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BayVGH: Zuweisung an eine andere Volksschule als Ordnungsmaßnahme

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Der 2004 geborene Schüler (Antragsteller) wurde zum Schuljahr 2010/2011 eingeschult und besuchte seither eine Grundschule in Regensburg. Bereits in der ersten Jahrgangsstufe kam es zunehmend zu Auffälligkeiten und Regelverstößen, insbesondere zu Störungen des Unterrichts, aggressivem und provozierendem Verhalten und körperlichen Auseinandersetzungen mit Mitschülern.

Trotziger BurscheZum Sachverhalt

Der 2004 geborene Schüler (Antragsteller) wurde zum Schuljahr 2010/2011 eingeschult und besuchte seither eine Grundschule in Regensburg. Bereits in der ersten Jahrgangsstufe kam es zunehmend zu Auffälligkeiten und Regelverstößen, insbesondere zu Störungen des Unterrichts, aggressivem und provozierendem Verhalten und körperlichen Auseinandersetzungen mit Mitschülern. Hierüber hat die Schule die Eltern des Antragstellers mehrfach informiert und die Verstöße teilweise mit Verweisen und mit einem verschärften Verweis geahndet. In der zweiten Jahrgangsstufe setzten sich die Auffälligkeiten nach kurzzeitiger Besserung fort und hatten unter anderem einen dreitägigen Ausschluss vom Unterricht zur Folge. Schließlich hat die Schulaufsichtsbehörde den Antragsteller einer anderen Grundschule in Regensburg zugewiesen. Gegen den sofort vollziehbaren Zuweisungsbescheid hat der Anstragsteller Klage erhoben und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt, die das VG zurückgewiesen hat.

 Zur Entscheidung des BayVGH

Der BayVGH hat entschieden, dass das VG die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zurecht abgelehnt hat, weil nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage davon auszugehen sei, dass die Klage keinen Erfolg habe. Als Leitsatz hat der BayVGH formuliert:

Schweres oder wiederholtes Fehlverhalten durch häufige Störungen des Unterrichts, aggressives und provozierendes Verhalten und körperliche Auseinandersetzungen mit Mitschülern kann auch bei einem Grundschüler in der zweiten Jahrgangsstufe die Zuweisung an eine andere Grundschule rechtfertigen, wenn andere Maßnahmen nicht zum gewünschten erzieherischen Erfolg geführt haben.

Ausführungen des BayVGH zum Prüfungsmaßstab

Nach Art. 86 Abs. 1 BayEUG können (nach pädagogischem Ermessen) zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags oder zum Schutz von Personen und Sachen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Ordnungsmaßnahmen gegenüber Schülerinnen und Schülern getroffen werden, soweit andere Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen. Die gemäß Art. 86 Abs. 14 BayEUG sofort vollziehbare Zuweisung an eine andere Pflichtschule der gleichen Schulart greife empfindlich in die Rechtsstellung des betroffenen Schülers ein und sei deshalb nur zulässig, wenn der Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet habe.

Für die Ausübung des pädagogischen Ermessens komme es unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit vor allem darauf an, ob und in welchem Maß das Verhalten des Schüles die Erfüllung des Schulzwecks oder die Rechte anderer gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt hat. Diese neben der objektiven Feststellung und Gewichtung der Schwere des Fehlverhaltens vorwiegend nach pädagogischen Gesichtspunkten vorzunehmende Beurteilung der Person und des Verhaltens des betreffenden Schülers entziehe sich allerdings einer vollständigen Erfassung nach rein rechtlichen Kriterien und bedinge daher einen Wertungsspielraum des zuständigen Schulgremiums. In diesen Bereich spezifischpädagogischer Wertungen und Überlegungen hätten die Verwaltungsgerichte nicht korrigierend einzugreifen; sie könnten nicht anstelle des zuständigen Gremiums der Schule eigene pädagogische Erwägungen anstellen, zu denen sie sachgerecht auch nicht in der Lage wären. Trotz dieser Grenzen der gerichtlichen Kontrolle hätten die Gerichte aber die pädagogische Bewertung der Schule auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Der gerichtlichen Kontrolle obläge ferner die Prüfung, ob die Schule den Sachverhalt hinreichend ermittelt und dokumentiert habe, ob sie frei von sachfremden Erwägungen entschieden habe und ob sie ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhielten.

Anwendung des Maßstabs auf den vorliegenden Fall

Nachdem zahlreiche Zwischenfälle zu einer dauerhaften Belastung des Schulbetriebs geführt hätten, habe die Schule mit Mitteilungen an die Eltern des Schülers und teilweise mit Ordnungsmaßnahmen (Verweise, verschärfte Verweise und Ausschluss vom Unterricht) reagiert, ohne dass sich dadurch am Verhalten des Antragstellers etwas geändert habe. Auch die Gespräche der Schule mit seinen Eltern und die dabei unterbreiteten Hilfsangebote hätten trotz deren Verpflichtung, um die gewissenhafte Erfüllung der schulischen Pflichten besorgt zu sein und die Erziehungsarbeit der Schule zu unterstützen (Art. 76 Satz 3 BayEUG), zu keiner Besserung geführt. Vielmehr hätten sich die Eltern uneinsichtig und unkooperativ gezeigt. Im einem ausführlich protokollierten Gespräch habe die Schule ihnen dargelegt, dass der Unterricht aufgrund der Störungen des Antragstellers teilweise kaum noch durchgeführt werden könne und hierdurch auch die Lernziele der anderen Schüler gefährdet seien. Auch in der auf einer Unterrichtsbeobachtung beruhenden Stellungnahme des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes werde das problematische Verhalten des Antragstellers und dessen Auffälligkeiten im sozial-emotionalen Bereich durch Unterrichtsstörungen und teilweise aggressives Verhalten gegenüber Mitschülern bestätigt.

Die Schule sei daher nicht nur im Interesse des Antragstellers, sondern auch zum Schutze seiner Mitschülerinnen und Mitschüler sowie des Schulfriedens gehalten gewesen, eine Lösung zu finden. Nachdem andere Ordnungsmaßnahmen bisher zu keinem Erfolg geführt hätten und auch aus Sicht der Eltern des Antragstellers das Vertrauensverhältnis zur bisher besuchten Schule gestört sei, erscheine die Zuweisung an eine andere Grundschule geeignet, erforderlich und angemessen.

Praxishinweis

Die Entscheidung zeigt, dass Schulen – auch im Grundschulbereich – nicht „wehrlos“ sind und durchaus hochgewichtige Ordnungsmaßnahmen ergreifen können. Voraussetzung ist aber neben der sorgfältigen Ermittlung und Dokumentation des Sachverhalts auch die vorherige und erfolglose Anwendung von Erziehungs- und zunächst milderen Ordnungsmaßnahmen, sodass die Zuweisung an eine andere Schule tatsächlich „ultima ratio“ ist. Ferner muss die Auswahl der neuen Schule pädagogisch sinnvoll sein und die Schule zumutbar für einen Grundschüler erreichbar. Schließlich stellt der BayVGH in seiner Entscheidung klar, wie wichtig die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Eltern mit der Schule ist und dass die Eltern insofern auch eine „Bringschuld“ trifft. Mangelnde Kooperationsbereitschaft der Eltern kann zulasten des Kindes gehen.

Praxishinweis: Landesanwaltschaft Bayern

BayVGH, B. v. 11.10.2012, 7 CS 12.2187

Ass. iur. Klaus Kohnen; Abbildung: (c) Jeanette Dietl – Fotolia.com

Net-Dokument BayRVR2012101101