Aktuelles

BVerwG: Verwendungsverbot für Grabmale aus ausbeuterischer Kinderarbeit in städtischer Friedhofssatzung

©pixelkorn - stock.adobe.com

Grabmal - aus ausbeuterischer Kinderarbeit?Das BVerwG hat entschieden, dass die Bestimmung in der Friedhofssatzung der Stadt Nürnberg, derzufolge Grabmale „nachweislich in der gesamten Wertschöpfungskette ohne ausbeuterische Kinderarbeit“ hergestellt worden sein müssen, gegen höherrangiges Recht verstößt.

Die Antragstellerin (Ast.) – ein örtlicher Steinmetzbetrieb – begehrt mit ihrem Normenkontrollantrag, diese Satzungsbestimmung für unwirksam zu erklären. Der BayVGH hatte dem Normenkontrollantrag zunächst stattgegeben. Der BayVerfGH hatte diese Entscheidung aufgehoben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Urteil vom 06.07.2012 hat der BayVGH daraufhin den Normenkontrollantrag abgelehnt.

Das BVerwG hat das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs geändert und § 28 Abs. 2 der Bestattungs- und Friedhofssatzung (BFS) der Antragsgegnerin für unwirksam erklärt.

Der Verwaltungsgerichtshof war in Auslegung und Anwendung von Landesrecht davon ausgegangen, dass Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 der Bayerischen Gemeindeordnung die Gemeinden und Städte ermächtigt, in Satzungen die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen und damit auch die Friedhofsnutzung zu regeln. Der sachliche Zusammenhang mit dem Friedhofszweck und auch der spezifisch örtliche Bezug seien in rechtlich einwandfreier Weise hergestellt, da es im Interesse der Würde des Ortes der Totenbestattung liegen könne, dass dort keine Grabmale aufgestellt werden, deren Material in einem weltweit geächteten Herstellungsprozess gewonnen worden ist. Die bundesverfassungsgerichtliche Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG steht einer solchen Auslegung der Bayerischen Gemeindeordnung nicht entgegen. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sichert den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich sowie die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich zu. Das schließt indes nicht aus, dass der Gesetzgeber den Gemeinden darüber hinausgehende Aufgaben zuweist.

Die angegriffene Satzungsbestimmung schränkt jedoch die Berufsausübung von Steinmetzen ein. Die Verwendung von Grabmalen auszuschließen, die unter ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt wurden, ist ein verfassungsrechtlich legitimer Zweck. Den Steinmetzen den dahingehenden Nachweis aufzubürden, beeinträchtigt deren Berufsausübungsfreiheit unzumutbar, solange nicht zugleich bestimmt wird, wie dieser Nachweis geführt werden kann. Außerdem erlaubt Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG Eingriffe in die Berufsfreiheit nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lässt. Dabei muss der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Entscheidungen treffen. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 der Gemeindeordnung sowie Art. 8 und 9 des Bayerischen Bestattungsgesetzes reichen dafür nicht aus.

Auszug aus der Bestattungs- und Friedhofssatzung der Stadt Nürnberg (BFS)

§ 28 – Grabmale

[…]

(2) Es dürfen nur Grabmale aufgestellt werden, die nachweislich in der gesamten Wertschöpfungskette ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne des Übereinkommens über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO-Konvention 182), in Kraft getreten am 19. November 2000, hergestellt wurden.

BVerwG, Pressemitteilung v. 16.10.2013 zum U. v. 16.10.2013, 8 CN 1.12

 

Redaktionelle Anmerkung

Das Urteil des BVerwG ist die fünfte Entscheidung in dieser Sache. Der Verlauf des Rechtsstreits lässt sich wie folgt zusammenfassen:

BayVGH, B. v. 27.07.2009, 4 N 09.1300. Der BayVGH hatte dem Normenkontrollantrag eines Steinmetzbetriebs gegen die fragliche Satzungsbestimmung der Stadt Nürnberg zunächst stattgegeben: Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO komme als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht: Die Satzungsbestimmung betreffe nicht die Nutzung des Friedhofs, sondern eine gewerbliche Tätigkeit im Vorfeld der Friedhofsnutzung – sie verfolge daher einrichtungsfremde Zwecke (Bekämpfung der Kinderarbeit weltweit); somit beziehe sich die Satzungsbestimmung auch nicht auf eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, sondern diene der Umsetzung eines weltweiten politischen Anliegens (Bekämpfung der Kinderarbeit), das keinen spezifisch örtlichen Bezug aufweise. Der BayVGH hatte die Revision nicht zugelassen.

BVerwG, B. v. 07.01.2010, 7 BN 2.09. Das BVerwG wies die Nichtzulassungsbeschwerde zurück.

BayVerfGH, E. v. 07.10.2011, Vf. 32-VI-10. Auf die Verfassungsbeschwerde der Stadt Nürnberg hin hob der BayVerfGH den Beschluss des BayVGH auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an den BayVGH zurück. Der BayVerfGH kritisierte, dass der BayVGH in seiner Entscheidung der Bedeutung des Selbstverwaltungsrechts der Bf. (Stadt Nürnberg) nicht gerecht werde: Das Aufstellungsverbot von Grabmalen aus ausbeuterischer Kinderarbeit mag einrichtungsfremde Zwecke verfolgen, liege aber auch im Rechtskreis der Totenbestattung. Die eigenen Angelegenheiten der Gemeinden und gesamtstaatliche Aufgaben oder Belange berührten sich vielfach. Deshalb reiche allein die Feststellung, das Verbot der Verwendung nicht nachweislich ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellter Grabmale entspreche einem weltweiten politischen Anliegen, von vornherein nicht aus, um zu begründen, die Regelung liege nicht mehr im Rechtskreis der Totenbestattung im Sinn des Art. 83 Abs. 1 BV und damit auch nicht im Rechtskreis des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts. Verfassungsrechtlich tragfähig sei diese Annahme nur dann, wenn gesagt werden könne, der Regelung fehle zugleich der spezifisch örtliche Bezug. Doch auch der spezifisch örtliche Bezug ist nach Auffassung des BayVerfGH gegeben und wird über Art. 149 Abs. 1 Satz 1 BV vermittelt: Nach Art. 149 Abs. 1 Satz 1 BV haben die Gemeinden dafür zu sorgen, dass jeder Verstorbene schicklich beerdigt werden kann. Art. 8 Abs. 1 BestG führt dazu näher aus, Friedhöfe seien den Verstorbenen als würdige Ruhestätte und der Pflege ihres Andenkens gewidmet. Welche Benutzungsregelungen die Gemeinde in einer Friedhofssatzung trifft, um diesen Anforderungen Genüge zu tun, liege grundsätzlich in ihrem weiten normativen Ermessen. Es sei weder sachfremd noch willkürlich und bewege sich innerhalb des gemeindlichen normativen Einschätzungsspielraums, wenn die Bf. davon ausgehe, dass es im Interesse der Würde des Ortes der Totenbestattung liegen kann, dass dort keine Grabsteine aufgestellt werden, deren Material in einem weltweit geächteten Herstellungsprozess durch „schlimmste Formen der Kinderarbeit“ gewonnen worden ist. Diese Entscheidung war innerhalb des BayVerfGH nicht unumstritten: Zwei Mitglieder legten ein Sondervotum zu den Akten, in dem sie deutliche Kritik an der Mehrheitsmeinung formulierten und in der Entscheidung des BayVGH keinen Verstoß gegen das verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltungsrecht erblickten.

BayVGH, U. v. 06.07.2012, 4 N 11.2673. Im Rahmen der Zurückverweisung durch den BayVerfGH hatte sich der BayVGH erneut mit der Sache zu befassen. Von der Argumentation des Verfassungsgerichtshofs nicht überzeugt, aber in der Sache an die Entscheidung des BayVerfGH gebunden (Art. 29 VerfGHG) – dieser Hinweis fehlt freilich nicht – lehnte er den Normenkontrollantrag nunmehr ab: Der angegriffenen Satzungsbestimmung könne nicht mehr entgegengehalten werden, der Antragsgegnerin mangele es an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO ermächtige die Gemeinden, in Satzungen die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen zu regeln. Nach der Auffassung des BayVerfGH sei hier der sachliche Zusammenhang mit dem Friedhofszweck und damit auch der spezifisch örtliche Bezug in rechtlich einwandfreier Weise hergestellt. Der BayVGH hatte die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

BVerwG, U. v. 16.10.2013, 8 CN 1.12. Das BVerwG erklärt § 28 Abs. 2 BFS nunmehr wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht für unwirksam: Art. 24 Abs. 1 Satz 1 GO und Art. 8 und 9 BestG seien keine wirksamen Ermächtigungsgrundlagen. Dies allerdings wegen Verstoßes gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes wegen Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit von Steinmetzen; im Hinblick auf die Auslegung durch BayVerfGH und BayVGH, dass § 28 Abs. 2 BFS sich im Rahmen der von Art. 24 Abs. 1 Satz 1 geforderten Zweckbestimmung halte und auch einen örtlichen Bezug aufweise, stellt das BVerwG nur fest, dass darin jedenfalls kein Verstoß gegen das kommunale Selbstverwaltungsrecht des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gesehen werden könne.

Ass. iur. Klaus Kohnen; Foto: (c) PackShot – Fotolia.com 

Net-Dokument BayRVR2013101601

Update vom 19.12.2013

Am 18.12.2013 hat das BVerwG den Volltext der Entscheidung veröffentlicht. Es hat die folgenden Leitsätze formuliert:

  1. Die Regelung in einer städtischen Friedhofssatzung, nach der nur Grabmale aufgestellt werden dürfen, die nachweislich in der gesamten Wertschöpfungskette ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der ILO-Konvention 182 hergestellt wurden, stellt eine Benutzungsregelung des kommunalen Friedhofs dar.
  2. Es verletzt das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit und hinreichenden Bestimmtheit, wenn für den Normbetroffenen nicht im Voraus erkennbar ist, welche Nachweise zum Beleg dafür, dass die Grabmale nicht aus ausbeuterischer Kinderarbeit herrühren, anerkannt werden.
  3. Die den Kommunen eingeräumte allgemeine Satzungsbefugnis sowie die Befugnis, die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen zu regeln, stellen keine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage dar, um einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Steinmetze zu rechtfertigen.

Ass. iur. Klaus Kohnen