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EuGH: Die Kommission darf den Zugang zu Schriftsätzen der Mitgliedstaaten im Rahmen eines Verfahrens vor dem Gerichtshof nicht automatisch mit der Begründung verweigern, dass es sich um Gerichtsdokumente handele

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Über den Zugangsantrag ist auf der Grundlage der Verordnung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zu entscheiden

Nach den Unionsverträgen hat jeder Unionsbürger[1] grundsätzlich das Recht auf Zugang zu Dokumenten[2] der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. Der Gerichtshof der Europäischen Union[3] unterliegt dieser Transparenzpflicht allerdings nur dann, wenn er Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, d. h., die Rechtsprechungstätigkeit als solche ist vom Zugangsrecht ausgeschlossen. Die Verordnung Nr. 1049/2001[4] regelt den Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission näher. Sie sieht u. a. eine Ausnahme vor, nach der diese Organe den Zugang zu einem Dokument verweigern dürfen, wenn durch dessen Verbreitung der Schutz von Gerichtsverfahren beeinträchtigt würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung. In Bezug auf Dokumente, die von einem Mitgliedstaat stammen, sieht die Verordnung vor, dass dieser Staat das Organ ersuchen kann, die Dokumente nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten.

Im März 2011 beantragte Herr Breyer bei der Kommission, ihm Zugang u. a. zu Schriftsätzen zu gewähren, die Österreich im Rahmen eines von der Kommission gegen diesen Mitgliedstaat wegen der unterbliebenen Umsetzung der Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten[5] eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens beim Gerichtshof eingereicht hatte. Dieses Gerichtsverfahren wurde mit einem Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juli 2010[6] abgeschlossen. Die Kommission verweigerte den Zugang zu diesen Schriftsätzen, von denen sie Abschriften hat, mit der Begründung, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 fielen. Herr Breyer hat daraufhin beim Gericht der Europäischen Union Klage auf Nichtigerklärung dieses ablehnenden Beschlusses erhoben[7].

Mit seinem heutigen Urteil erklärt das Gericht den ablehnenden Beschluss der Kommission für nichtig.

Nach Auffassung des Gerichts stellen die in Rede stehenden Schriftsätze keine Dokumente des Gerichtshofs dar, die als solche vom Anwendungsbereich des Rechts auf Zugang zu Dokumenten und damit vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 ausgeschlossen wären.

Es ist nämlich zu unterscheiden zwischen dem Ausschluss der Rechtsprechungstätigkeit des Gerichtshofs vom Recht auf Zugang zu Dokumenten gemäß den Verträgen und den Schriftsätzen, die im Hinblick auf ein Verfahren vor dem Gerichtshof erstellt werden. Diese Schriftsätze fallen, auch wenn sie Teil der Rechtsprechungstätigkeit des Gerichtshofs sind, nicht unter die in den Verträgen niedergelegte Ausnahme, sondern unterliegen dem Recht auf Zugang zu Dokumenten.

So geht aus der Rechtsprechung klar hervor, dass die von der Kommission erstellten und den Unionsgerichten vorgelegten Schriftsätze in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 fallen. Folglich ist auf der Grundlage dieser Verordnung und insbesondere unter Berücksichtigung der darin speziell zum Schutz von Gerichtsverfahren vorgesehenen Ausnahme[8] zu entscheiden, ob der Zugang zu einem solchen Schriftsatz gewährt werden kann.

Nach Auffassung des Gerichts gibt es keinen Grund, hinsichtlich ihrer Einbeziehung in den Anwendungsbereich des Rechts auf Zugang zu Dokumenten zwischen den von der Kommission erstellten und den von einem Mitgliedstaat stammenden Schriftsätzen zu unterscheiden. Das Gericht erinnert ferner daran, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Verordnung Nr. 1049/2001 die Urheberregel abgeschafft hat, nach der ein Antrag auf Zugang zu einem Dokument, wenn es sich im Besitz eines Organs befand und sein Urheber ein Dritter war, direkt an den Urheber dieses Dokuments zu richten war.

Das Gericht zieht hieraus den Schluss, dass die in Rede stehenden Schriftsätze in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 fallen. Allerdings gilt diese Feststellung unbeschadet der in der Verordnung vorgesehenen Ausnahmen (insbesondere in Bezug auf den Schutz von Gerichtsverfahren) und der Möglichkeit für den betreffenden Mitgliedstaat, das betreffende Organ zu ersuchen, seine Schriftsätze nicht zu verbreiten[9].

Das Gericht betont, dass sein Urteil in keiner Weise die Antwort auf die davon zu trennende Frage vorwegnimmt, ob vom Gericht selbst erstellte und einem Organ im Rahmen eines Gerichtsverfahrens übermittelte Schriftstücke (wie beispielsweise die Sitzungsprotokolle) ebenfalls in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 fallen.

Außerdem weist das Gericht darauf hin, dass es nach der Rechtsprechung weder einen Grundsatz noch eine Vorschrift gibt, wonach es den Parteien eines Verfahrens erlaubt oder untersagt wäre, ihre eigenen Schriftsätze Dritten zugänglich zu machen, und dass es abgesehen von Ausnahmefällen, in denen die Freigabe eines Schriftstücks die ordnungsgemäße Rechtspflege beeinträchtigen könnte, den Parteien grundsätzlich freisteht, ihre eigenen Schriftsätze zugänglich zu machen.

Dagegen stellt das Gericht fest, dass Herr Breyer einen Rechtsmissbrauch begangen hat, indem er bestimmte Dokumente, insbesondere die Klagebeantwortung der Kommission und ein Schreiben von ihr, mit dem er zur Entfernung dieses Schriftsatzes von seiner Website aufgefordert wird, während des vorliegenden Verfahrens im Internet veröffentlicht hat. Mit dieser Veröffentlichung hat Herr Breyer nämlich von seinem Recht auf Zugang zu den Schriftsätzen der Kommission zu anderen Zwecken als der Vertretung seiner eigenen Interessen im Rahmen dieses Verfahrens Gebrauch gemacht und daher das Recht der Kommission beeinträchtigt, ihren Standpunkt unabhängig von jedem äußeren Einfluss zu vertreten. Dies gilt umso mehr, als bei dieser Veröffentlichung für Internetnutzer die Möglichkeit bestand, Kommentare zu veröffentlichen, von denen einige der Kommission gegenüber sehr kritisch waren. Dieser Rechtsmissbrauch veranlasst das Gericht, Herrn Breyer die Hälfte seiner Kosten aufzuerlegen, obwohl der Klage stattgegeben worden ist.

EuGH, Pressemitteilung v. 27.02.2015 zum U. v. 27.02.2015, Rs. T-188/12 (Patrick Breyer / Kommission)

 

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[1] Sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsgemäßem Sitz in einem Mitgliedstaat (Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 AEUV).

[2] Unabhängig von deren Träger.

[3] Sowie die Europäische Zentralbank und die Europäische Investitionsbank. Das Organ „Gerichtshof der Europäischen Union“ umfasst den Gerichtshof, das Gericht und das Gericht für den öffentlichen Dienst.

[4] Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43).

[5] Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl. L 105, S. 54).

[6] Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juli 2010, Kommission/Österreich, C-189/09.

[7] Finnland und Schweden sind dem vorliegenden Verfahren zur Unterstützung von Herrn Breyer beigetreten.

[8] In Bezug auf diese Ausnahme hat der Gerichtshof bereits anerkannt, dass eine allgemeine Vermutung dafür besteht, dass die Verbreitung der von einem Organ in einem Gerichtsverfahren eingereichten Schriftsätze den Schutz dieses Verfahrens beeinträchtigt, solange es anhängig ist.

[9] Zur letztgenannten Möglichkeit weist das Gericht darauf hin, dass es sich nicht um ein allgemeines und unbedingtes Vetorecht handelt, aufgrund dessen der Mitgliedstaat der Verbreitung von Dokumenten, die von ihm stammen und einem Organ vorliegen, nach freiem Ermessen widersprechen könnte. Vielmehr erlaubt diese Möglichkeit es ihm, sich an der Entscheidung über die Gewährung des Zugangs zu dem fraglichen Dokument zu beteiligen; dies schließt im Hinblick auf ein Gerichtsverfahren erstellte Schriftsätze ein.