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BayVGH: Gewerkschaften können gegen Sonntagsöffnung gerichtlich vorgehen

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Ortsschild Verkaufsoffener SonntagDem Verfahren liegt die Rechtsverordnung zur Freigabe verkaufsoffener Sonn- und Feiertage aus Anlass von Märkten der Gemeinde Eching vom 11.03.2013 zugrunde. Diese Rechtsverordnung war bereits Gegenstand eines früheren Verfahrens vor dem BayVGH (B. v. 08.04.2013, 22 NE 13.659): Die Antragstellerin, eine Gewerkschaft, hatte beantragt, die Verordnung im Wege der einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Vollzug zu setzen, so dass die für den 14.04.2013 vorgesehene Sonntagsöffnung nicht hätte stattfinden können. Dem hatte der BayVGH nicht stattgegeben: Die Prüfung der Voraussetzungen des Ladenschlussgesetzes habe ergeben, dass die streitige Verordnung hiergegen nicht offensichtlich verstoße; die im einstweiligen Rechtsschutz gebotene Interessenabwägung falle zugunsten der Gemeinde aus.

Im vorliegenden Verfahren (BayVGH, U. v. 06.12.2013, 22 N 13.788) griff die Gewerkschaft die bezeichnete Verordnung nun im Wege der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 VwGO an. Die Zulässigkeit des Antrags wurde vom BayVGH bejaht: Die Gewerkschaft sei antragsbefugt und sie habe trotz der Tatsache, dass sich die Verordnung durch Zeitablauf erledigt habe (die Verordnung betraf nur die Sonntagsöffnung am 14.04.2013) ein Feststellungsinteresse an der Unwirksamkeit der Norm; dieses Interesse ergebe sich bereits aus der Tatsache, dass auch künftig mit dem Erlass von auf § 14 Abs. 1 Satz 2 LadSchlG gestützten Verordnungen durch die Antragsgegnerin (Gemeinde) gerechnet werden müsse, falls eine Entscheidung des BayVGH unterbliebe.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Leitsätze des BayVGH

Der BayVGH hat folgende Leitsätze formuliert:

1. Eine Gewerkschaft ist befugt, eine Rechtsverordnung, die ein Offenhalten von Verkaufsstellen an einem Sonn- oder Feiertag zulässt, zum Gegenstand eines Antrags nach § 47 Abs. 1 VwGO zu machen, sofern sie in dem Bereich, in dem sich die Sonn- oder Feiertagsöffnung räumlich auswirkt, über Mitglieder verfügt und sie dort an Sonn- oder Feiertagen satzungsgemäße Aktivitäten entfaltet.

2. Stimmt der ausgefertigte oder der bekanntgemachte Text einer Rechtsnorm mit dem Wortlaut, den das körperschaftsintern für den Normerlass zuständige Kollegialorgan beschlossen hat, nicht überein, so zieht das nur dann nicht die Ungültigkeit der Norm nach sich, wenn die Abweichung den materiellen Normgehalt unangetastet lässt. Dies ist bereits dann nicht der Fall, wenn der ausgefertigte oder der bekanntgemachte Text andere Auslegungsmöglichkeiten eröffnet als der vom zuständigen Kollegialorgan beschlossene Wortlaut.

3. Bei einer erstmals durchgeführten Veranstaltung, die gemäß § 14 Abs. 1 LadSchlG zum Anlass für die Gestattung einer Sonn- oder Feiertagsöffnung von Verkaufsstellen genommen wird, muss die zuständige Behörde eine rechtskonforme, insbesondere realistische und auf das äußere Erscheinungsbild sowie das objektive Gewicht der Veranstaltung gestützte Prognose darüber anstellen, ob diese Veranstaltung so attraktiv sein wird, dass sie selbst, nicht aber das Offenhalten von Verkaufsstellen den hauptsächlichen Grund für den Aufenthalt von Besuchern im räumlichen Auswirkungsbereich der Veranstaltung darstellen wird.

4. § 69 Abs. 1 Satz 1 GewO gestattet eine Festsetzung von Veranstaltungen im Sinn der §§ 64 bis 68 GewO auf nicht durchgängig zusammenhängenden Flächen allenfalls dann, wenn hierdurch die von § 69 Abs. 1 Satz 1 GewO verfolgten Ziele nicht gefährdet werden.

Hinweise der Landesanwaltschaft Bayern

Die Landesanwaltschaft hat zu dem Urteil folgende Hinweise veröffentlicht:

Der BayVGH hat die Verordnung der Gemeinde Eching zur Freigabe verkaufsoffener Sonn- und Feiertage aus Anlass von Märkten vom 11.03.2013 für unwirksam erklärt. Gegen die Verordnung hatte die Gewerkschaft ver.di einen Normenkontrollantrag gemäß § 47 VwGO gestellt und geltend gemacht, dass sie in ihrer grundrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit beeinträchtigt werde, da die einheitliche Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen eine Rahmenbedingung für das Wirken von Gewerkschaften darstelle. Der BayVGH gab dem Antrag statt. Die Möglichkeit, dass die Grundrechte der Gewerkschaft nach Art. 9 Abs. 1 und 3 GG verletzt werden, folge dabei nicht in erster Linie aus dem Umstand, dass ein Offenhalten von Verkaufsstellen an Sonntagen geeignet sein kann, den Kreis der Personen zu verkleinern, die sich an am gleichen Tag stattfindenden gewerkschaftlichen Aktivitäten beteiligen können oder wollen. Die Träger derjenigen Grundrechte, denen ein Anspruch auf Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe durch die öffentliche Gewalt zusteht, könnten vielmehr bereits dadurch in ihren Rechten betroffen sein, dass durch die in Rede stehende Ladenöffnung der Charakter der Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe verändert werde.

Konkret litt die angegriffene Verordnung der Gemeinde Eching bereits an einem formellen Mangel, da der vom Gemeinderat beschlossene Wortlaut nicht mit dem ausgefertigten und bekanntgemachten Wortlaut übereinstimmte. Wie der BayVGH darüber hinaus klarstellte, stand die Verordnung aber auch nicht mit § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG in Einklang, da die Gemeinde keine rechtskonforme Prognose darüber angestellt hatte, dass der von ihr am 14.03.2013 erstmals veranstaltete Frühlingsmarkt eine derart große Anziehungskraft besitzt, dass „aus Anlass des Marktes“ eine Öffnung von Ladengeschäften gerechtfertigt erscheint. Zudem fehlte es an dem erforderlichen räumlichen Zusammenhang der festgesetzten Marktfläche.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob eine Gewerkschaft befugt ist, eine Verordnung, die das Offenhalten von Verkaufsstellen an einem Sonn- oder Feiertag erlaubt, mit einem Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO anzugreifen, wurde die Revision zugelassen.

Wesentliche Erwägungen des BayVGH

Aus Gründen der Übersichtlichkeit (das Urteil umfasst über 30 DIN A4-Seiten) sollen zwei zentrale Aspekte herausgegriffen werden: Die Antragsbefugnis der Gewerkschaft sowie die Erfordernisse, die das materielle Recht an eine Sonntagsöffnung stellt (§ 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG), insbesondere das Tatbestandsmerkmal „aus Anlass des Marktes“ und die hiernach geforderte Prognose, dass der Markt die Leute anzieht und nicht die Ladenöffnung.

1. Antragsbefugnis der Gewerkschaft

Die Antragsbefugnis ist nach Auffassung des BayVGH gegeben.

Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO liegen vor, wenn der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die zur Überprüfung gestellte Norm in einem subjektiven Recht verletzt wird.

Möglicherweise verletzte Rechte: Grundrechte aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG in ihrer durch Art. 139 WRV i.V.m. Art. 140 GG näher bestimmten Ausprägung

Als potentiell verletzte subjektive Rechte der Antragstellerin kommen nach Auffassung des BayVGH die ihr zustehenden Grundrechte nach Art. 9 Abs. 1 und 3 GG in Betracht. Eine Verletzung scheine möglich, weil die Antragsgegnerin (Gemeinde) durch eine unzulässige Sonntagsöffnung die Schutzpflicht verletzt haben könnte, die allen Trägern öffentlicher Gewalt hinsichtlich derjenigen Grundrechte obliege, die durch Art. 139 WRV i.V.m. Art. 140 GG nach Inhalt und Umfang näher bestimmt werden.

Schutzumfang: Gewerkschaft als Grundrechtsträgerin, der ein Anspruch auf Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe durch die öffentliche Gewalt zusteht

Aus dem Urteil des BVerfG v. 01.12.2009 (1 BvR 2857/07 u. a.) ergibt sich laut BayVGH, dass der zu gewährende Schutz nicht auf einen religiösen oder weltanschaulichen Sinngehalt der Sonn- und Feiertage beschränkt sei. Art. 139 WRV ziele in der säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung vielmehr auch auf die Verfolgung profaner Ziele ab. Geschützt sei damit der allgemein wahrnehmbare Charakter von Sonn- und Feiertagen als für alle verbindliche Tage der Arbeitsruhe. Denn die gemeinsame Gestaltung der Zeit der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung, die in der sozialen Wirklichkeit seit jeher u. a. in einem aktiven Vereinsleben stattfinde, sei insoweit nur dann planbar und möglich, wenn im Verhältnis der Personen zueinander, die sich zu solchem Tun zusammenfinden wollten, ein zeitlicher Gleichklang und Rhythmus im Sinne einer Synchronität sichergestellt sei. Die Antragstellerin hat Mitglieder im räumlichen Auswirkungsbereich der strittigen Verordnung und entfaltet dort ihre satzungsgemäßen Aktivitäten, zu denen auch Veranstaltungen an Sonn- und Feiertagen gehören. Ihr verfassungsrechtlich geschützter Aktivitätsspielraum werde durch die streitgegenständliche Verordnung demzufolge möglicherweise eingeschränkt.

Subjektive Rechtsposition

Der Hinweis des BVerfG im Urteil v. 01.12.2009 darauf, dass sich außer Religionsgemeinschaften auch andere Grundrechtsträger im Rahmen ihrer Grundrechtsverbürgungen auf den aus Art. 139 WRV folgenden Schutzauftrag „berufen“ könnten (vgl. BVerfG a.a.O., Rn. 148), lässt laut BayVGH erkennen, dass es bei der rein objektivrechtlichen Schutzverpflichtung aus Art. 139 WRV nicht sein Bewenden habe, sondern dass mit dieser Pflicht des Staates eine aus dem jeweils einschlägigen, durch Art. 139 WRV konkretisierten Grundrecht resultierende subjektive Anspruchsposition des jeweiligen Grundrechtsträgers auf Gewährung dieses Schutzes korrespondiere. Aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folge, dass die Möglichkeit bestehen müsse, die behauptete Verletzung des Schutzanspruchs bzw. eines damit korrespondierenden Abwehrrechts gerichtlich geltend zu machen.

Schutzinhalt

Was den Inhalt des von Verfassungs wegen zu gewährenden Schutzes betreffe, so habe das BVerfG im Urteil vom 01.12.2009 festgehalten, dass an Sonn- und Feiertagen die typische „werktägliche Geschäftigkeit“ grundsätzlich zu ruhen habe und Ausnahmen hiervon nur zur Wahrung höher- oder gleichwertiger Rechtsgüter möglich seien. Gesetzliche Schutzkonzepte für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe müssten deshalb die Arbeitsruhe an diesen Tagen zur Regel erheben. Ausnahmen zugunsten von Ladenöffnungen bedürften eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes, der ein dem Umfang der Ausnahme entsprechendes Gewicht haben müsse; ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse der Inhaber von Verkaufsstellen und ein alltägliches Erwerbsinteresse potentieller Käufer genügten hierfür grundsätzlich nicht, so der BayVGH.

Mögliche Verletzung dieser Rechtsposition bereits durch einen einzigen verkaufsoffenen Sonntag

Die Möglichkeit, dass die Grundrechte der Antragstellerin nach Art. 9 Abs. 1 und 3 GG durch die verfahrensgegenständliche Verordnung verletzt worden sein könnten, folgt laut BayVGH jedenfalls nicht in erster Linie aus dem Umstand, dass ein Offenhalten von Verkaufsstellen an Sonntagen geeignet sein kann, den Kreis der Personen zu verkleinern, die sich an am gleichen Tag stattfindenden gewerkschaftlichen Aktivitäten beteiligen können oder wollen.

Die Träger derjenigen Grundrechte, die durch Art. 139 WRV konkretisiert werden, und denen deshalb ein Anspruch auf Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe durch die öffentliche Gewalt zusteht, könnten vielmehr bereits dadurch in diesen subjektiven Rechten betroffen sein, dass durch die in Rede stehende Ladenöffnung der Charakter der Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe verändert werde.

Der BayVGH verkenne dabei nicht, dass die Träger der durch Art. 139 WRV konkretisierten Grundrechte keinen Anspruch darauf besitzen, dass ein Offenhalten von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen schlechthin unterbleibe. Wenn das BVerfG den notwendigen Inhalt des von Verfassungs wegen geschuldeten Schutzkonzepts dahingehend umschrieben habe, dass die Arbeitsruhe an diesen Tagen die Regel zu sein habe, und dass Ausnahmen hiervon „eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes“ bedürften, der ein dem Umfang der Ausnahme entsprechendes Gewicht haben müsse, so sei die Möglichkeit der Verletzung eines der durch Art. 139 WRV konkretisierten Grundrechte u. U. bereits dann in Betracht zu ziehen, wenn der Rechtsschutzsuchende geltend mache, im konkreten Fall liege kein die Zulassung der Sonntagsöffnung rechtfertigender sachlicher Grund vor. Darauf beruft sich die Antragstellerin, wenn sie vorbringt, es fehle vorliegend deshalb an einem Umstand, der die Durchbrechung des in Art. 139 WRV verankerten Prinzips legitimiere, weil die Veranstaltung, die die Antragsgegnerin zum Anlass für die Gestattung einer Sonntagsöffnung genommen habe, nicht die Voraussetzungen des maßgeblichen gesetzlichen Schutzkonzepts aus § 14 LadSchlG erfülle.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Möglichkeit einer Rechtsverletzung der Antragstellerin laut BayVGH nicht mit der Erwägung verneinen, durch die Zulassung lediglich eines einzigen verkaufsoffenen Sonntags (wie es die verfahrensgegenständliche Verordnung vorsieht) könne der durch Art. 139 WRV gebotene „Mindestschutz“ keinesfalls unterschritten werden. Richtig sei zwar, dass die letztgenannte Verfassungsbestimmung mehr als nur einen verkaufsoffenen Sonn- oder Feiertag im Jahr zulasse. Eine solche, rein quantitative Betrachtungsweise ließe indes außer Betracht, dass das Schutzkonzept nach Art. 139 WRV zusätzlich zu einer zahlenmäßigen Begrenzung der verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage auch qualitativ eine sachliche Rechtfertigung für die Durchbrechung des Prinzips der Arbeitsruhe an diesen Tagen verlange. Wenn das BVerfG dann „rechtfertigende Gründe von besonderem Gewicht“ verlange, wenn mehrere Sonn- und Feiertage in Folge über jeweils viele Stunden hinweg für Verkaufszwecke freigegeben werden sollen, so folge hieraus im Umkehrschluss, dass bereits die Gestattung des Offenhaltens von Verkaufsstellen an einem einzigen Sonn- oder Feiertag eines solchen Grundes bedarf, mögen in diesem Fall auch minder hohe Anforderungen gelten. Im Lichte des Art. 139 WRV könnten deshalb nicht nur Ladenschlussgesetze, die auf die Normierung von Voraussetzungen für die Zulassung verkaufsoffener Sonn- und Feiertage generell verzichteten, keinen Bestand haben; auch soweit sie sich darauf beschränkten, lediglich einen „besonderen Anlass“ oder ein „besonderes Ereignis“ zu fordern, damit an Sonn- und Feiertagen eine Verkaufstätigkeit stattfinden kann, bedürfe dies unter der Geltung des Art. 139 WRV einer einschränkenden, verfassungskonformen Auslegung. Denn es genüge nicht jedes noch so geringe öffentliche Interesse, um eine Durchbrechung der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen zuzulassen.

Träger von Grundrechten, die durch Art. 139 WRV konkretisiert werden, können deshalb geltend machen, bereits die Gestattung des Offenhaltens von Verkaufsstellen an einem einzigen Sonn- oder Feiertag verletze das jeweilige Grundrecht, da es hierfür entweder an einem rechtfertigenden Grund überhaupt fehle oder dieser Grund nicht das von Verfassungs wegen erforderliche Gewicht aufweise, um einen derartigen Eingriff zuzulassen.

2. Erfordernisse des materiellen Rechts – Tatbestandsmerkmal „aus Anlass des Marktes“

Auslegung des Tatbestandsmerkmals

Das in § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG enthaltene Tatbestandsmerkmal „aus Anlass von Märkten“ bedeute schon nach allgemeinem sprachlichen Verständnis, dass der Markt die „Hauptsache“ und die Sonntagsöffnung der „Nebeneffekt“ sein müsse, der Markt also nicht veranstaltet werden dürfe, um die formelle rechtliche Voraussetzung für eine eigentlich bezweckte Sonntagsöffnung zu schaffen. Die Rechtsprechung erkennt deshalb einen rechtfertigenden Grund zur Offenhaltung der Verkaufsstellen abweichend von § 3 Satz 1 Nr. 1 LadSchlG nur bei solchen Märkten an, die auch ohne das Offenhalten von Verkaufsstellen interessant genug sind, um einen beträchtlichen Besucherstrom anzuziehen.

Erstmals stattfindender Markt

Das Tatbestandsmerkmal „anlässlich eines Marktes“ könne allerdings auch dann erfüllt sein, wenn es sich um einen erstmals stattfindenden Markt handele. Notwendig sei in jedem Fall aber eine im Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung nach § 14 LadSchlG getroffene Prognose dahingehend, dass die Marktveranstaltung eine hohe Besucherzahl erwarten lässt, die ihrerseits die Öffnung der örtlichen Verkaufsstellen rechtfertigen kann. Die Prognose müsse realistisch und auf das äußere Erscheinungsbild sowie das objektive Gewicht der betreffenden Veranstaltung gestützt sein. Das Gewicht eines Marktes könne sich beispielsweise aus einem ungewöhnlichen, auf ein „Marktthema“ bezogenen Warenangebot, einem kulturellen Rahmenprogramm, aus Volksbelustigungen oder anderen Attraktivitäten ergeben (vgl. BayVGH, U. v. 31.03.2011, 22 BV 10.2367, Rn. 19), so der BayVGH.

Prognose – Entscheidungsspielraum der Gemeinde

Da die Beurteilung, ob eine Veranstaltung im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG bereits „aus sich heraus“ (d.h. ohne Rücksicht auf das gleichzeitig gestattete Offenhalten von Verkaufsstellen) einen so erheblichen Zustrom von Besuchern auslösen wird, dass aus diesem Grund ein Versorgungsbedürfnis entsteht, das die Zulassung eines Sonntagsverkaufs rechtfertigt, gerade bei erstmaliger Abhaltung eines Marktes mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sein kann, steht der Gemeinde u. a. hinsichtlich der Frage, ob dieses Erfordernis erfüllt sein wird, ein Prognosespielraum zu, so der BayVGH (vgl. BayVGH, B. v. 08.04.2011, 22 CS 11.845, Rn. 7). Habe sie die ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Tatsachen zutreffend und vollständig ermittelt und sich bei ihrer Einschätzung von den Vorgaben der Rechtsordnung leiten lassen, werde ihre Entscheidung, eine auf § 14 Abs. 1 Satz 2 LadSchlG gestützte Verordnung zu erlassen, nicht allein deshalb rechtswidrig, weil die anlassgebende Veranstaltung (z.B. wegen eines unvorhergesehenen Ereignisses) tatsächlich weniger attraktiv war, als dies bei pflichtgemäßer Beurteilung im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Verordnung angenommen werden durfte.

Eine dergestalt rechtskonforme Prognose habe die Antragsgegnerin (Gemeinde) vorliegend jedoch nicht angestellt. Da der Frühjahrsmarkt am 14.04.2013 erstmals – und zudem zeitgleich mit der seit vielen Jahren gut eingeführten Frühjahrsschau – stattgefunden habe, durfte die Antragsgegnerin nach Auffassung des BayVGH allenfalls dann davon ausgehen, die erstgenannte Veranstaltung werde „um ihrer selbst willen“ den erforderlichen hohen Publikumszustrom auslösen, wenn sie derart attraktiv ausgestaltet sein (und ggf. zusätzlich so intensiv beworben werden) würde, dass sie geeignet erscheinen musste, Personen in erheblicher Zahl entweder nur nach Eching-Ost (wo der Frühjahrsmarkt stattfand) zu locken oder ausreichend viele Besucher der Frühjahrsschau (in Eching) zu bewegen, auch den Frühjahrsmarkt (in Eching-Ost) zu frequentieren. Diese Voraussetzungen waren nach Meinung des BayVGH im entscheidungserheblichen Beurteilungszeitpunkt – bei der Beschlussfassung des Gemeinderates über die verfahrensgegenständliche Verordnung – nicht erfüllt.

Redaktioneller Hinweis: In den Rn. 75-79 des Urteils geht der BayVGH auf einzelne Aspekte ein, die gegen die erforderliche Attraktivität des Marktes sprachen.

Eigengewicht des Marktes – Mehrere örtlich voneinander getrennte Marktgeschehen innerhalb eines Marktes

Die Notwendigkeit, dass der Frühjahrsmarkt selbst ein hinreichendes Eigengewicht hätte entfalten müssen, um die Gestattung einer Sonntagsöffnung in seinem Umgriff zu rechtfertigen, lässt sich nach Auffassung des BayVGH nicht mit dem Argument in Abrede stellen, er und die Frühjahrsschau bildeten einen einheitlichen Markt, der lediglich an zwei verschiedenen Stellen im Gemeindegebiet stattfinde. Der Versuch, auf diese Weise auch ein Marktgeschehen, das – für sich genommen – nicht den Anforderungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG genügt, als Anlass für die Gestattung einer Sonntagsöffnung von in seiner Nähe liegenden Verkaufsstellen heranziehen zu können, erweist sich laut BayVGH als rechtlich untauglich.

Soweit als Ansatzpunkt für diese Konstruktion gefordert werde, die Gemeinde müsse, um sich der aus § 14 LadSchlG folgenden rechtlichen Schranken zu entledigen, durch Ortsrecht festlegen, dass „im Rahmen eines Marktes mehrere (einzelne) Marktgeschehen stattfinden“ (Leisner, GewArch 2012, 281/284), sei die Antragsgegnerin dem nicht gefolgt; insbesondere enthalte die von ihr erlassene Marktsatzung keine Regelung, durch die der Frühjahrsmarkt und die Frühjahrsschau zu einer einzigen, lediglich auf zwei Örtlichkeiten verteilten Veranstaltung erklärt würden. Die unterschiedlichen Bezeichnungen beider Ereignisse und der Umstand, dass die Antragsgegnerin in der Begründung der verfahrensgegenständlichen Verordnung die erstgenannte Veranstaltung als „Verkaufsmarkt“ bezeichnete, während es sich bei der Frühjahrsschau um einen „Ausstellungsmarkt“ handele, deuteten im Gegenteil darauf hin, dass sie von zwei verschiedenen Märkten ausging. In Einklang damit stehe, dass sie in Abschnitt 5 der Begründung dieser Verordnung selbst wiederholt von „beiden“ Märkten sprach. Vor allem sei zu beachten, dass die Antragsgegnerin die Echinger Frühjahrsschau und den Echinger Frühjahrsmarkt jeweils für sich durch Bescheid festgesetzt hat und nach der insoweit maßgeblichen Rechtsgrundlage auch so vorgehen musste.

Redaktioneller Hinweis: Wird in Rn. 83 ff. des Urteils unter Bezugnahme auf die Vorschriften der GewO näher ausgeführt.

BayVGH, U. v. 06.12.2013, 22 N 13.788

Ass. iur. Klaus Kohnen; Abbildung: (c) WoGi – Fotolia.com

Net-Dokument BayRVR2013120601