Gesetzgebung

BayVerfGH: Parlamentarische Anfragen zur Beschäftigung von Familienangehörigen durch Mitglieder der Staatsregierung

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Der BayVerfGH hat zur Entscheidung vom 22. Mai 2014 über die Verfassungsstreitigkeit zwischen fünf Abgeordneten der Landtagsfraktion der SPD (Antragsteller) und der Bayerischen Staatsregierung (Antragsgegnerin) über die Frage, ob die Antworten der Bayerischen Staatsregierung auf fünf Anfragen zum Plenum vom 3. Juni 2013 (LT-Drs. 16/17008 Nrn. 1 – 5 [PDF, 625 KB, S. 1 ff.]) die Rechte aus Art. 13 Abs. 2, Art. 16 a Abs. 1 und 2 Satz 1 Bayerische Verfassung verletzen folgende Pressemitteilung veröffentlicht:

I. Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde

Nach dem Bayerischen Abgeordnetengesetz erhalten die Mitglieder des Landtags Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern zur Unterstützung der parlamentarischen Arbeit in bestimmtem Umfang aus der Staatskasse ersetzt. Im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Familienangehörigen durch Kabinettsmitglieder haben die Antragsteller in der vergangenen Legislaturperiode fünf Anfragen zum Landtagsplenum vom 3. Juni 2013 an die Bayerische Staatsregierung gerichtet. Gefragt wurde u. a. nach dem jeweiligen Abschlussdatum des Arbeitsvertrags, nach den Vertragsmodalitäten und nach der Kündigung.

Die Bayerische Staatsregierung hat eine inhaltliche Beantwortung abgelehnt. Da sich die Fragen an die Kabinettsmitglieder in ihrer Funktion als Abgeordnete des Landtags richteten, sei die Staatsregierung für eine Antwort nicht zuständig.

Die Antragsteller sind der Auffassung, hierdurch würden Art. 13 Abs. 2, Art. 16 a Abs. 1 und 2 Satz 1 Bayerische Verfassung verletzt. Aus diesen Verfassungsbestimmungen ergebe sich das Recht der anfragenden Abgeordneten auf umfassende Beantwortung durch die Staatsregierung.

II. Entscheidung

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat am 22. Mai 2014 entschieden, dass die Antworten der Staatsregierung auf die parlamentarischen Anfragen die Rechte der Antragsteller verletzen. Die Entscheidung stützt sich auf folgende Grundsätze:

  1. Verhaltensweisen von Kabinettsmitgliedern, die keinen direkten Bezug zum Aufgabenbereich und zur Tätigkeit eines Regierungsmitglieds aufweisen, können unter bestimmten Voraussetzungen Gegenstand des parlamentarischen Fragerechts sein. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn sich aufgrund der öffentlichen Diskussion über dieses Verhalten Auswirkungen auf die Amtsführung ergeben können oder wenn die Eignung für das Amt wegen der Vorbildwirkung in der Öffentlichkeit infrage steht.
  2. Die verfahrensgegenständlichen parlamentarischen Anfragen zu Beschäftigungsverhältnissen, die Kabinettsmitglieder in ihrer Funktion als Landtagsabgeordnete mit Familienangehörigen eingegangen sind, betreffen Sachverhalte, die dem Verantwortungsbereich der Staatsregierung zuzurechnen sind.

Ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs hat ein Sondervotum abgegeben.

III. Zu der Entscheidung im Einzelnen

1. Die Staatsregierung war für die Beantwortung der Anfragen zuständig.

a) Sie beziehen sich auf Beschäftigungsverhältnisse, die Kabinettsmitglieder mit Familienangehörigen eingegangen sind. Diese Kabinettsmitglieder gehörten im Zeitpunkt der Anfragen der Staatsregierung an. Es steht daher außer Frage, dass der Verantwortungsbereich der Staatsregierung in personeller Hinsicht betroffen ist.

b) In sachlicher Hinsicht geht es allerdings um Verhaltensweisen, die keinen direkten Bezug zum Aufgabenbereich und zur Tätigkeit eines Regierungsmitglieds aufweisen. Denn die betroffenen Kabinettsmitglieder haben in ihrer Funktion als Landtagsabgeordnete Mitarbeiter angestellt und sich die dadurch anfallenden Kosten erstatten lassen. Wie die Staatsregierung in ihrer jeweiligen Antwort auf die parlamentarischen Anfragen zu Recht dargelegt hat, gehört die Thematik der Beschäftigung von Familienangehörigen zur Rechtsmaterie des bayerischen Abgeordnetenrechts und damit zum klassischen Parlamentsbinnenrecht. Gleichwohl konnte die Staatsregierung die Beantwortung der Anfragen nicht mit dem Hinweis auf ihre fehlende Zuständigkeit verweigern. Dies ergibt sich aus folgenden Gründen:

aa) Gemäß Art. 45 Bayerische Verfassung werden die Staatsminister und die Staatssekretäre durch den Ministerpräsidenten mit Zustimmung des Landtags berufen. In der bayerischen Staatspraxis gehören die Mitglieder der Staatsregierung in der Regel gleichzeitig dem Landtag an, wie dies auch bei den von den Anfragen betroffenen Kabinettsmitgliedern der Fall war und nach wie vor ist. Schon wegen dieser Verknüpfung erschiene es nicht nachvollziehbar, wenn zwischen Verhaltensweisen je nachdem, ob sie in erster Linie dem Mandat oder dem Amt zuzuordnen sind, strikt unterschieden würde.

bb) Hinzu kommt, dass aus dem Verhalten im Zusammenhang mit den Regeln zur Beschäftigung von Familienangehörigen Rückschlüsse auf die persönliche Einstellung zum Umgang mit öffentlichen Mitteln gezogen werden können; dies hat auch Auswirkungen auf die Eignung für ein Regierungsamt.

Nach Art. 78 Bayerische Verfassung obliegt dem Parlament das Budgetrecht. Es ist nach dem repräsentativen System vom Volk zur umfassenden Haushaltsplanung beauftragt und wird vom Volk bei den Wahlen auch hinsichtlich der sachgerechten Mittelverwendung in die Verantwortung genommen. Den Kabinettsmitgliedern obliegt eine gesteigerte Sorgfaltspflicht im Umgang mit öffentlichen Mitteln, die noch über die eines „einfachen“ Abgeordneten hinausgeht; denn sie führen gemäß dem in Art. 51 Bayerische Verfassung verankerten Ressortprinzip ihre Geschäftsbereiche selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtag. Dies schließt insbesondere die Verwendung der dem Ressort zugewiesenen Haushaltsmittel ein. Es ist daher zu erwarten, dass Kabinettsmitglieder gerade bei Ausgaben in eigener Sache zulasten der Staatskasse besondere Sorgfalt walten lassen. Fehlt es an einem dieser Vorbildfunktion gerecht werdenden Verhalten, kann dies zugleich Folgen im Hinblick auf die Eignung für ein Regierungsamt haben, das in besonderem Maß persönliche Integrität voraussetzt.

2. Kein entgegenstehendes allgemeines Persönlichkeitsrecht 

Es ist nicht ersichtlich, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Beantwortung der Anfragen entgegenstehen würde. Bei den betroffenen Politikern handelt es sich um Personen, die aufgrund ihrer Wahl zum Abgeordneten und der Ernennung zum Regierungsmitglied ohnehin in der Öffentlichkeit stehen. Die Verhaltensweisen, auf die sich die parlamentarischen Anfragen beziehen, sind nicht dem privaten, sondern dem beruflichen Bereich zuzuordnen. Insoweit müssen die betroffenen Kabinettsmitglieder und ihre Familienangehörigen damit rechnen, die Aufmerksamkeit des die Landesregierung kontrollierenden Parlaments zu finden.

3. Umfang der Antwortpflicht 

Da die begehrten Auskünfte dem Verantwortungsbereich der Staatsregierung zuzurechnen sind, war diese zur Antwort verpflichtet. Diese Verpflichtung beschränkte sich nicht auf in den Akten enthaltene Informationen. Gegebenenfalls mussten die erforderlichen Informationen bei den Kabinettsmitgliedern eingeholt werden. § 189 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags steht dem nicht entgegen. Danach setzt die Einsicht Dritter in persönliche Akten und Abrechnungen, die beim Landtagsamt über Mitglieder des Landtags geführt werden, die Zustimmung des betroffenen Abgeordneten voraus. Es ist jedoch nicht ersichtlich, inwiefern hieraus eine Einschränkung des parlamentarischen Fragerechts abgeleitet werden könnte.

IV. Sondervotum

Ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs ist der Ansicht, die Staatsregierung sei mangels Zuständigkeit nicht verpflichtet gewesen, die parlamentarischen Anfragen zu beantworten.

BayVerfGH, Pressemitteilung v. 22.05.2014 zu der Entscheidung vom 22.05.2014, Vf. 53-IVa-13

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