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BayVerfGH: Volksbegehren zur Legalisierung von Cannabis in Bayern nicht zugelassen

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Pressemitteilung zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 21.01.2016 über die Vorlage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr, betreffend den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens „Ja zur ‚Legalisierung von Cannabis in Bayern‘ als Rohstoff, Medizin und Genussmittel“

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung eines Volksbegehrens zur Legalisierung von Cannabis in Bayern gegeben sind. Für ihr Anliegen haben die Initiatoren über 27.000 Unterschriften gesammelt. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr hat die Zulassung des Volksbegehrens abgelehnt und daher die Sache dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr hält das Volksbegehren für nicht zulässig.

Nach seiner Ansicht berücksichtigen die Unterschriftenlisten nicht alle formellen Vorgaben der Landeswahlordnung; darüber hinaus seien auf dem Teil der Unterschriftenlisten, auf denen sich 11.055 Unterschriften befänden, bei § 16 Abs. 2 des Gesetzentwurfs die beiden letzten Worte „aufmerksam gemacht“ nicht abgedruckt. Die Begründung des Gesetzentwurfs entspreche nicht den Anforderungen, die sich aus der verfassungsrechtlich geschützten Abstimmungsfreiheit ergäben. Die in der Begründung enthaltene Behauptung, dass die Verurteilung von 60 % der Insassen der deutschen Justizvollzugsanstalten auf Betäubungsmitteldelikte zurückgehe, sei unzutreffend. Insbesondere fehle dem Freistaat Bayern die Befugnis zum Erlass von Regelungen, wie sie der Gesetzentwurf des beantragten Volksbegehrens vorsehe. Bereits vorhandene Bundesgesetze, wie z. B. das Betäubungsmittelgesetz, versperrten die Möglichkeit landesgesetzlicher Regelungen.

2. Der Beauftragte des Volksbegehrens bittet um Zulassung des Volksbegehrens. Das vorgeschlagene Bayerische Hanfgesetz füge sich vollumfänglich in die bestehende Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ein. Das aktuelle Betäubungsmittelgesetz mit seinen Straftatbeständen sei unverhältnismäßig und verletze daher das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung. Die Tatsache, dass eine Regulierung des bisherigen Schwarzmarktes für Cannabis in irgendeiner Form nach einer Umfrage von mindestens einem Drittel der Gesamtbevölkerung gewünscht werde, mache es erforderlich, in Bayern darüber durch ein Volksbegehren abstimmen zu lassen.

III.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat am 21. Januar 2016 entschieden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens nicht gegeben sind. Die Entscheidung stützt sich im Wesentlichen auf folgende Erwägung:

Der dem Volksbegehren zugrunde liegende Gesetzentwurf ist mit Bundesrecht unvereinbar, da dem Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz fehlt. Bereits vorhandene Bundesgesetze zum Betäubungsmittel-, Arzneimittel-, Straf- und Straßenverkehrsrecht versperren die Möglichkeit einer landesrechtlichen Regelung.

Ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs hat ein Sondervotum abgegeben.

Zu der Entscheidung im Einzelnen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß Art. 67 Bayerische Verfassung i. V. m. Art. 64 Abs. 1 Satz 1 Landeswahlgesetz über die Zulassung des Volksbegehrens zu entscheiden.

a) In ständiger Rechtsprechung misst er dabei den Gesetzentwurf des Volksbegehrens nicht nur an der Bayerischen Verfassung, sondern überprüft ihn auch daraufhin, ob er mit Bundesrecht, insbesondere mit den Kompetenznormen des Grundgesetzes, vereinbar ist. Der Sinn dieser Überprüfung liegt darin, solche Volksbegehren zu vermeiden, bei denen von vornherein ohne jeden ernsthaften Zweifel davon auszugehen ist, dass das Gesetz nach einem erfolgreichen Volksentscheid wegen Verstoßes gegen Bundesrecht vom Bundesverfassungsgericht oder vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof für nichtig erklärt werden müsste.

b) Entgegen der vom Beauftragten des Volksbegehrens geäußerten Auffassung bestehen keine Zweifel daran, dass die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes für das Gebiet des Freistaates Bayern gelten.

Zwar hat der Bayerische Landtag in seiner Sitzung am 20. Mai 1949 – im Gegensatz zu den übrigen Ländern – dem Grundgesetz die Zustimmung versagt. Rechtliche Relevanz hatte dies jedoch nicht. Nach seinem Art. 144 Abs. 1 bedurfte das Grundgesetz für das Inkrafttreten am 24. Mai 1949 lediglich der Annahme durch die Volksvertretungen von zwei Dritteln der damaligen Länder. Dieser Rechtslage trug ein weiterer Beschluss des Bayerischen Landtags vom 20. Mai 1949 Rechnung, der die Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes auch für Bayern anerkannte.

Angesichts dieser Rechtslage ist nicht erkennbar, inwiefern der Einwand des Beauftragten des Volksbegehrens, der Bayerische Landtag habe wegen des im Jahr 1949 bestehenden „alliierten Zwangs“ keine autonome Entscheidung treffen können, im Hinblick auf die Geltung des Grundgesetzes in Bayern von Bedeutung sein könnte. Ebenso wenig ist eine Rechtsgrundlage für eine lediglich partielle oder eingeschränkte Gültigkeit des Grundgesetzes im Freistaat Bayern ersichtlich.

c) Die Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof beschränkt sich darauf, ob der Landesgesetzgeber rechtlich zum Erlass der hier zu beurteilenden Regelungen befugt ist. Der Verfassungsgerichtshof hat dagegen nicht darüber zu befinden, ob die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen sachgerecht, zweckmäßig, angemessen und praktikabel sind. Für die Entscheidung ist daher nicht maßgeblich, wie die Legalisierung von Cannabis rechtspolitisch zu bewerten wäre.

2. Die Regelungen des dem Volksbegehren zugrunde liegenden Gesetzentwurfs sind mit Bundesrecht unvereinbar, da dem Landesgesetzgeber die erforderliche Gesetzgebungskompetenz fehlt. Bereits vorhandene bundesgesetzliche Normierungen zum Betäubungsmittel-, Arzneimittel-, Straf- und Straßenverkehrsrecht versperren die Möglichkeit einer landesrechtlichen Regelung.

a) Der Gesetzentwurf des Volksbegehrens enthält Bestimmungen zum Anbau von Cannabis, zur Verteilung, zum Verkauf, Erwerb, Besitz und Konsum von Cannabis und Cannabisprodukten, zur Werbung für solche Produkte, zu ihrer Verwendung für medizinische Zwecke sowie zu den straf-, ordnungswidrigkeiten- und verkehrsrechtlichen Folgen des Besitzes und Konsums von Cannabis und Cannabisprodukten. Diese Regelungen sind dem Betäubungsmittel-, Arzneimittel-, Straf- und Straßenverkehrsrecht gemäß 74 Abs. 1 Nrn. 1, 19 und 22 Grundgesetz und damit der konkurrierenden Gesetzgebung zuzuordnen. In diesem Bereich haben gemäß Art. 72 Abs. 1 Grundgesetz die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit keinen Gebrauch gemacht hat. Demnach sind landesrechtliche Regelungen grundsätzlich ausgeschlossen, wenn ein Bundesgesetz eine bestimmte Materie abschließend regelt.

b) Regelungen, die dieselben Materien wie der Gesetzentwurf des Volksbegehrens betreffen, sind in mehreren Bundesgesetzen enthalten.

Für die Beurteilung des Volksbegehrens ist vor allem das Betäubungsmittelgesetz von Bedeutung. Diesem Bundesgesetz liegt das vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß gebilligte Konzept einer umfassenden Kontrolle des Umgangs mit Betäubungsmitteln und deren strafrechtlicher Absicherung zugrunde. Das Bundesverfassungsgericht hat u. a. entschieden, dass die Strafbewehrung des Erwerbs und Besitzes von Cannabisprodukten zum Eigenverbrauch nicht gegen das Übermaßverbot verstößt.

Für betäubungsmittelhaltige Arzneimittel gilt ferner das Arzneimittelgesetz. Die Vorschriften der §§ 315 c und 316 Strafgesetzbuch sind insoweit von Bedeutung, als danach strafbar ist, wer im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses von Cannabis nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Gemäß § 24 a Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung von Cannabis im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Im Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabis kommt auch die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Strafgesetzbuch oder nach § 3 Straßenverkehrsgesetz i. V. m. der Fahrerlaubnis-Verordnung in Betracht.

Nach der Gesamtkonzeption dieser Normen hat der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht und den Umgang mit Betäubungsmitteln umfassend und lückenlos geregelt. Landesrechtliche Regelungen zur selben Materie sind daher generell ausgeschlossen, unabhängig davon, ob sie dem Bundesrecht – wie die überwiegende Zahl der Vorschriften des Gesetzentwurfs des Volksbegehrens – offenkundig widersprechen oder dieses nur ergänzen.

3. Da das Volksbegehren bereits aus den dargelegten Gründen nicht zugelassen werden kann, kommt es auf die Frage, ob wegen der Ausgestaltung der Unterschriftenlisten sowie der Begründung des Gesetzentwurfs auch formelle Bedenken gegen die Durchführung des Volksbegehrens bestehen, nicht mehr an. Ebenfalls dahingestellt bleiben kann, ob der Gesetzentwurf des Volksbegehrens gegen völkervertragliche Verpflichtungen oder gegen Europarecht verstößt.

Sondervotum

Ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs ist der Ansicht, die Sache hätte dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG vorgelegt werden müssen.

BayVerfGH, Pressemitteilung v. 21.01.2016 zur E. v. 21.01.2016, Vf. 66-IX-15

Redaktioneller Hinweis: Zu weiteren Meldungen und Stellungnahmen im Kontext „Legalisierung von Cannabis in Bayern“ vgl. hier. Auf der Website des BayVerfGH ist bereits der Volltext der Entscheidung eingestellt (unter „Ausgewählte Entscheidungen“).