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Web 2.0 in bayerischen Kommunen

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von Professor Dr. Jörn von Lucke, Zeppelin Universität Friedrichshafen, und Christian P. Geiger, M.A., Stadt Ulm und Doktorand an der Zeppelin Universität Friedrichshafen

Im Rahmen eines Forschungsprojekts für die Innovationsstiftung Bayerische Kom­mune wurde ein Handlungsleitfaden und -rahmen für die öffentliche Verwaltung erarbeitet, um Kommunen bei der optimalen Nutzung von Web 2.0-Diensten zur Vernetzung von Bürgern, Verwaltung und Politik zu unterstützen. Dieser Beitrag fasst wesentliche Ergebnisse der Studie zusammen.

1. Studie

Mit der immer stärkeren Durchdringung von Internet- und Web 2.0-Technologien verändern sich die Beziehungen und Kommunikationsformen zwischen Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft. Zur Information, Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Bürgern, Unternehmen, Verwaltungsmitarbeitern und politischen Vertretern eröffnen sich neuartige Potenziale und Chancen durch die Webdienste der zweiten Generation. Dies kann mit unvorhersehbaren Heraus­forderungen verbunden sein. Zudem existieren auf der kommunalen Ebene vielfältige Besonder­heiten, denen sich Gemeinden, Städte, Landkreise und Bezirke vor Ort stellen müssen. Die Gründe hierfür liegen in den speziellen kommunalen öffentlichen Aufgaben, aber auch in der ausgeprägten Nähe zu den Bürgern. Damit entstehen teilweise sehr fach­spezifische Fragestellungen, welche eigen­ständige Lösungsansätze erfordern.

In einem Forschungsprojekt für die Innovationsstiftung Bayerische Kommune wurden 2012/13 die Potenziale und die aktuellen Herausforderungen des Web 2.0 für Kommunen näher beleuchtet. Im Fokus stehen dabei verschiedene Web 2.0-Dienste, die von der Verwaltung zur internen Optimierung ihrer Prozesse und zur Kommunikation nach außen, insbesondere mit den Bürgern, eingesetzt werden können. Zur Beurteilung der in kom­mu­nalen Verwaltungen am häufigsten genutzten Web 2.0-Angebote wurden zunächst sämtliche Gemeinden, Städte, Kreise und Bezirke in Bayern per E-Mail kontaktiert. Von den ange­schrie­benen 2056 Gemeinden (317 Städte, 386 Märkte und 1353 sonstige Gemeinden inklusive der 25 kreisfreien Städte), 71 Landkreisen (ohne die 25 kreisfreien Städte) und 7 Bezirken in Bayern wurde der Online-Frage­bogen 953 Mal aufgerufen. Die Kommunen konnten dabei angeben, ob und wofür sie Web 2.0-Instrumente verwenden. In der Analyse der Ergebnisse wird deutlich, dass ein Großteil der bayerischen Kommunen nach eigener Auskunft derzeit generell noch von einem breitflächigen Einsatz von Web 2.0-Technologien absieht. Geodaten, Apps, soziale Netzwerke, Wikis, Terminfindungsdienste, Video- und Bildplattformen werden bereits häufiger, vor allem in der Außenkommunikation der Kommunen, eingesetzt. Dennoch wird deutlich, dass ein Großteil der bayerischen Kommunen noch ein beachtliches Potenzial und einen sehr großen Nachholbedarf im Einsatz von Web 2.0-Instrumenten bei der täglichen Arbeit besitzt. Viele Kommunen nutzen die Möglichkeiten der neuen Form der Kommunikation bisher noch nicht und verfügen auch über keine weiterführende Gesamtstrategie zur Nutzung oder zum zukünftigen Ausbau Ihrer Dienste (Ausnahmen hierzu bilden beispielsweise ganzheitliche Strategien und Konzepte wie z.B. „Netcity Nürnberg“ oder „Internetstadt Köln“ [PDF, 407 KB]). Bedenklich ist vor allem, dass kaum Schulungen oder Leitfäden für die Mitarbeiter zur Verfügung stehen, wie es beispielsweise in Hamburg der Fall ist. Umgekehrt verhält es sich in den Kommunen, die das Thema „Web 2.0“ bereits offensiv bearbeiten. In diesen besonders aktiven und innovativen Kommunen wird deutlich, dass der Einsatz von Web 2.0 meist durch motivierte Mitarbeiter forciert wird, die sich dem Thema widmen, weil sie große Mehrwerte und Chancen der Neuen Medien für ihre Kommune erkennen. Von diesen besonders innovativen Kommunen wurden 13 Kommunen für die weitergehende Forschung in Form von qualitativen Experteninterviews ausgewählt: Landkreis Augsburg, Gemeinde Bad Feilnbach, Kreisfreie Stadt Bamberg, Gemeinde Brunnthal, Kreisfreie Stadt Coburg, Kreisfreie Stadt Erlangen, Stadt Freilassing, Verwaltungsgemeinschaft Geisenfeld, Stadt Heideck, Kreisfreie Stadt Kempten, Gemeinde Kollnburg, Landkreis Lichtenfels und der Bezirk Oberbayern.

Diese Kommunen zeichnen sich durch eine frühe Nutzung unterschiedlicher Web 2.0-Dienste aus. Ziel der Interviews war es, eine detaillierte Beurteilung zu den in bayerischen Kommunen genutzten Web 2.0-Instrumenten zu erhalten. Hierbei sollten sowohl die Erwartungen bezüglich des Einsatzes der Neuen Medien wie auch die tatsächliche Umsetzung und die persönlichen Erfahrungen mit den jeweiligen Web 2.0-Tech­nologien thematisiert werden. Auf diese Weise konnten Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken der Umsetzung einzelner Web 2.0-Instrumente in den bayerischen Kommunen erfasst und diskutiert werden. Die Kommunen berichten dazu über ihre Erfahrungen mit bestimmten Softwarelösungen und Dienstleistungen. Die Experteninterviews mit den Ansprech­partnern der jeweiligen Kommune erfolgten direkt vor Ort und wurden im Dezember 2012 und Januar 2013 durchgeführt.

2. Web 2.0 und dessen Auswirkungen auf Kommunen 

Nach O’Reilly (2005) wird das Web 2.0 (I) als zentraler Fluchtpunkt und als Plattform betrachtet, um welche Web Services und andere webbasierte und leicht bedienbare Dienstleistungen entstehen, die nahtlos ineinandergreifen. Für Kommunen kann dieser Punkt vor dem Aspekt miteinander inter­agierender Cloud Services eine relevante Rolle spielen. Mit Hilfe des Web 2.0 kann somit (II) Software bereit­gestellt werden, die unabhängig von bestimm­ten Geräten funktioniert. (III) Technische Interaktion über standardisierte Schnitt­stellen fördert neuartige Entwicklungs- und Geschäftsmodelle. Die (IV) mehrwertige Nutzung von privaten und staatlichen Datenbeständen wird dadurch zunehmen. Der Wert von Informationen und Rohdaten steigt mit der Nutzungsintensität der jeweiligen Datenbestände. Vor allem die (V) Befriedigung von Nischenangeboten wird durch das Web 2.0 möglich. Eine zentrale Rolle spielt im Web 2.0 die Rollen­veränderung jedes einzel­nen Nutzers bestimmter Dienstleistungen. Jeder kann sich einbringen. Beim (VI) Crowdsourcing wird die „kollektive Intelligenz“ und „Weisheit der Massen“ für die Erstellung von Leistungen genutzt. Die Nutzer wandeln sich damit von reinen Konsumenten von Dienstleistungen gleichzeitig zum Produzenten von Leistungen. Sie werden als „Prosumer“ bezeichnet. Im Kontext von Software­entwicklung und Web 2.0-Services wird auf die (VII) Anwender als Mitentwickler gesetzt. Stets unfertige, weil noch in Weiterentwicklung befindliche Software und Dienste prägen die „Beta-Mentalität“ der IT-Dienstleistungen im Web 2.0.

Durch diese sieben Eigenschaften des Web 2.0 verändert sich auch die Wahrnehmung der Aufgaben durch die Kommunen: Das Web 2.0 eröffnet Staat und Verwaltung Potenziale für zukunftsorientierte Lösungen zur Infor­mation und Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Hierzu zählen Bürger, Unternehmen, Politiker und andere Verwaltungen. Aktuelle Themen wie Offen­heit, Transparenz, Bürgerbeteiligung, Innovation und Zusammenarbeit können erst mit Hilfe dieser Neuen Medien, der Web 2.0-Dienste, viel besser als mit den alten, herkömmlichen Medien (Zeitungen, Radio, Fern­sehen) umgesetzt werden. Die breite Verfügbarkeit von Web 2.0-Diensten hat konkrete Aus­wirkungen auf die Aufgabenerfüllung von Kommunen. Mitarbeiter nutzen diese Dienste zur internen Zusammenarbeit und ver­ändern damit schrittweise die Organisation eigener Arbeitsabläufe und Wissens­management­prozesse. Neue Zuständig­keiten entstehen. Nutzen Bürger zunehmend Web 2.0-Dienste, so wandeln sich die externe Kommunikation, die Öffentlichkeitsarbeit und die Bürgerintegration. Der Wunsch nach öffentlicher Information und Bürgerbeteiligung steigt. Für die Bürger werden somit nicht nur neuartige Dienste geschaffen, sondern auch die Nachfrage der Bürger nach bestimmten Leistungen und Kanälen angeregt.

3. Ansatzpunkte für Web 2.0-Dienste im kommunalen Raum 

Befragung und Interviews ergaben zahlreiche konkrete Ansatzpunkte für die bessere Erbringung von Verwaltungsleistungen und Services mit Unterstützung von Web 2.0-Diensten: Die Bereitstellung allgemeiner Infor­mationen über die Kommune und ihre Verwaltung, die Schaffung eines Rückkanals für die Bürger in die Verwaltung, die Vernetzung der Bürger untereinander, eine Bereitstellung von Informationen zu Tourismus, Wirtschaft, Verkehr und Kultur sowie Verwaltungsangelegenheiten, die Bereit­stellung statistischer Daten und Dokumente, Stellen­ausschreibungen und die Bewerbung von lokalen Veranstaltungen. Verwaltungsintern ergeben sich weitere Potenziale durch die zeitnahe Information städtischer Mit­arbeiter, die Förderung einer Zusammenarbeit mit externen Partnern, die Ver­besserung der internen Zusammenarbeit zwischen Abteilungen und Verwaltungsmitarbeitern, E-Learning-Angebote, die Etablierung eines Vorschlags- und Ideenmanagements sowie die Bereit­stellung eines wirkungs­vollen Wissensmanagements für die Kommunalverwaltung.

4. Auswahl von Web 2.0-Dienstgruppen

Mit Blick auf diese große Spannweite von Aufgaben und Zielen und die Vielfalt der Web 2.0-Dienste wird klar, dass sich bestimmte Instrumente für den kommunalen Einsatz besser eignen als andere. Aufgrund der Vielzahl von Diensten wurden jedoch nicht etwa einzelne Dienste wie Facebook, Twitter, Google+ & Co betrachtet, sondern ganze Dienstgruppen, wie soziale Netzwerke, (Micro)Blogs, Apps, Video- und Audioplattformen, Speicherdienste, Bürodienste und -hilfen aus der Cloud, aber auch Bilder- und Bloggernetzwerke sowie Publikationsplattformen, offene Datenbestände der Verwaltung und Geodatenbestände. Vor diesem Hintergrund wurden individuelle Stärken und Schwächen, sowie Chancen und Risiken in Form von Kurzsteckbriefen aufbereitet, und durch Zusatz­informationen ergänzt. Äußerst negativ anzumerken sind bei den zahlreichen untersuchten außereuropäischen Web 2.0-Angeboten die nachvollziehbaren Bedenken gegenüber der Einhaltung des europäischen Datenschutzniveaus (Stellungnahmen zu einzelnen Instrumenten finden sich u.a. bei dem Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz, z.B. zu Sozialen Netzwerken [PDF, 285 KB]). Auch ist zum jetzigen Zeitpunkt die Zukunft und die Weiterentwicklung bestimmter Web 2.0-Dienstleister und -Angebote nicht absehbar. Dennoch erscheint eine Präsenz von Kommunen auf aus­ge­wählten Web 2.0-Plattformen aufgrund des relativ geringen eigenen finanziellen Aufwands empfehlens­wert. Vor allem große soziale Netz­werke vereinfachen den Zugang zum Bürger, zumal die Nutzung der her­kömm­lichen Medien weiter abnimmt. Die Kommunen sollten sich allerdings bewusst sein, dass personeller und organisatorischer Aufwand entsteht und datenschutzrechtliche Vorgaben einzuhalten sind.

5. Anwendungsszenarien

Mit Blick auf die noch überschaubaren Umsetzungen in bayerischen Kommunen und die vielfältigen Möglichkeiten wurden potenzielle Anwendungsszenarien für einen möglichen Einsatz vorhandener Web 2.0-Dienste in Kommunen entwickelt, die vorbildhaften Charakter haben. Bei den acht erarbeiteten Beispielen handelt es sich ganz bewusst um fiktive Szenarien, welche eintreten können. Sie werden um kurze reale Praxisbeispiele aus bayerischen Kommunen ergänzt, in denen ähnliche Heraus­forderungen bereits mit Hilfe von Web 2.0-Diensten angegangen wurden:

  • Kleine Kommunen – Kommunikation mit den Bürgern
  • Kleine Kommunen – Tourismusförderung
  • Mittlere Kommune – Bauleitplanung und Bauinformation
  • Landkreis – Rekrutierung von dringend benötigten Fachkräften
  • Verwaltungsgemeinschaft – Wirtschaftsförderung und Standortattraktivität
  • Kreisfreie Stadt – Katastrophenschutz und Selbstorganisation
  • Kreisfreie Stadt und Landkreis – Portal für offene Daten
  • Bezirk – Pflegewegweiser für die Altenpflege

6. Handlungsrahmen für den kommunalen Einsatz von Web 2.0-Diensten

Zusammenfassend betrachtet sollten IT-Entscheider unabhängig von den favorisierten Web 2.0-Diensten den folgenden Handlungsrahmen beachten:

  • Auch beim Einsatz von Web 2.0-Technologien müssen Ziele gesetzt und klare Strategien ausgearbeitet werden, um die Umsetzung messbar und steuerbar zu gestalten.
  • Die mit Web 2.0-Diensten einhergehenden Veränderungen sind innerhalb der Verwaltung klar zu kommunizieren. Mehrwerte und der Zweck des Handelns sollten in den Vordergrund gestellt werden. Kritische Stimmen sollen gehört werden. Schließlich geht es auch um einen kulturellen Wandel.
  • Führungskräfte sollten als Vorbild vorangehen und die Veränderungen vorleben, um so die Akzeptanz für die neuartigen Lösungen in der Politik und der Verwaltung zu erhöhen.
  • Und: Web 2.0 kostet Geld. Dennoch ist es als „Mitmach-Web“ nur bedingt plan- und steuerbar.

Entscheider sollten sich bewusst sein, dass das Web 2.0 zu­nehmend ein Garant für gelebte Bürgerbeteiligung und lebendige Diskus­sionen in der Kommune sein wird – mit allen Konsequenzen, von kritischen Punkten bis hin zu sehr vielen positiven Nebeneffekten.

 

Hinweise der Redaktion

Prof. Dr. Jörn von Lucke ist Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen und Direktor des aus dem TICC (Telekom Institute for Connected Cities) hervorgegangenen The Open Government Institute (TOGI). Christian P. Geiger, M.A. in managementorientierten Politik- und Verwaltungswissenschaften, leitet bei der Stadt Ulm das bei der Zentralen Steuerung angesiedelte Referat „Grundsatzfragen ulm 2.0“  im Team IT.

Der Beitrag wurde erstveröffentlicht im Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposins (IRIS) 2014 in: Erich Schweighofer, Franz Kummer und Walter Hötzendorfer (Hrsg.): Transparenz, Tagungsband der 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions, Band 302, Österreichische Computergesellschaft, Wien 2014, S. 249 – 252. ISBN: 978-385403-302-8.

Herzlichen Dank den Autoren, Herrn Prof. Dr. Jörn von Lucke und Christian P. Geiger, sowie den Herausgebern und Veranstaltern des IRIS 2014 für die Möglichkeit, ihn hier in redigierter Form zu publizieren.

Der Beitrag fasst die Ergebnisse folgender Studie zusammen:

Christian Geiger, Jörn von Lucke, Celina Raffl, Katharina Große, Katharina Ramsauer und Isabel Jandeisek: Web 2.0 in bayerischen Kommunen, 4 Teile, Deutsche Telekom Institute for Connected Cities, Innovationsstiftung Bayerische Kommune und Zeppelin Universität gemeinnützige GmbH, Friedrichshafen/München 2013.

Die Studie ist auf den Internetseiten der Innovationsstiftung Bayerische Kommune verfügbar:

Teil 1: Handlungsrahmen für Entscheider (PDF, 10 Seiten, 245 KB)

Teil 2: Handlungsleitfaden (PDF, 85 Seiten, 1.16 MB)

Teil 3: Anwendungsszenarien und Praxisbeispiele (PDF, 48 Seiten, 552 KB)

Teil 4: Hintergründe und Grundlagen (PDF, 78 Seiten, 968 KB)

 

Net-Dokument BayRVR2014031001