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BayVGH: Vorrücken auf Probe in der Realschule

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Schlechte NotenZum Sachverhalt

Der 1995 geborene Realschüler (Antragsteller) erhielt sowohl im Schuljahr 2010/2011 als auch im Schuljahr 2011/2012 wegen mangelhafter Leistungen in jeweils zwei Vorrückungsfächern nicht die Erlaubnis zum Vorrücken in die Jahrgangsstufe 10. Einen Antrag, ihm das Vorrücken auf Probe zu gestatten, lehnte die Schule aufgrund eines Beschlusses der Lehrerkonferenz ab. Das Versagen des Antragstellers sei nicht auf nachgewiesene erhebliche Beeinträchtigungen ohne eigenes Verschulden wegen Leistungsminderungen zurückzuführen. Außerdem sei nicht zu erwarten, dass er die entstandenen Lücken schließen und das angestrebte Bildungsziel erreichen könne. Vor dem VG beantragte der Schüler, ihm das Vorrücken auf Probe in die Jahrgangsstufe 10 im Wege einer einstweiligen Anordnung zu gestatten, hilfsweise die nochmalige Wiederholung der Jahrgangsstufe 9 zu ermöglichen. Das VG lehnte den Antrag ab.

Die Entscheidung des BayVGH

Der BayVGH wies die Beschwerde gegen die Entscheidung des VG zurück. Folgende Orientierungssätze lassen sich formulieren:

  1. Bei Art. 53 Abs. 6 Satz 2 BayEUG einerseits und Art. 53 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 1 BayEUG anderseits handelt es sich um verschiedene Rechtsgrundlagen mit jeweils eigenen Voraussetzungen für das Vorrücken auf Probe.
  2. Zwar ist das Vorrücken auf Probe – im Unterschied zu Art. 53 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 1 BayEUG, § 58 Abs. 1 RSO – nach Art. 53 Abs. 6 Satz 2 BayEUG bei Schülern, die die vorangegangene Jahrgangsstufe bereits wiederholen mussten und die Voraussetzungen zum Vorrücken gleichwohl nicht erfüllt haben, noch möglich; gleichwohl wird es nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Zumeist wird das erneute Nichterreichen des Ziels der Jahrgangsstufe den pädagogischen Schluss rechtfertigen, dass die entstandenen Lücken im Falle des Vorrückens nicht geschlossen werden können und das angestrebte Bildungsziel nicht erreicht wird.
  3. Bei den Regelungen über den Notenausgleich bei Abschlussprüfungen in der Realschule (§§ 72 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2,  73 Satz 1 Nr. 3 RSO) handelt es sich um Spezialvorschriften für Abschlussprüfungen, die nicht auf das Vorrücken auf Probe übertragbar sind.

Orientierungssätze: Landesanwaltschaft Bayern

Die Begründung des BayVGH im Hinblick auf Art. 53 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 1 BayEUG

Der Ast. kann nicht gemäß Art. 53 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 BayEUG i.V.m. § 58 Abs. 1 RSO probeweise in die nächsthöhere Jahrgangsstufe vorrücken, weil ein Vorrücken hiernach nur möglich ist, wenn der Schüler das Jahrgangsziel erstmals nicht erreicht. Beim Ast. ist dies jedoch schon zum zweiten Mal der Fall.

Die Begründung des BayVGH im Hinblick auf Art. 53 Abs. 6 Satz 2 BayEUG

Nach dieser Vorschrift kann Schülerinnen und Schülern das probeweise Vorrücken gestattet werden, wenn sie infolge nachgewiesener erheblicher Beeinträchtigungen ohne eigenes Verschulden wegen Leistungsminderungen die Voraussetzungen zum Vorrücken nicht erfüllen (z.B. wegen Krankheit), sofern zu erwarten ist, dass die entstandenen Lücken geschlossen werden können und das angestrebte Bildungsziel erreicht werden kann (pädagogische Prognose mit Beurteilungsspielraum).

Nach Auffassung der Lehrerkonferenz lagen die Voraussetzungen zum probeweisen Vorrücken auch nach dieser Vorschrift nicht vor: Unter den krankheitsbedingten und entschuldigten 21 Fehltagen im Wiederholungsjahr sei keine längere Fehlperiode gewesen. Neben den mangelhaften Noten in Physik und Chemie sei auch die Note in Mathematik nur knapp ausreichend (4,39) gewesen. Nachdem es dem Antragsteller selbst im Wiederholungsjahr nicht gelungen sei, seine Rückstände aufzuholen, sei nicht zu erwarten, dass er bei einem Vorrücken auf Probe einerseits die bestehenden Lücken schließen und andererseits dem neuen Lehrstoff folgen und das angestrebte Bildungsziel erreichen könne.

Dieser gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Prognose der Lehrerkonferenz ist laut BayVGH nicht zu beanstanden. In aller Regel rechtfertige das erneute Nichterreichen des Ziels der Jahrgangsstufe den Schluss, dass die entstandenen Lücken im Falle des Vorrückens nicht geschlossen werden können und das angestrebte Bildungsziel nicht erreicht werden kann. Dem Ast. sei es nicht gelungen, die negative Prognose der Lehrerkonferenz zu entkräften. Dieser hatte die negative Prognose der Lehrerkonferenz mit verschiedenen Argumenten angegriffen:

(1) Er hatte sinngemäß vorgetragen, die Lücken könnten sehr wohl noch geschlossen werden, denn sie seien gar nicht so groß. Der Ast. habe nämlich das erforderliche Wissen; er habe es krankheitsbedingt in den Prüfungen nur nicht abrufen können. Dem stand nach dem BayVGH entgegen, dass er die Prüfungen für den qualifizierenden Hauptschulabschluss erfolgreich abgelegt hatte – das spreche gegen eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Wiedergabe des aufgenommenen Lehrstoffs in Prüfungen.

(2) Weiterhin hatte der Ast. geltend gemacht, dass er im Wiederholungsjahr in anderen Fächern mangelhafte Leistungen erbracht habe als im vorangegangenen Schuljahr; mithin habe er die Rückstände in den vormals – und nun nicht mehr – als mangelhaft beurteilten Fächern ja schon einmal aufholen können. Auch dem folgte der BayVGH nicht: Der Ast. habe im Wiederholungsjahr neben den mangelhaften Ergebnissen in Physik und Chemie in vier weiteren Vorrückungsfächern (Deutsch, Englisch, Mathematik, Informationstechnologie und Religionslehre) lediglich die Note ausreichend erreicht, davon in Mathematik mit deutlicher Tendenz zu mangelhaft. In den Fächern Physik und Chemie habe er sich im Vergleich zum Vorjahr (zum Teil erheblich) verschlechtert. Dies lasse auf erhebliche Wissenslücken auf breiter Basis schließen, was gegen eine günstige Prognose spreche.

(3) Schließlich hatte der Ast. auch noch geltend gemacht, dass die Lehrerkonferenz die Wertung des Verordnungsgebers außer Acht gelassen habe, wonach bei Abschlussprüfungen zwei mangelhafte Noten in Vorrückungsfächern durch befriedigende Ergebnisse in vier Vorrückungsfächern ausgeglichen werden könnten (§ 72 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2, § 73 Satz 1 Nr. 3 RSO). Hierbei handelt es sich nach dem BayVGH jedoch um Spezialvorschriften für Abschlussprüfungen, die nicht auf das Vorrücken auf Probe übertragbar sind.

BayVGH, B. v. 24. 10. 2012, 7 CE 12.2240

Ass. iur. Klaus Kohnen; Abbildung: (c) VRD – Fotolia.com

Net-Dokument BayRVR2012102401