Gesetzgebung

Potentielle Auswirkungen des transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP) auf die kommunale Organisationsfreiheit im Bereich Wasserver- und Abwasserentsorgung

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Prof. Markus Krajewski

von Prof. Dr. Markus Krajewski, Universität Erlangen-Nürnberg

– Kurzgutachten im Auftrag des Verbandes kommunaler Unternehmen e.V. (VKU) –

Für die Erfüllung der Aufgaben der Wasserver- und Abwasserentsorgung stehen den Kommunen verschiedene öffentlich- und privatrechtliche sowie gemischtwirtschaftliche Organisationsformen zur Verfügung. Angesichts der seit Juli 2013 zwischen der EU und den USA stattfindenden Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandels- und Investitionsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) stellt sich die Frage, in welchem Umfang sich dieses Abkommen auf die Organisationshoheit der Kommunen im Bereich der Wasserver- und Abwasserentsorgung auswirken kann und wie die entsprechende kommunale Handlungsautonomie geschützt werden kann. Da sich die Verhandlungen noch in einem frühen Stadium befinden und auch noch keine Einigkeit in einzelnen Punkten erzielt wurde, müssen die folgenden Ausführungen von potentiellen Inhalten eines solchen Abkommens ausgehen, die auf den bisherigen Handelsabkommen der EU und den USA beruhen.

Vorab ist klarzustellen, dass sich Freihandels- und Investitionsschutzabkommen regelmäßig nicht direkt mit Organisationsformen der öffentlichen Verwaltung oder Vorgaben für die Trägerschaft öffentlicher Aufgaben befassen. Vielmehr betreffen Freihandels- und Investitionsabkommen typischerweise Regeln zum grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen und zum Schutz ausländischer Investitionen. Diese können sich jedoch indirekt auch auf die Organisationshoheit auswirken. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass das TTIP u.U. inhaltlich über bisherige Abkommen hinausgehen wird und insbesondere Kapitel zu Wettbewerb, Subventionen und öffentlicher Beschaffung beinhalten könnte, die sich zusätzlich auf die genannte Frage auswirken können.

Handelsabkommen, die den Handel mit Dienstleistungen betreffen, schließen typischerweise Dienstleistungen, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden („services supplied in the exercise of governmental authority“), von ihrem Anwendungsbereich aus (vgl. Art. I:3(b) GATS). Hierunter werden regelmäßig jedoch nur solche Dienstleistungen verstanden, die weder auf kommerzieller Basis noch im Wettbewerb erbracht werden („neither on a commercial basis nor in competition“). Auch wenn über die Bedeutung dieser Formulierung in Praxis und Wissenschaft kein Konsens besteht, geht die überwiegende Auffassung dahin, dass diese Formulierung nur den engen Kern hoheitlicher Aufgaben wie Justiz, Polizei, Strafvollzug u. Ä., erfasst. In jedem Fall kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Organisation der Wasserver- und Abwasserentsorgung in Deutschland in den Anwendungsbereich dieser Ausnahmeklausel fällt. Daher würde eine derartige Klausel in einem potentiellen TTIP wahrscheinlich keinen Schutz für die kommunale Organisationsautonomie entfalten.

Es stellt sich demzufolge die Frage, welche Vorschriften eines Abkommens sich u.U. beschränkend auf die kommunale Organisationsautonomie auswirken würden und wie deren Einfluss eingeschränkt werden kann. Hier ist insbesondere die sog. Marktzugangsverpflichtung zu berücksichtigen, da sie lokale Monopole, ausschließliche Dienstleistungserbringer und Bedarfsprüfungen (economic needs test) untersagt. Damit wird einer Kommune zwar nicht vorgeschrieben, wie sie die kommunale Wasserver- und Abwasserentsorgung zu organisieren hat. Sie könnte jedoch damit konfrontiert werden, dass neben ihr private Unternehmen an der Versorgung teilnehmen wollen. Weiterhin verbietet die Marktzugangsverpflichtung Beschränkungen der Rechtsformwahl. Ein Gesetz, das z.B. die Erbringung der kommunalen Wasserver- und Abwasserentsorgung nur in der Form eines Kommunalunternehmens, einer AöR oder GmbH vorsieht und z.B. Aktiengesellschaften ausschließt, könnte in diesem Sinne als Marktzugangsbeschränkung angesehen werden.

Daher dürfte es in den kommenden Verhandlungen aus Sicht der kommunalen Wasserver- und Abwasserentsorger vor allem darum gehen, sicherzustellen, dass dieser Bereich nicht von den Liberalisierungsvorschriften des TTIP erfasst wird. Wie dies sichergestellt werden kann, hängt vom Modell der Liberalisierung ab, das dem TTIP zu Grunde liegen wird. Nach dem sog. Positivlisten-Ansatz wäre die Wasserver- und Abwasserentsorgung nur dann von den Liberalisierungsverpflichtungen erfasst, wenn die EU diesen Bereich ausdrücklich (= positiv) diesen Pflichten unterwirft, indem der entsprechende Sektor in die Listen der Zugeständnisse aufgenommen wird. In ihren bisherigen Handelsabkommen hat die EU die Trinkwasserversorgung nicht in ihre Zugeständnisse aufgenommen, allerdings durch die sektorübergreifende Einschränkung für sog. „public utilities“ insoweit eingeschränkt als hier lokale Monopole zulässig bleiben sollen.

Es ist jedoch wahrscheinlich, dass das TTIP einen sog. Negativlisten-Ansatz verfolgt. Nach diesem Ansatz sind alle Dienstleistungssektoren von den Liberalisierungsverpflichtungen des Abkommens erfasst, wenn sie nicht ausdrücklich ausgenommen sind. Da NAFTA sowie alle Freihandelsabkommen der USA bisher einem derartigen Ansatz folgen und das derzeit finalisierte Abkommen zwischen der EU und Kanada ebenfalls auf dem Negativlisten-Ansatz beruht, ist anzunehmen, dass auch das TTIP diesem Ansatz folgen wird.

Die Ausnahmen von der Liberalisierungspflicht werden bei einem Negativlisten-Ansatz typischerweise in zwei unterschiedlichen Anhängen festgelegt. In einem Anhang I (Annex I) führen die Vertragsparteien alle bereits bestehenden Maßnahmen (= Gesetze oder Verwaltungspraxis) auf, die gegen das Abkommen verstoßen würden (existing non-conforming measures). Diese Maßnahmen dürfen dann beibehalten werden. Alle Maßnahmen, die nicht aufgeführt werden und gegen die Verpflichtungen verstoßen, sind aufzuheben (sog. „List it or lose it“). Es ist jedoch zu beachten, dass Maßnahmen, die im Anhang I aufgeführt sind, keine umfassende Regulierungsautonomie garantieren, sondern nur die konkret benannte Maßnahme schützen. Änderungen der Maßnahmen werden nur erfasst, wenn sie weniger restriktiv sind als die aufgeführte Maßnahme. Eine einmal vorgenommene Liberalisierung kann daher nicht mehr zurückgenommen werden, auch wenn „nur“ die im Anhang I aufgeführte Maßnahme wieder eingeführt wurde. Dieser sog. „ratchet“-Mechanismus könnte bei Rekommunalisierungen seine Wirkung entfalten: Sind im Anhang I Ausnahmen für örtliche Monopole vorgesehen, bedeutet dies zunächst, dass derartige Monopole, soweit sie gesetzlich vorgesehen sind („existing measures“) bestehen bleiben können. Würden sie jedoch durch eine spätere Gesetzesänderung abgeschafft und würden private Erbringungsformen gestattet, wäre die Wiedereinführung von Monopolen als restriktivere Maßnahme anzusehen, die gegen den „ratchet“-Mechanismus verstoßen würde. Die in Anhang I vorgesehene Ausnahme wäre also durch die durchgeführte Liberalisierung „verbraucht“ und könnte nicht mehr als Rechtfertigung für örtliche Monopole genutzt werden.

In diesem Kontext stellt sich des Weiteren die Frage, ob der „ratchet“-Mechanismus nur auf gesamtstaatlicher oder substaatlicher Ebene greift oder ob auf die jeweilige Kommune abzustellen ist. Es dürfte einiges dafür sprechen, nicht auf die lokale, sondern nur auf die staatliche oder substaatliche (= Länder-)Ebene abzustellen, allerdings gibt es zu dieser Frage noch keine Streitschlichtungs- oder sonstige Praxis.

Zur Bewahrung von Regulierungs- und Organisationsautonomie eignet sich dagegen der sog. Anhang II (Annex II). Dieser erfasst sowohl bestehende als auch zukünftige Maßnahmen und ist regelmäßig als Bereichsausnahme formuliert. Um sicherzustellen, dass die Organisationsautonomie der kommunalen Wasserver- und Abwasserentsorgung nicht durch Liberalisierungsverpflichtungen des TTIP eingeschränkt wird, müsste dieser Bereich daher im Anhang II aufgeführt werden. Das kann entweder durch eine horizontale Ausnahme für öffentliche Dienstleistungen erfolgen, wobei sichergestellt werden muss, dass der im Anhang II verwendete Begriff auch die Wasserver- und Abwasserentsorgung erfasst. In der bisherigen Abkommenspraxis der EU wurde z.B. der Begriff „public utilities“ verwendet, der wie folgt umschrieben wird:

„Public utilities exist in sectors such as related scientific and technical consulting services, R&D services on social siences and humanities, technical testing and analysis services, environmental services, health services, transport services and services auxiliary to all modes of transport.“

Indem Umweltdienstleistungen erwähnt werden, kann die Klausel auch auf die Anwasserentsorgung angewendet werden, da die Abwasserentsorgung als Teilsektor von Umweltdienstleistungen gilt. Dagegen wird die Trinkwasserversorgung in der bislang in Handelsabkommen genutzten Klassifizierung nicht zu Umweltdienstleistungen gezählt. Jedoch dürfte die Klausel so zu verstehen sein, dass auch die Trinkwasserversorgung erfasst wird, da der Wortlaut des Begriffs „utilities“ dies nahe legt. Allerdings ist unklar, wie sich diese horizontale Ausnahme zu sektorspezifischen Verpflichtungen verhält. Auch die zwischenzeitlich von der EU-Kommission verfolget Überlegung, den unionsrechtlichen Begriff der „Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse“ zu verwenden, dürfte diesbezügliche Fragen aufwerfen.

Daher dürfte eine sektorspezifische Ausnahme für die kommunale Wasserver- und Abwasserentsorgung in einem Anhang II die größtmögliche Sicherheit und Flexibilität bieten. Eine entsprechende Formulierung für den gesamten Bereich der Abwasser- und Abfallwirtschaft hat Deutschland in einem Textentwurf für die Verpflichtungen der EU im Abkommen mit Kanada im Jahre 2012 vorgelegt. Danach wurde für den Sektor „Waste management: Sewage, refuse disposal, and sanitation services, Industry classification: CPC 9401, CPC 9402, CPC 9403“ folgendes formuliert:

„Germany reserves the right to maintain or adopt or maintain any measure requiring establishment with respect to the delivery of waste management services.“

Diese Ausnahme bezog sich jedoch lediglich auf sog. Niederlassungsverpflichtungen, also das Verbot der Abfallentsorgung durch grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung.

Um den Bereich der Abwasserent- und Trinkwasserversorgung weitgehend von den Liberalisierungsverpflichtungen des TTIP auszuklammern, wäre eine Ausnahme im Anhang II für den Sektor „Water and sewage services: Collection, purification and distribution services of water (CPC 18000); Sewage removal, treatment and disposal services (CPC 9401)“ erforderlich. Diese sollte sich auf alle Verpflichtungen des TIPP beziehen und könnte wie folgt formuliert werden:

„The EU and its Member States reserve the right to maintain and adopt any measure relating to the collection, purification and distribution services of water (CPC 18000) as well as sewage services (CPC 9401).“

Neben den Verpflichtungen zur Liberalisierung des Dienstleistungshandels könnte das TTIP auch besondere Kapitel zu Wettbewerbs-, Beihilfen- und Vergaberecht enthalten. Aus den EU-Verhandlungsdokumenten geht hervor, dass die EU Vorschriften in das TTIP einfügen möchte, die sich auf Staatsunternehmen (state owned enterprises) und Unternehmen mit besonderen Rechten (special and excklusive rights) beziehen. In die erstgenannte Kategorie könnten auch Kommunalunternehmen fallen. Die zweite Kategorie könnte auch Unternehmen erfassen, die mit besonderen gemeinwirtschaftlichen Pflichten vertraut sind und daher gewisse Sonderrechte in Anspruch nehmen können. Diese Unternehmen sollen nach EU-Vorstellungen den allgemeinen Wettbewerbsvorschriften unterworfen werden. Für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse soll es eine enge Ausnahme geben. Einen derartigen Ansatz hat die EU auch im Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den CARIFORUM-Staaten verfolgt und umgesetzt, so dass dies keine ganz neue Idee wäre. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Intention mit einem derartigen Ansatz verfolgt wird. In jedem Fall wäre zu prüfen, ob klargestellt werden sollte, dass Kommunalunternehmen keine „state owned enterprises“ in diesem Sinne sind und Unternehmen mit besonderen Rechten auf kommunaler Ebene ebenfalls nicht von den einschlägigen Vorschriften erfasst werden.

Schließlich möchte die EU auch ein Kapitel zur öffentlichen Beschaffung in das TTIP einfügen. In diesem Kontext sollte geprüft werden, ob sich mögliche Abkommensteile negativ auf die kommunale Organisationsautonomie im Bereich der Wasserver- und Abwasserentsorgung auswirken. Es ist zu vermuten, dass ein mögliches Kapitel zu Beschaffungsfragen über den Stand des im vergangenen Jahr neu ausgehandelten WTO-Übereinkommens zur öffentlichen Auftragsvergabe (Government Procurement Agreement 2012) hinausgeht. Allerdings ist fraglich, ob dieser „GPA Plus“-Standard lediglich zu einer erweiterten sektoriellen Anwendbarkeit führen wird, oder ob auch Bereiche, die bislang nicht im GPA geregelt waren, wie Dienstleistungskonzessionen oder ÖPP, aufgegriffen werden sollen. Die weiteren Verhandlungen in diesem Bereich sollten sorgfältig beobachtet und begleitet werden, wenn verhindert werden soll, dass das TTIP die im internen EU-Recht geltenden Ausnahmen einschränkt und damit faktisch unterläuft.

Zusammenfassend könnten folgende Elemente des TTIP die Organisationshoheit im Bereich der kommunalen Wasserver- und Abwasserentsorgung beeinträchtigen:

  • Marktzugangsverpflichtungen in einem Kapitel über den Handel mit Dienstleistungen können die Aufrechterhaltung von Monopolen und andere Einschränkungen des freien Marktzugangs erschweren, wenn keine entsprechenden Ausnahmen vorgesehen sind.
  • In einem Abkommen, das auf einem Negativlisten-Ansatz beruht, können Ausnahmen von den Marktzugangsverpflichtungen nur dann beibehalten werden, wenn diese in Anhang I oder Anhang II ausdrücklich aufgeführt werden. Maßnahmen, die im Anhang I aufgeführt werden, müssen jedoch bereits bestehen und können nachträglich nicht zugunsten restriktiverer Maßnahmen geändert werden. Dagegen ermöglichen Ausnahmen im Anhang II regulative Flexibilität, da sie auch zukünftige Maßnahmen erfassen.
  • Die geplanten Kapitel zu Wettbewerb und öffentlicher Vergabe könnten Disziplinen enthalten, die Kommunalunternehmen und Unternehmen, die mit besonderen Rechten ausgestattet sind, einem allgemeinen Wettbewerbs- oder Ausschreibungsdruck unterwerfen oder den Anwendungsbereich global geltender Ausschreibungsverpflichtungen weiter ausdehnen. Daher sollten die Verhandlungen in diesem Bereich genau beobachtet werden.

 

Anmerkungen der Redaktion

Prof. Dr. Markus Krajewski ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen u.a. im Wirtschaftsvölkerrecht, insbesondere dem WTO-Recht und dem internationalen Investitionsschutzrecht, im Recht der europäischen Außenbeziehungen und dem europäischen Recht öffentlicher Dienstleistungen (Dienstleistungen von allgemeinem Interesse).

Das Kurzgutachten wurde im Auftrag des Verbandes kommunaler Unternehmen e.V. (VKU) erstellt. Herzlichen Dank an Herrn Prof. Dr. Krajewski sowie den VKU für die Möglichkeit, es hier zu publizieren.

Wer die Entwicklung zum Thema TTIP nachvollziehen möchte, kann dies durch einen Klick auf das entsprechende Tag (siehe unterhalb des Beitrags unter „Tagged With“).

Net-Dokument BayRVR2014021101