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Akteneinsicht und Informationszugang – Transparenz 2.0

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Dr. Thomas Troidlvon Dr. Thomas Troidl, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Regensburg

– Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, den der Verfasser für Transparency International, Regionalgruppe Metropolregion Nürnberg, am 11.11.2013 gehalten hat; die Vortragsform wurde beibehalten –

1. Einführung und Überblick

a) Knowledge is Power

Wissen ist Macht, Macht führt zu (Herrschafts-)Wissen. Jeder Bürger, der gewollt oder ungewollt mit staatlicher Hoheitsgewalt zu tun hat, will dieses Wissen teilen – und sei es nur, um seiner (informations-)gesellschaftlichen Verantwortung zu genügen, den Staat seinerseits zu kontrollieren – Demokratie durch Wissen für alle.

Doch leider ist der europaweite Trend zu mehr Transparenz noch lange nicht in allen Bundesländern angekommen. So gibt es in Deutschland inzwischen zwar sage und schreibe 30 Informationszugangsgesetze (17 Umweltinformationsgesetze [UIG], 12 Informationsfreiheitsgesetze [IFG] und ein Verbraucherinformationsgesetz [VIG]), ganz abgesehen vom „klassischen“ Recht auf Akteneinsicht nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen (VwVfG) des Bundes und der Länder. In Bayern und vier anderen Bundesländern muss man auf ein Landes-IFG aber immer noch warten, derweil kommunale Informationsfreiheitssatzungen aus dem Boden sprießen, von denen es allein in Bayern bereits über 50 gibt.

b) (Verfahrens-)Rollen und Grundrechtspositionen

Drei grundsätzliche Konstellationen sind denkbar, in denen der Bürger grundlegend und grundrechtsbetroffen auf Akteneinsicht und Informationszugang angewiesen ist.

aa) Passive Sonder(rechts)beziehung („Opferrolle“)

Der Staat greift in den Lebensbereich seiner Bürger ein, sei es auch nur durch die Speicherung von Daten (z.B. durch eine Observation). Aus der Menschenwürde, dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, der Rechtsweggarantie und dem Gebot effektiven Rechtschutzes folgt in diesem Fall, dass der Bürger wissen (können) muss, was der Staat über ihn weiß. Akteneinsicht ist hier, bildlich gesprochen, ein Abwehrschild gegen übermäßige staatliche Eingriffe.

bb) Aktive Sonder(rechts)beziehung (Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess)

Der Bürger will etwas vom Staat, stellt einen Antrag (z.B. auf Baugenehmigung) und leitet damit ein Verwaltungsverfahren i.S.d. § 9 VwVfG ein. Sowohl der Anspruch auf rechtliches Gehör als auch das Rechtsstaatsprinzip und das Recht auf ein faires Verfahren bedingen in diesem Fall gleichen Wissensstand zwischen Bürger und Behörde. Akteneinsicht (gemäß § 29 VwVfG) ist hier ein Mittel zur Herstellung von informationeller Waffengleichheit.

cc) Keine Sonder(rechts)beziehung („Nullposition“)

Grundrechtlich ein „blinder Fleck“, solange keine allgemein zugänglichen Quellen vorliegen, die den Schutzbereich der Informationsfreiheit ( Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG) eröffnen; gleichwohl streiten das Demokratieprinzip („freedom of information“) und das Transparenzgebot („Öffentlichkeit der Verwaltung“) für Informationszugang, der hier als Lupe, Scheinwerfer, Fernglas, Nachtsichtgerät oder sogar Röntgenapparat umschrieben werden könnte. Auf diesen Prinzipien beruhen die Ansprüche auf Informationszugang nach UIG, VIG und IFG, neben denen das (Auffang-)Recht der allgemeinen Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen nicht unterschätzt werden sollte.

2. Übersicht zu den Anspruchsgrundlagen

a) § 29 VwVfG (Verwaltungsverfahrensgesetz)

Gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG (und den entsprechenden, mehr oder minder gleichlautenden Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder) hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Eingeführt wurde dieser gebundene Anspruch auf Akteneinsicht mit dem VwVfG 1976.

b) § 3 UIG (Umweltinformationsgesetz)

Demgegenüber hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 UIG grundsätzlich jede Person Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen, über die eine informationspflichtige Stelle i.S.d. § 2 Abs. 1 UIG verfügt, ohne ein rechtliches Interesse darlegen zu müssen. Der Zugang kann nach Maßgabe von § 3 Abs. 2 UIG durch Auskunftserteilung, Gewährung von Akteneinsicht oder in sonstiger Weise eröffnet werden. Wird eine bestimmte Art des Informationszugangs beantragt, so darf dieser nur aus gewichtigen Gründen auf andere Art eröffnet werden. Als gewichtiger Grund gilt insbesondere ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand.

Inzwischen gibt es in allen Bundesländern entsprechende Gesetze, die eine vergleichbare Rechtslage begründen. Dies liegt daran, dass sowohl das UIG des Bundes von 2004 als auch jene der Länder eine Richtlinie der Europäischen Union umgesetzt haben, die Umweltinformationsrichtlinie von 2003. Diese beruht ihrerseits auf einem Übereinkommen des Europarats, der sog. Aarhus-Konvention von 1998.

c) § 2 VIG (Verbraucherinformationsgesetz)

Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VIG hat grundsätzlich jeder Anspruch auf freien Zugang zu allen Daten über nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen (u.a.) des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches und des Produktsicherheitsgesetzes, welche die nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stellen festgestellt haben, sowie im Zusammenhang damit getroffene Maßnahmen und Entscheidungen. Die im Jahr 2008 eingeführte Vorschrift geht auf die zahlreichen Lebensmittelskandale (BSE, Gammelfleisch, Dioxin) zurück; ihr Anwendungsbereich ist seit der Neufassung von 2012 aber nicht (mehr) auf Lebensmittel, Futtermittel und Bedarfsgegenstände wie Kleidung, Reinigungsmittel oder Spielwaren beschränkt, sondern auf technische Verbraucherprodukte wie Haushaltsgeräte, Heimwerkerartikel oder Möbel ausgedehnt worden.

d) § 1 IFG (Informationsfreiheitsgesetz) und kommunale Satzungen

Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen überhaupt hat schließlich jeder nach Maßgabe des im Jahr 2005 in Kraft getretenen Informationsfreiheitsgesetzes, allerdings nur gegenüber den Behörden des Bundes (§ 1 Abs. 1 S. 1 IFG). Wie § 1 Abs. 2 IFG zeigt, kann die Behörde auch hier Auskunft erteilen, Akteneinsicht gewähren oder Informationen in sonstiger Weise zur Verfügung stellen. Begehrt der Antragsteller eine bestimmte Art des Informationszugangs, so darf dieser nur aus wichtigem Grund auf andere Art gewährt werden. Als wichtiger Grund gilt – wie nach § 3 Abs. 2 S. 3 UIG – insbesondere ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand.

Neben dem Bund haben elf Länder ähnliche Informationszugangsgesetze in Kraft gesetzt, fünf Bundesländer aber nach wie vor nicht: Bayern und Baden-Württemberg, Sachsen und Niedersachsen sowie Hessen. Stattdessen haben sich zum Teil kommunale Informationsfreiheitssatzungen (IFS) entwickelt, von denen es allein in Bayern schon über 50 gibt. Diese stehen allerdings sowohl mit ihrem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich als auch hinsichtlich der Anspruchsschranken so weit hinter den Landesgesetzen der übrigen Bundesländer zurück, dass sie nicht als hinreichende Kompensation angesehen werden können, sondern eher als juristische Ersatzbefriedigung mit immerhin politischer Signalwirkung.

So steht der Anspruch nach § 1 Abs. 1 der Regensburger IFS respektive der Nürnberger IFS (vom 21.03.2011 bzw. 21.07.2011) nur den Einwohnern dieser Städte zu; betroffen sind gemäß § 1 Abs. 2 IFS (jeweils) ausschließlich Informationen in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises. Darüber hinaus besteht der Anspruch (jeweils) § 6 Abs. 1 IFS zufolge nicht, soweit einem Bekanntwerden der Informationen Rücksichten auf das Wohl der Allgemeinheit entgegenstehen – ein denkbar weit gefasster Begriff. Laut § 6 Abs. 2 Nr. 5 IFS (Regensburg, fast wortgleich Nürnberg) besteht der Anspruch insbesondere nicht, wenn „die Preisgabe der Informationen […] den behördlichen Entscheidungsbildungsprozess gefährden könnte“.

e) Ermessen (Treu und Glauben)

Führen auch die Informationszugangsrechte neuerer Prägung nicht zum Ziel, bleibt nur das „allgemeine Akteneinsichtsrecht“ nach pflichtgemäßem Ermessen (Treu und Glauben). Hiernach kann die Akteneinsicht auch Dritten gewährt werden, die am Verfahren nicht beteiligt sind oder – erst recht – nicht mehr beteiligt sind, weil das Verfahren inzwischen abgeschlossen ist, sofern kein Geheimhaltungsbedürfnis (§ 30 VwVfG) entgegensteht. Ein Recht auf Akteneinsicht kann sich z.B. daraus ergeben, dass es einem eigenen gewichtigen Interesse entspricht, das auf andere Weise nicht zu befriedigen ist, z.B. als Voraussetzung für eine wirksame Rechtsverfolgung.

3. Klassische Probleme und Strategien

a) Akteneinsicht durch Beteiligte

Gemäß § 29 VwVfG hat der an (s)einem Verfahren Beteiligte (zum Begriff: § 13 VwVfG) einen gebundenen, d.h. dem Grunde nach nicht von behördlichem Ermessen abhängigen Anspruch auf Akteneinsicht.

Allerdings lässt sich dieser Anspruch grundsätzlich nicht einklagen. Nach § 44a VwGO können Rechtsbehelfe „gegen“ behördliche Verfahrenshandlungen (hier die Verpflichtungsklage auf Gewährung der Akteneinsicht) nämlich nur geltend gemacht werden, wenn sie sich gleichzeitig gegen die Sachentscheidung richten.

b) Verfahren

§ 44a VwGO steht jedoch nicht entgegen, wenn es nicht um das eigene Verwaltungsverfahren geht, sondern um ein fremdes (eines anderen Antragstellers) oder zwar ein eigenes Verfahren in Rede steht, dieses aber bereits abgeschlossen ist. Im ersten Fall kann entweder ein Antrag auf Hinzuziehung zum Verfahren oder unmittelbar auf Akteneinsicht gestellt werden – isolierter Rechtsschutz folgt jeweils daraus, dass die Verfahrenshandlung der Behörde (Verweigerung der Akteneinsicht bzw. Hinzuziehung) gegen einen Nichtbeteiligten ergeht (§ 44a S. 2 Fall 2 VwGO).

Im zweiten Fall ergibt sich zwar (mangels Verfahrens) kein Anspruch mehr aus § 29 VwVfG, aber immer noch aus dem „allgemeinen“ Recht auf Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen (Treu und Glauben); auch für diesen ist isolierter Rechtsschutz bei einer „neuen“ Aktenbitte (Antrag nach Verfahrensabschluss) anerkannt.

c) Berechtigtes Interesse

Gibt oder gab es demgegenüber gar kein Verfahren, kommen zum einen die Ansprüche nach UIG, VIG und IFG infrage; auch und gerade für diese ist isolierter Rechtsschutz eröffnet, da es bei der hiernach beantragten Akteneinsicht nicht um eine „Nebensache“ in einem ohnehin anhängigen Verfahren geht, sondern um die „Hauptsache“: den Informationszugang selbst.

Zum anderen (vor allem wenn weder Umwelt- noch Verbraucherinformationen in Rede stehen und auch kein Landes-IFG vorliegt) bleibt schließlich der Anspruch auf Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen (Treu und Glauben), der auch ohne Anhängigkeit eines Verfahrens selbständig eingeklagt werden kann.

4. Informationsquellen und Informationszugangsrechte

Wie sich hier bereits abzeichnet, ist das Recht des Informationszugangs in Deutschland nicht gerade einfach gestrickt. Zumal es zahlreiche besondere Informationsquellen und -rechte gibt. Hervorgehoben seien Wasserbuch (Altrechte, Überschwemmungs- und Wasserschutzgebiete), Liegenschaftskataster (Abmarkungen), Altlastenatlas und -kataster sowie das Bodeninformationssystem, das Bundesarchiv und staatliche Archive (Archivgut und formeller Bestandsschutz), das Unternehmensregister (Bilanz), die ECHA (chemische Stoffe), die Denkmalliste, das Grundbuch (Geh- und Fahrtrecht, Leitungsrecht), die Handwerksrolle sowie das Straßen- und Bestandsverzeichnis (Widmung). Ergänzend und ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei auf Bundeszentral- (Führungszeugnis), Fahrerlaubnis-, Fahrzeug- (Halterdaten), Melde- (Wohndauer), Standort- (Gentechnik-Pflanzen) und Verkehrszentralregister (Punkte) hingewiesen.

5. Ausblick

a) Vergleich der Informationszugangsrechte

Die verschiedenen Ansprüche ebenso wie ihre Schranken leiten sich aus den (Verfahrens-)Rollen der (Nicht-)Beteiligten und den hierdurch vermittelten Grundrechtspositionen ab. So viele Probleme der Anspruch nach § 29 VwVfG klassischerweise auch mit sich bringt, so wenig lässt er sich, wenn seine Voraussetzungen vorliegen, einschränken. Seine Ausnahmetatbestände sind eng auszulegen.

Unter den drei Informationszugangsgesetzen jüngerer Prägung enthält wohl das europa- und unionsrechtlich geprägte UIG die weitreichendsten und bürgerfreundlichsten Zugangsrechte sowie die umfassendsten aktiven Informationspflichten. Insbesondere schützt § 9 UIG Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse partiell gar nicht (wenn sich der Antrag auf Informationen über Emissionen in die Umwelt bezieht, Abs. 1 S. 2) und im Übrigen nur relativ (durch Abwägung überwindbar). Demgegenüber ist der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im IFG absolut (abwägungsfest) ausgestaltet (§ 6 IFG); das Gleiche gilt für den Schutz (besonderer) öffentlicher Belange (vgl. § 8 UIG einerseits und § 3 IFG andererseits).

Das VIG hat insofern aufgeholt, als es sowohl für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als auch für den Ablehnungsgrund der Anhängigkeit bestimmter Verfahren nunmehr ebenfalls eine Abwägungsklausel vorsieht und den Zugang zu Informationen über nicht zulässige Abweichungen erleichtert. Ob sich hierin eine Tendenz des Gesetzgebers hin zu mehr Informationszugang zeigt, bleibt freilich abzuwarten.

b) Ausgangszustandsbericht

Und es bleibt spannend. Aktuell hat ein Antragsteller, der eine Anlage nach der Industrieemissions-Richtlinie betreiben will, in der relevante gefährliche Stoffe verwendet, erzeugt oder freigesetzt werden, mit den Genehmigungsunterlagen einen Bericht über den Ausgangszustand vorzulegen, wenn und soweit eine Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers auf dem Anlagengrundstück möglich ist (§ 10 Abs. 1a BImSchG). Es erscheint nicht verfehlt, alle (!) Daten über diesen Ausgangszustandsbericht als Umweltinformationen zu qualifizieren (§ 2 Abs. 3 Nr. 4 UIG). Und wie bereits angedeutet kann der Zugang zu Umweltinformationen über Emissionen nicht unter Berufung auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse abgelehnt werden (§ 9 Abs. 1 S. 2 UIG).

 

Anmerkung der Redaktion

Dr. Thomas Troidl ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht sowie Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. Er ist Gründungsmitglied und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein – Landesgruppe Bayern – und Lehrbeauftragter an der Bayerischen Verwaltungsschule. Vor kurzem ist sein Werk „Akteneinsicht im Verwaltungsrecht – Informationszugang gemäß VwVfG, VwGO, UIG, VIG, IFG u.a.“ im Verlag C.H.Beck erschienen.

 

Net-Dokument BayRVR2013112501