Gesetzgebung

BayVGH: Hohenbrunn muss Straßenausbaubeiträge erheben

Mit heutigem Urteil hat der BayVGH die Berufung der Gemeinde Hohenbrunn gegen ein Urteil des VG München vom 28.10.2014 zurückgewiesen. Das Landratsamt München hat zu Recht beanstandet, dass der Hohenbrunner Gemeinderat die Aufhebung der gemeindlichen Straßenausbaubeitragssatzung beschlossen hat.

Nach dem Wortlaut des Kommunalabgabengesetzes „sollen“ für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen Beiträge erhoben werden [red. Hinweis: Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG]. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH habe „sollen“ grundsätzlich verbindlichen Charakter, es sei denn, es liege ein atypischer Ausnahmefall vor. Ob dies der Fall sei, lasse sich nur im Einzelfall beurteilen. Von Bedeutung sei, dass die Gemeindeordnung die Reihenfolge festlege, nach der sich Städte und Gemeinden ihre erforderlichen Einnahmen zu beschaffen hätten. Hiernach seien Steuern und Kredite gegenüber der Erhebung von Beiträgen nachrangig. Der Gesetzgeber gehe insoweit von dem Grundsatz aus, dass derjenige, der durch eine kommunale Einrichtung einen Sondervorteil erhalte – hier also der jeweilige Eigentümer eines an der Straße gelegenen Grundstücks – die entstehenden Kosten in vertretbarem Umfang tragen solle. Es verbleibe nur ein sehr begrenzter Bereich, innerhalb dessen eine Gemeinde auf den Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung verzichten könne. Namentlich genüge es nicht, dass eine Gemeinde „haushaltsmäßig“ mehr oder weniger gut dastehe und sich den Beitragsausfall „finanziell leisten“ könne. Eine atypische Situation komme vielmehr nur in Betracht, wenn die Gemeinde die Reihenfolge der Einnahmequellen einhalte und trotz des Beitragsverzichts sowohl die stetige Aufgabenerfüllung als auch die dauernde Leistungsfähigkeit sichergestellt seien. In Betracht zu ziehen sei eine atypische Situation ferner, wenn der Verwaltungsaufwand für die Beitragserhebung die Beitragseinnahmen so wesentlich übersteige, dass durch den Verzicht auf die Beitragserhebung die Einsparung von Kosten möglich sei.

Hinsichtlich Hohenbrunn liege keine atypische Situation vor. Der Haushalt der Gemeinde sei auch mittelfristig nicht unerheblich kreditfinanziert. Zudem erziele Hohenbrunn einen wesentlichen Teil seiner Einnahmen aus gemeindlichen Steuern, insbesondere aus der Gewerbesteuer. Schließlich sei nicht ersichtlich, dass die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen für die Gemeinde generell nur defizitär durchgeführt werden könne. Durch den Verzicht auf deren Erhebung verlagere Hohenbrunn die Finanzierung von Straßenbaumaßnahmen von den Begünstigten auf die Allgemeinheit, insbesondere auf die Steuerpflichtigen. Dass den Gemeinden gerade wegen des Nachrangs der Steuereinnahmen hinter den Beitragseinnahmen in aller Regel der Verzicht auf eine Straßenausbaubeitragssatzung verwehrt sein dürfte, entspreche dem Zweck des Gesetzes.

Der BayVGH hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann beim BVerwG in Leipzig Beschwerde eingelegt werden.

BayVGH, Pressemitteilung v. 09.11.2016 zum Urt. v. 09.11.2016, 6 B 15.2732 (Volltext [PDF])

Redaktionelle Anmerkungen

Ursprünglich verfügte die Gemeinde Hohenbrunn über eine Straßenausbaubeitragssatzung. Aufgrund der guten Finanzlage schien dem Gemeinderat eine solche jedoch entbehrlich und er beschloss eine Aufhebungssatzung. In dem Verfahren wendete sich die klagende Gemeinde Hohenbrunn gegen die Anordnung des LRA München, mit der die Aufhebung der Ausbaubeitragssatzung rechtsaufsichtlich beanstandet und die Gemeinde verpflichtet wurde, den Aufhebungsbeschluss des Gemeinderats aufzuheben und eine neue Beitragssatzung zu erlassen. Das VG München hatte die Klage im Wesentlichen abgewiesen (M 2 K 14.1641). Mehrere ähnliche Verfahren, schwerpunktmäßig im südbayerischen Raum, sind vor den Verwaltungsgerichten rechtshängig, dem Verfahren vor dem BayVGH kommt insoweit Pilotwirkung zu.

Der BayVGH hat folgende Leitsätze formuliert:

  1. Die Gemeinden sind nach der Soll-Vorschrift des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG grundsätzlich verpflichtet, für die Erneuerung oder Verbesserung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen (Straßenausbau-)Beiträge von den Eigentümern und Erbbauberechtigten der bevorteilten Grundstücke zu erheben und insbesondere eine entsprechende Beitragssatzung zu erlassen.
  2. Nur unter besonderen – atypischen – Umständen darf eine Gemeinde von der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen absehen und dadurch die Finanzierung beitragsfähiger Straßenbaumaßnahmen von den Begünstigten vollständig auf die Allgemeinheit verlagern. Für die Beurteilung, ob ein solcher atypischer Fall vorliegt, ist ihr kein Spielraum eingeräumt; sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch die Rechtsaufsichtsbehörden und Gerichte. Unter Berücksichtigung der in Art. 62 Abs. 2 und 3 GO festgelegten Grundsätze der Einnahmebeschaffung verbleibt nur ein sehr eng begrenzter Bereich, innerhalb dessen vom Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung abgesehen werden kann.
  3. Besondere – atypische – Umstände, aufgrund derer ausnahmsweise vom Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung abgesehen werden kann, liegen grundsätzlich nicht vor, wenn eine Gemeinde – in nicht unerheblichem Umfang – Kredite aufnimmt oder Steuern einnimmt.
  4. Es ist kein tragfähiger sozialer oder finanzwirtschaftlicher Grund ersichtlich, aus dem eine Gemeinde zugunsten der Eigentümer und Erbbauberechtigten der von beitragsfähigen Straßenbaumaßnahmen bevorteilten Grundstücke auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen mit der Folge verzichten darf, dass die in Rede stehenden Mittel von Anderen aufgebracht werden müssen oder zur Erfüllung anderer gemeindlicher Aufgaben fehlen.