Gesetzgebung

Landtag: Gesetzentwurf der Fraktionen von CSU, SPD, Freien Wählern und FDP zur Änderung der Verfassung des Freistaates Bayern eingebracht

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Großes bayerisches Staatswappen auf weiß-blauer RautenflaggeDie Fraktionen von CSU, SPD, Freien Wählern und FDP haben am 10.12.2012 einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung des Freistaates Bayern (BV) in den Landtag eingebracht, der die Ergänzung von fünf Verfassungs-Artikeln vorsieht (LT-Drs. 16/15140 v. 10.12.2012).

Das Verfahren der Verfassungsänderung

Man hat sich dabei für das parlamentarische Änderungsverfahren mit obligatorischem Verfassungsreferendum entschieden. Hierbei ist parlamentarisch eine 2/3-Mehrheit erforderlich (bezogen auf die gesetzliche Anzahl der Landtagsabgeordneten). Hinsichtlich des anschließenden Referendums genügt die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen, ein Quorum ist nicht zu erfüllen.

Eine andere Möglichkeit wäre das vollplebiszitäre Änderungsverfahren gewesen. Hierbei wird das Änderungsgesetz als Volksbegehren initiiert und im Falle des Erreichens der 10%-Quote dem Volk zur Entscheidung vorgelegt. Der Volksentscheid ist an ein Quorum von 25% der Stimmberechtigten gebunden (d.h., es entscheidet zwar die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen, es müssen jedoch mindestens 25% der stimmberechtigten Bevölkerung ihre Stimme abgegeben haben). Der Landtag befindet hierüber dann mit einfacher Mehrheit.

Art. 6 des Gesetzentwurfs bestimmt, dass die einzelnen Änderungsgesetze dem Volk getrennt zur Entscheidung vorzulegen sind. Damit entgeht man möglichen Komplikationen im Hinblick auf das Koppelungsverbot. Das Koppelungsverbot besagt, dass es keine „Paketabstimmung“ geben darf, dass es also unzulässig ist, die Entscheidungen über mehrere Gegenstände, die sachlich nichts miteinander zu tun haben, in einer Abstimmung miteinander zu verknüpfen (also „ja“ oder „nein“ nur zum Gesamtpaket). Zwar hat der BayVerfGH entschieden, dass das Koppelungsverbot bei einem Verfassungsreferendum nicht gilt; das ist in der Rechtswissenschaft jedoch umstritten.

Grund für die Gesetzesinitiative

Die Verfassung des Freistaates ist ein lebendiger Rechtsrahmen für den Staat, die Gesellschaft, die Einzelnen und für politische Entscheidungen. Sie müsse daher auf neue Herausforderungen für Staat und Gesellschaft reagieren und zu gegebener Zeit weiterentwickelt werden, so der Gesetzentwurf. Vorgesehen sind Verfassungsergänzungen in fünf Bereichen: Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen, Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl, Angelegenheiten der EU, Schuldenbremse sowie angemessene Finanzausstattung der Gemeinden. Die Verfassungsänderungen sollen zum 01.01.2014 in Kraft treten, nur die Bestimmungen zur Schuldenbremse erst zum 01.01.2020.

Die Änderungen im Einzelnen

1. Gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen

Art. 3 Abs. 2 BV soll einen neuen Satz 2 erhalten. Die Vorschrift würde dann lauten (Änderungen im Gesetzestext fett markiert):

Art. 3 [Rechts-, Kultur-, Sozialstaat; Gemeinwohl]

(1) …

(2) 1Der Staat schützt die natürlichen Lebensgrundlagen und die kulturelle Überlieferung. 2Er fördert und sichert gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land.

Damit reagiert der Verfassungsgesetzgeber insbesondere auf die Herausforderungen des demografischen Wandels, der dazu führt, dass Ballungszentren weiter wachsen während die Bevölkerung auf dem Lande weiter abnimmt. Die Förderung gleichwertiger (nicht gleichartiger) Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen soll zum Staatsziel erhoben werden. Das bedeutet, dass der Staat diesem Ziel bei all seinen Handlungen ein besonderes Gewicht beizumessen hat.

2. Förderung des ehrenamtlichen Engagements

Art. 121 BV soll einen neuen Satz 2 erhalten. Die Vorschrift würde dann lauten (Änderungen im Gesetzestext fett markiert):

Art. 121 [Ehrenamt]

1Alle Bewohner Bayerns sind zur Übernahme von Ehrenämtern, insbesondere als Vormund, Waisenrat, Jugendpfleger, Schöffe und Geschworener verpflichtet. 2Staat und Gemeinden fördern den ehrenamtlichen Einsatz für das Gemeinwohl. 3Das Nähere bestimmen die Gesetze.

Wie die Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen soll auch die Förderung des ehrenamtlichen Engagements zum Staatsziel erhoben werden. Der Verfassungsgesetzgeber wertet damit das ehrenamtliche Engagement auf, in dem er einen wichtigen Baustein sieht, um in Zeiten von demografischem Wandel, Globalisierung, Migration und sich verändernder Familienstrukturen eine menschliche, solidarische und demokratisch gefestigte Gesellschaft zu erhalten.

3. Angelegenheiten der Europäischen Union

Art. 70 BV soll einen neuen Absatz 4 erhalten. Die Vorschrift würde dann lauten (Änderungen im Gesetzestext fett markiert):

Art. 70 [Erfordernis formeller Gesetze]

(1)-(3) …

(4) 1Über Angelegenheiten der Europäischen Union hat die Staatsregierung den Landtag zu unterrichten. 2Ist das Recht der Gesetzgebung durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union betroffen, kann die Staatsregierung in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben durch Gesetz gebunden werden. 3Ist das Recht der Gesetzgebung durch ein Vorhaben der Europäischen Union betroffen, hat die Staatsregierung bei ihren verfassungsmäßigen Aufgaben die Stellungnahmen des Landtags maßgeblich zu berücksichtigen. 4Das Nähere regelt ein Gesetz.

Der Verfassungsgesetzgeber will so die Mitwirkungsrechte des Landtags in Angelegenheiten der Europäischen Union stärken. Insbesondere soll die Staatsregierung hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens im Bundesrat durch Gesetz gebunden werden können, wenn das Recht der Gesetzgebung des Landtags durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union betroffen ist. Eine unmittelbare Beteiligung der Landesparlamente gibt es bislang nicht: Zwar wirken die Länder über den Bundesrat an der Übertragung von Hoheitsrechten mit – im Bundesrat sind jedoch nur Regierungsmitglieder vertreten.

4. Schuldenbremse

Art. 82 BV soll eine gänzlich neue Fassung erhalten. Die Vorschrift würde dann lauten (Änderungen im Gesetzestext fett markiert):

Art. 82 [Nettokreditaufnahme; ausgeglichener Haushalt]

(1) Der Haushalt ist grundsätzlich ohne Nettokreditaufnahme auszugleichen.

(2) 1Bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung kann von Abs. 1 abgewichen werden. 2In diesem Fall sind die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen.

(3) 1Bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, kann von Abs. 1 abgewichen werden. 2Hierfür ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. 3Die Kredite sind binnen eines angemessenen Zeitraums zurückzuführen.

(4) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Gesetz.

(5) Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Der Verfassungsgesetzgeber setzt hiermit zum einen die Schuldenbremse des Bundes um (Art. 109 Abs. 3 GG): Art. 109 Abs. 3 GG enthält kein absolutes Verbot der Kreditaufnahme. Kreditaufnahmen bei anormalen konjunkturellen Entwicklungen und in außergewöhnlichen Notfällen bleiben weiterhin zulässig. Die nähere Ausgestaltung wird den Ländern überlassen (vgl. Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG). Zum anderen dient die Verfassungsänderung laut Begründung auch der Bestätigung der bayerischen Richtungsentscheidung für einen Haushalt ohne neue Schulden. Die für eine Verfassungsänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit und der notwendige Volksentscheid würden im Übrigen für einen breiten gesellschaftlichen Konsens sorgen. Zudem sicherten die hohen Hürden für eine Verfassungsänderung ein Verschuldungsverbot am wirksamsten ab.

5. Angemessene Finanzausstattung der Gemeinden

Art. 83 Abs. 2 BV soll einen neuen Satz 3 erhalten. Die Vorschrift würde dann lauten (Änderungen im Gesetzestext fett markiert):

Art. 83 [Wirkungskreis der Gemeinden]

(1) …

(2) 1Die Gemeinden sind verpflichtet, einen Haushaltsplan aufzustellen. 2Sie haben das Recht, ihren Bedarf durch öffentliche Abgaben zu decken. 3Der Staat gewährleistet den Gemeinden im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit eine angemessene Finanzausstattung.

Der Anspruch der Gemeinden gegen das Land auf eine angemessene Finanzausstattung, den der BayVerfGH in ständiger Rechtsprechung aus dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden herleitet und auch den Gemeindeverbänden zubilligt, ist bislang in der Verfassung des Freistaates Bayern nicht ausdrücklich geregelt.

 

Ass. iur. Klaus Kohnen; Foto: (c) sashpictures – Fotolia.com

Net-Dokument BayRVR2013121001

 

Redaktionelle Anmerkung (Update v. 08.09.2013)

Der Beitrag wurde zwar Ende 2012 geschrieben, befindet sich jedoch auf aktuellem Stand – der vorgestellte Gesetzentwurf wurde vom Bayerischen Landtag am 20.06.2013 in unveränderter Form beschlossen (PDF, 133 KB). Über diese Verfassungsänderungen wird am 15.09.2013 im Rahmen von fünf Volksentscheiden abgestimmt.

Die Verfassungsänderungen werden von allen im Landtag vertretenen Fraktionen getragen mit Ausnahme der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Löst man den Blick von den Positionen der jeweiligen Fraktion und nimmt den Landtag als Ganzes in den Blick, so kann man feststellen, dass im Laufe der parlamentarischen Diskussion die grundlegenden Punkte und Interessen zur Sprache gekommen sind  – ganz wie es in einem parlamentarischen Verfahren der Fall sein sollte (einerseits sollte eine Verfassung auf grundlegende neue Herausforderungen für Staat und Gesellschaft reagieren, andererseits stellt sich die Frage, was als solch grundlegende Herausforderung zu gelten hat – und ob es hierzu einer Anpassung des Verfassungstextes bedarf).

Im Hinblick auf die anstehenden Volksentscheide wurden neben einem Muster des Stimmzettels auch amtliche Erläuterungen über die jeweils zu entscheidenen Verfassungsänderungen veröffentlicht:

Ass. iur. Klaus Kohnen