayRVR2013030501