Gesetzgebung

Deutscher Städtetag: Städte unterstützen eigenes Leistungsrecht für Menschen mit Behinderung und fordern seriöse Kostenschätzung und Kompensation

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Die deutschen Städte unterstützen ein eigenes Leistungsrecht für Menschen mit Behinderung und begrüßen das Anliegen der Bundesregierung, das geltende Recht im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention weiterzuentwickeln. Für richtig halten die Städte auch die Absicht, in einem Bundesteilhabegesetz sowohl den Leistungsträgern zu ermöglichen, die Angebote besser zu steuern, als auch den stetigen Ausgabenanstieg der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung innerhalb der kommunalen Sozialhilfe zu dämpfen. Der vorliegende Referentenentwurf erfülle diese Erwartungen allerdings nicht, machte der Deutsche Städtetag heute in Berlin nach Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss deutlich.

Der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly aus Nürnberg, sagte:

Ein eigenes Leistungsrecht für Menschen mit Behinderung außerhalb der Sozialhilfe ist richtig und wird auch von den Städten gefordert. Das neue Gesetz muss dem Grundsatz der Inklusion Rechnung tragen, also der gleichberechtigten Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in alle Leistungsrechte und alle Lebensbereiche. Diskriminierungen bei Leistungen oder Lebenschancen wegen einer Behinderung sind nicht hinnehmbar und müssen endlich abgeschafft werden. Hierzu müssten sich die jeweiligen Lebensbereiche wie die gesundheitliche Versorgung und die Schulen stärker für die Belange der Menschen mit Behinderungen öffnen.“

Konkret lobte Maly die im Gesetzentwurf angestrebte Trennung der Fachleistungen für Menschen mit Behinderung von Leistungen für ihren Lebensunterhalt, auch wenn im Einzelnen eine noch trennschärfere Abgrenzung notwendig erscheint.

Nehme man den zentralen Leitgedanken der UN-Behindertenkonvention nach Inklusion ernst, müssten sich vor allem die Regelsysteme der Sozialversicherungen für Menschen mit Behinderung mehr öffnen, um die Belange dieser Menschen von vornherein und ohne die Inanspruchnahme von Sondersystemen wie der Eingliederungshilfe zu berücksichtigen.

Der Gesetzentwurf verspricht dagegen neue Leistungen, beispielsweise für Mobilität und Assistenz, die mehr Menschen als bisher nutzen werden. Dies wird voraussichtlich bei den Trägern der Eingliederungshilfe und damit vor allem bei den Kommunen für erhebliche Mehrkosten sorgen, ohne dass ein Ausgleich vorgesehen ist. Dabei darf es nicht bleiben“, so Maly.

Die Ausgaben für die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen betrugen im Jahr 2014 insgesamt 16,4 Milliarden Euro und steigen jedes Jahr um rund 1 Milliarde Euro weiter an. Mit dem bisher vorliegenden Gesetzentwurf kann diese Ausgabendynamik keinesfalls eingedämmt werden, da den Leistungsausweitungen in der Eingliederungshilfe keine entsprechenden Einsparpotentiale durch die Verpflichtung vorrangiger Leistungsträger oder durch bessere Steuerungsmechanismen gegenüberstehen.

Die neuen Regelungen lassen vielmehr massive Mehrkosten für die Träger der Eingliederungshilfe und auch bei der Hilfe zur Pflege befürchten, die durch die veranschlagten Minderausgaben keinesfalls kompensiert werden können. Konkret geht es dabei vor allem um diese Punkte:

  • Der leistungsberechtigte Personenkreis wird neu definiert und dabei ausgeweitet, so dass mehr Menschen zukünftig Leistungen in Anspruch nehmen können.
  • Der Gesetzentwurf sieht neue Leistungen vor, beispielsweise neue Formen bei der Hilfe zur Arbeit. Das Budget für Arbeit wird flächendeckend eingeführt, neben den seit langem bestehenden Werkstätten für Menschen mit Behinderung werden andere Leistungsanbieter zugelassen. Dadurch werden mehr Menschen als bislang Leistungen in Anspruch nehmen. Die Schätzung des Ministeriums geht lediglich von 100 Millionen Euro ab 2020 aus. Die Städte sehen dagegen ein erhebliches Kostenrisiko, da gerade die Personenkreise, die die Werkstätten nicht nutzen, die neuen Alternativen aufgreifen werden. Auch im Bereich der Bildung, der Mobilität und der Assistenz werden neue Leistungen eingeführt, anstatt die vorrangigen Leistungssysteme auf die Belange von Menschen mit Behinderungen auszurichten.
  • Auch die Annahme, die Träger der Eingliederungshilfe könnten durch mehr Effizienz ab 2020 Mehrkosten in Höhe von 100 Millionen Euro ausgleichen, kann der Deutsche Städtetag nicht nachvollziehen.
  • Außerdem sieht der Entwurf vor, die anrechnungsfreien Beträge beim Einkommen und Vermögen zu erhöhen und prognostiziert dafür Mehrkosten von 351 Millionen Euro im Jahr 2020. Die Städte rechnen damit, dass die Kosten erheblich höher liegen, weil deutlich mehr neue Leistungsberechtigte hinzukommen dürften als im Gesetzentwurf angenommen.

„Die Städte fordern neben inhaltlichen Korrekturen eine seriöse und nachvollziehbare Berechnung der finanziellen Auswirkungen des Referentenentwurfs, also eine Kostenfolgenabschätzung. Ziel muss es sein, neue Leistungen seriös gegen zu finanzieren“, machte der Vizepräsident des Deutschen Städtetages abschließend deutlich.

Deutscher Städtetag, Pressemitteilung v. 23.06.2016

Redaktioneller Hinweis: Stellungnahmen im Kontext „Bundesteilhabegesetz“.