Gesetzgebung

Das neue Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) – ein Überblick

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Terrorismus_Fotolia_39217154_S_copyright - pass IIvon Priv.-Doz. Dr.iur. Dipl.sc.pol.Univ. Thomas Holzner, Akademischer Oberrat a.Z.

Am 16. Februar 2016 wurde von der bayerischen Staatsregierung ein Gesetzentwurf zur Reformation des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (BayVSG) verabschiedet.[1] Ziel ist es, das BayVSG einer grundlegenden Revision und Neustrukturierung zu unterziehen, nachdem das BayVSG von 1990 bereits mehrfach Änderungen insbesondere aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfahren hat.[2]

Aber nicht nur die höchstrichterliche Rechtsprechung hat zu dieser Novellierung geführt, sondern auch die aktuelleren Ereignisse gaben Anlass dazu, die Arbeit des Verfassungsschutzes und die Zusammenarbeit mit den Polizei- und Sicherheitsbehörden zu überprüfen und zu verbessern. So gaben insbesondere die Mängel der Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten mit Polizei- und Sicherheitsbehörden vor dem Hintergrund der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, wie sie sich insbesondere durch die Aufarbeitung im Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags[3] und der von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren eingesetzte Bund-Länder-Kommission „Rechtsterrorismus“ (BLKR) gezeigt hatten, den Anstoß zu einer grundlegenden Reform des Verfassungsschutzes.[4] Und auch der islamistische Terrorismus und seine Folgewirkungen, dessen hohes Bedrohungs- und Gefährdungspotenzial sich zuletzt in den Anschlägen von Paris am 13. November 2015 gezeigt hatte, verdeutlichte die Notwendigkeit einer funktionsfähigen Sicherheitsarchitektur.[5] Gleichzeitig soll durch die Novellierung die Akzeptanz der Arbeit des Verfassungsschutzes in der Bevölkerung verbessert werden.[6]

Einer der Schwerpunkte der Novellierung des BayVSG liegt daher in der Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG zur Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden und der Polizei. Hierzu hat das BVerfG in seinem Urteil zum Antiterrordateigesetz vom 24. April 2013[7] ein „informationelles Trennungsprinzip“ entwickelt, dem Verfassungsrang zukommt und das dieser Informationsübermittlung Grenzen setzt. Hiernach unterliegen Regelungen, die den Austausch von Daten der Polizeibehörden und Nachrichtendienste ermöglichen, hinsichtlich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen.[8] Daten dürfen daher zwischen den Nachrichtendiensten und Polizeibehörden grundsätzlich nicht ausgetauscht werden. Nur ausnahmsweise ist die Durchbrechung der Datentrennung möglich. Dabei erfordert eine solche Ausnahme aufgrund ihrer besonders schweren Grundrechtsintensität, die insbesondere dann gegeben ist, wenn diese Durchbrechung zur operativen Aufgabenwahrnehmung erfolgt, ein „herausragendes öffentliches Interesse“. Voraussetzung hierfür ist, dass die Eingriffsschwellen ausreichend konkret und qualifiziert normativ determiniert sind und auch die Eingriffsschwellen für die Erlangung der Daten hierbei nicht unterlaufen werden.[9]

So wird nun durch das BayVSG n.F. zum einen das Trennungsprinzip normiert, indem das Landesamt für Verfassungsschutz als eigenständige Landesoberbehörde unter der Aufsicht des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr ausgestaltet ist, Art. 1 BayVSG n.F., und damit organisatorisch von der Polizei i.S.d. POG getrennt ist. Diese Trennung setzt sich auch in den Befugnissen der Art. 5 ff. BayVSG n.F. fort. Darüber hinaus werden in Umsetzung des Urteils des BVerfG die Befugnisse des Verfassungsschutzes neu definiert und insbesondere die Informationsübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz mit Art. 23 BayVSG n.F. einer Neuregelung zugeführt, die in einem Numerus clausus definiert, wann ein derartig „herausragendes öffentliches Interesse“ an der Übermittlung besteht. Gleichzeitig werden die Voraussetzungen zur Informationserhebung an der Rechtsprechung des BVerfG ausgerichtet. Dabei lehnt sich diese Regelung an § 19 BVerfSchG an, welcher die Rechtsprechung des BVerfG bereits umsetzt.[10]

Neu ist dagegen die Befugnis, dass auch dem Verfassungsschutz Zugriff auf die Verkehrsdaten eingeräumt wird, die im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung nach dem Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10. Dezember 2015 von Telekommunikationsanbietern befristet gespeichert werden müssen, Art. 13 Abs. 3 BayVSG n.F. Bzgl. der Voraussetzungen eines solchen Zugriffs verweist Art. 13 Abs. 3 BayVSG n.F. auf den Tatbestand des § 113c Abs. 1 Nr. 2 TKG. Hiernach dürfen die auf Grund des § 113b TKG gespeicherten Daten an eine Gefahrenabwehrbehörde übermittelt werden, soweit diese die Übermittlung unter Berufung auf eine gesetzliche Bestimmung, die ihr eine Erhebung dieser Daten zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes erlaubt, verlangt. Problematisch ist dabei, dass § 113c TKG Gefahrenabwehrbehörden mit Eingriffsbefugnissen im Auge hat, da nur diese zur Abwehr von konkreten Gefahren in der Lage sind, während dem Verfassungsschutz die Aufgabe zukommt, im Vorfeld Gefährdungslagen aufzuklären.[11] Hierzu hat er zu beobachten sowie Informationen zu sammeln und auszuwerten, vgl. Art. 3 BayVSG n.F. i.V.m. § 3 BVerfSchG, es stehen ihm jedoch keinerlei Befugnisse zur Abwehr konkreter Gefahren zu, so dass diese Rechtsgrundverweisung ins Leere geht. Und auch die Auffassung, die im Gesetzentwurf vertreten wird und nach der die „Abwehr von Gefahren für den Bestand des Bundes oder eines Landes“ zu den „zentralen Aufgaben“ des Verfassungsschutzes gehören,[12] vermag nicht zu überzeugen, da die Aufklärung und Auswertung von Informationen nur die Vorstufe von Gefahrenabwehrmaßnahmen darstellen. Vielmehr wäre eine derart weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Abwehr“, welche die Aufklärung und Auswertung i.S. verfassungsschützender Tätigkeit beinhalten würde, nicht nur mit Blick auf die Auslegung von § 113c TKG, sondern auch vor den bayerischen Regelungen der Art. 6 ff. LStVG sowie Art. 2 und 11 ff. PAG systemwidrig, womit sie dem für die Novellierung erklärten Ziel der Vereinheitlichung mit anderer Sicherheitsgesetzen zuwiderlaufen würde. Es wäre insoweit vielleicht ratsam, den Verweis auf § 113c TKG als Rechtsfolgenverweis auszugestalten und die engen Tatbestandsvoraussetzungen, unter denen ein Datenzugriff möglich sein kann, insbesondere die Aufklärung des Vorliegens einer konkreten Gefahr für die genannten qualifizierten Rechtsgüter in Art. 13 Abs. 2 S. 1 BayVSG n.F. spezifisch für den Verfassungsschutz zu normieren.

Neben diesen Verweisen auf die Vorratsdatenspeicherung enthält das BayVSG n.F. auch eine Vielzahl weiterer Verweise auf andere Sicherheitsgesetze, wodurch ersichtlich wird, dass die Staatsregierung bemüht ist, das BayVSG n.F. in den Regelungskontext anderer Sicherheitsgesetze einzustellen. So lehnt es sich bzgl. der Aufgabenbeschreibung und den Begriffsbestimmungen in den Art. 2 und 3 BayVSG n.F. an die Regelungen der §§ 1 bis 4 BVerfSchG an, wie auch das BayVSG n.F. auf die Zusammenarbeit der Dienste besonderes Gewicht legt und damit den §§ 1 und 2 BVerfSchG entspricht. Gleichzeitig werden grundrechtsintensive nachrichtendienstliche Mittel z.B. an die Anforderungen der StPO gekoppelt, wie dies mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Wohnraumüberwachung nach Art. 8 S. 1 Nr. 1 BayVSG n.F. der Fall ist. Bzgl. des Verfahrens und der materiellen Grenzen der nachrichtendienstlichen Mittel werden die dynamischen Verweise auf die Anforderungen, die das Artikel 10-Gesetz (G 10) bereithält, im Vergleich zum geltenden BayVSG ausgeweitet. So finden sich Verweise beim verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Wohnraumüberwachung, Art. 8 S. 2, Art. 10 Abs. 2 S. 3 BayVSG n.F., bei der Ortung von Mobilfunkendgeräten, Art. 11 Abs. 2 BayVSG n.F., sowie beim Zugriff auf Vorratsdaten, Art. 13 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 BayVSG n.F.

Besondere Beachtung verdient die erstmalige Normierung des Einsatzes von verdeckten Ermittlern, Art. 16 BayVSG n.F., und von Vertrauensleuten (V-Leuten), Art. 17 BayVSG n.F. „Richtschnur“ [13] für diese Regelungen war die in der Öffentlichkeit stark diskutierte Normierung des Einsatzes von verdeckten Mitarbeitern und V-Leuten durch das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes vom 17. November 2015.[14] Insoweit lehnen sich die Art. 16 und 17 BayVSG n.F. bzgl. der Regelung des Einsatzrahmens an die §§ 9a und 9b BVerfSchG an. In Art. 16 Abs. 2 BayVSG n.F. werden die Schranken des Einsatzes von verdeckten Mitarbeitern und V-Leuten normiert. So dürfen diese u.a. weder Bestrebungen der Organisierten Kriminalität im Geltungsbereich des Grundgesetzes i.S.v. Art. 3 BayVSG n.F. initiieren, noch steuernd auf diese einwirken. Ebenso ausgeschlossen ist die Begehung von Handlungen, die in Individualrechte, wie Leben, körperliche Unversehrtheit oder Eigentum, eingreifen. Andere Straftaten, die von den an den Bestrebungen Beteiligten erwartet werden und daher zur Gewinnung und Sicherung von Nachrichtenzugängen unumgänglich sind, dürfen dagegen begangen werden, sofern sie verhältnismäßig zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts sind. Für derartige Handlungen enthalten die Art. 16 Abs. 2 S. 3 i.V.m. Art. 17 Abs. 1 BayVSG n.F. einen Rechtfertigungsgrund.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das neue BayVSG durchaus in der Lage ist, die Arbeit des Verfassungsschutzes normativ abzusichern, indem es nicht nur die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung normiert, sondern auch den Regelungskontext anderer Sicherheitsgesetze berücksichtigt und die in jüngster Zeit problematischen Fälle der Einsätze von verdeckten Ermittlern und von V-Leuten sowie den Zugriff auf Daten normiert. Insoweit erfährt das Landesamt für Verfassungsschutz eine Stärkung, die auch zu höherer Akzeptanz beitragen kann, wodurch der Gesetzentwurf seine Ziele erreichen kann.

Net-Dokument BayRVR2016040501; Titelbild: (c) XtravaganT – Fotolia.com

Redaktionelle Anmerkungen

Holzner_ThomasDr.iur. Dipl.sc.pol.Univ. Thomas Holzner ist Privatdozent und Akademischer Oberrat a.Z. am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Universität Bayreuth und vertritt derzeit eine Professur für Öffentliches Recht, Verwaltungsrecht und Sozialrecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Verfahrensverlauf, aktueller Stand, ggfls. Stellungnahmen zum Gesetzentwurf: hier (dynamischer Link, d.h. stets aktuell; Lesungen im Landtag sind dabei stets mit einem Foto des Maximilianeums gekennzeichnet, redaktionelle Beiträge mit einer sonstigen Abbildung).

Der BayRVR-Wochenspiegel (erscheint montags) enthält neben jüngst veröffentlichten Leitsatzentscheidungen auch einen Überblick über die im Freistaat Bayern laufenden Gesetzgebungsverfahren (Verfahrensverlauf, aktueller Stand, ggfls. Stellungnahmen), soweit diese voraussichtlich eine parlamentarische Mehrheit finden werden.

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[1] LT-Drs. 17/10014 (PDF).

[2] LT-Drs. 17/10014, S. 2 (PDF).

[3] LT-Drs. 16/17740 (PDF, 12.6 MB).

[4] LT-Drs. 16/10014, S. 1 (PDF).

[5] LT-Drs. 17/10014, S. 1 (PDF).

[6] LT-Drs. 17/10014, S. 2 (PDF).

[7] BVerfGE 133, 277 ff.

[8] BVerfGE 133, 277 (Ls. 2).

[9] BVerfGE 133, 277 Rn. 123.

[10] Ebenso ist die Regelung von Übermittlungsverboten in Art. 15 BayVSG n.F. der Bundesnorm des § 23 BVerfSchG entlehnt.

[11] BVerfGE 133, 277 Rn. 116 ff.

[12] LT-Drs. 17/10014, S. 36 (PDF).

[13] LT-Drs. 17/10014 (PDF).

[14] BGBl. I S. 1938.