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BayVGH: Kein Anspruch auf Schülerbeförderung zu einer Schule ohne Schuluniform

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Haltestellenschild SchulbusZum Sachverhalt

Umstritten war die Frage, ob die Klägerin (Schülerin) vom Beklagten (Landkreis Passau) die kostenfreie Beförderung zu der von ihr besuchten privaten Realschule verlangen kann. Dabei besucht die Klägerin nicht die von ihrem Wohnort aus nächstgelegene private Realschule, sondern eine weiter entfernte, weil sie an der nächstgelegenen das Tragen der dort vorgesehenen einheitlichen Oberbekleidung mit Schullogo ablehnt.

Nachdem der beklagte Landkreis in den Schuljahren zuvor die Kosten hierfür zunächst übernommen hatte, weil die Klägerin ab der 7. Klasse einen Ausbildungszweig (mathematisch, naturwissenschaftlich, technisch) einschlagen wollte, den nur die weiter entfernte Schule im Angebot hatte, kündigte der Landkreis an, die Kosten ab dem 7. Schuljahr nicht mehr zu übernehmen – denn die Klägerin habe sich wegen eines Leistungsabfalls in Mathematik mittlerweile für einen anderen Ausbildungszweig entschieden, der auch an der näher gelegenen privaten Realschule angeboten werde.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos, ebenso die Klage vor dem VG Regensburg.

Rechtlicher Hintergrund

Die Beförderung von Schülerinnen und Schülern ist grundsätzlich Sache der kreisfreien Gemeinde oder des Landkreises, in dem die Schülerin bzw. der Schüler wohnt (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Schulwegkostenfreiheitsgesetz – SchKfrG).

Die Beförderungspflicht besteht grundsätzlich nur zur nächstgelegenen Schule (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Schülerbeförderungsverordnung – SchBefV).

Welche Schule als „nächstgelegen“ gilt, richtet sich nach unterschiedlichen Kriterien. So wird z.B. danach unterschieden, ob die Schülerin oder der Schüler eine Pflichtschule besucht oder ob er oder sie einer Schule zugewiesen ist. In der vorliegenden Konstellation ist § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV einschlägig. Hiernach gilt diejenige Schule als nächstgelegen, die mit dem geringsten Beförderungsaufwand zu erreichen ist.

Auch der Begriff des „geringsten Beförderungsaufwandes“ ist mehrdeutig. Er lässt sich beispielsweise zeitlich (Beförderung geht am schnellsten) oder auch entfernungsmäßig (Beförderung dauert zwar länger, erfolgt aber auch dem kürzesten Wege) verstehen. In der Rechtsprechung des BayVGH ist jedoch geklärt, dass hierbei grundsätzlich nicht auf die Entfernung oder den Zeitaufwand abzustellen ist, sondern auf den finanziellen Aufwand – die Fahrtkosten zur jeweiligen Schule sind miteinander zu vergleichen (BayVGH, U. v. 13.04.2011, 7 B 10.1423).

Keine Regel ohne Ausnahme: Steht fest, welche Schule hiernach als „nächstgelegen“ gilt, bestimmt § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV, dass unter bestimmten Umständen auch die Beförderung zu einer weiter entfernten Schule übernommen werden soll. Und zwar dann, wenn die Schülerin bzw. der Schüler diese Schule wegen ihrer pädagogischen oder weltanschaulichen Eigenheiten besucht. Und schließlich bestimmt § 2 Abs. 4 Nr. 2 SchBefV, dass die Beförderungskosten zur weiter entfernten Schule übernommen werden können, wenn ein Schulwechsel unzumutbar ist.

Die Frage, ob letztgenannte Ausnahmen vorliegen, bildete den Kern des Rechtsstreits: Stellt das Tragen der einheitlichen Oberbekleidung eine pädagogische oder weltanschauliche Eigenheit im Sinn von § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV dar, so dass die Klägerin nicht auf diese Schule als nächstgelegene Schule verwiesen werden kann? Macht das Tragen der einheitlichen Oberbekleidung einen Schulwechsel unzumutbar, so dass die Klägerin aus diesem Grunde nicht auf diese Schule als nächstgelegene Schule verwiesen werden kann?

Die Entscheidung des BayVGH

Der BayVGH hat die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt und folgende Leitsätze formuliert:

Leitsätze:

1. Für die Bestimmung einer Schule als nächstgelegen sind allein die in den schülerbeförderungsrechtlichen Vorschriften festgelegten Kriterien und nicht sonstige Präferenzen der Schüler oder ihrer Erziehungsberechtigten maßgeblich.

2. Die an einer privaten Schule eingeführte Schulkleidung ist nicht als schülerbeförderungsrechtlich relevante pädagogische oder weltanschauliche Eigenheit anzusehen.

1. Begriff „nächstgelegen“

a) Vergleichsmaßstab

Die Klägerin hatte hier geltend gemacht, die von ihr besuchte private Schule sei deshalb als „nächstgelegene“ Schule anzusehen, weil die Beförderungskosten zu dieser immer noch deutlich niedriger seien als zur nächstgelegenen öffentlichen Schule.

Dem trat der BayVGH entgegen: Wolle die Klägerin – wie hier – eine private, staatlich anerkannte Ersatzschule besuchen, so müsse sie sich für die nächstgelegene Schule der gewählten Schulart entscheiden.

b) Nächstgelegene, die die Schülerin aufnimmt

Des Weiteren machte die Klägerin geltend, die von ihrem Wohnort weiter entfernte Schule sei trotzdem die nächstgelegene im Sinne der Vorschrift, weil sie von der tatsächlich nächstgelegenen nicht aufgenommen werde, denn sie lehne das Tragen der dort eingeführten Schulkleidung ab.

Auch dem trat der BayVGH entgegen: Die Beschränkung des Beförderungsanspruchs auf die nächstgelegene Schule sei Ausfluss des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit, der gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 3 SchKfrG bei der Entscheidung über die Notwendigkeit der Beförderung zu beachten sei. Die Bestimmung einer Schule als nächstgelegen richte sich allein nach den in § 2 Abs. 1 Satz 3 SchBefV festgelegten Kriterien. Sonstige Kriterien, insbesondere Präferenzen der Schüler oder ihrer Erziehungsberechtigten etwa aufgrund des Rufs der Schule oder im Hinblick auf Besonderheiten an der Schule, spielten insoweit keine Rolle. Auch die Schulkleidung müsse insoweit außer Betracht bleiben.

2. Kein Eingriff in die Grundrechte

Die Ablehnung der kostenfreien Beförderung zur weiter entfernten Schule bedeute auch keinen Eingriff in die Grundrechte der Klägerin (etwa Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 110 Abs. 1 BV [Meinungsfreiheit]; Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 101 BV [allgemeines Persönlichkeitsrecht] oder Art. 128 Abs. 1, Art. 132 BV [Recht der freien Schulwahl]) oder ihrer Eltern (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 126 Abs. 1 BV [Erziehungsrecht]).

Es fehle bereits an einem finalen Eingriff des Beklagten in diese Grundrechte (dem Beklagten geht es nicht darum, dass die Klägerin Schulkleidung trägt, sondern um die Minimierung der Kosten bei der Schülerbeförderung).

Zwar könnten die Grundrechte auch bei faktischen oder mittelbaren Beeinträchtigungen betroffen sein, wenn diese finalen Eingriffen gleichkämen. An der für die Grundrechtsbindung maßgebenden eingriffsgleichen Wirkung fehle es jedoch, wenn – wie hier – mittelbare Folgen lediglich ein Reflex einer nicht entsprechend ausgerichteten gesetzlichen Regelung seien.

3. Schulkleidung keine pädagogische oder weltanschauliche Eigenheit

Die an der näher gelegenen Realschule eingeführte Schulkleidung sei auch nicht als pädagogische oder weltanschauliche Eigenheit im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV anzusehen.

Zwar bestünden im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift, die Entscheidung für eine Schule aufgrund ihrer pädagogischer oder weltanschaulicher Eigenheiten in der Regel auch im Rahmen der Schülerbeförderung anzuerkennen, grundsätzlich keine Bedenken, § 2 Abs. 3 SchBefV trotz seines Wortlauts auch dann anzuwenden, wenn die Schülerin oder der Schüler die nächstgelegene Schule wegen deren Eigenheiten nicht besuchen wolle.

Nach ständiger Rechtsprechung ist § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV jedoch eng auszulegen. Die Vorschrift wolle nur Schulen mit einem besonderen pädagogischen oder weltanschaulichen Konzept erfassen, das dem Unterricht in allen Klassen einen eigenständigen, an anderen Schulen auch nicht ansatzweise vorhandenen Charakter gebe und das die Schule damit – ohne eine eigenständige Ausbildungs- und Fachrichtung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV zu begründen – deutlich von anderen vergleichbaren Schulen unterscheide.

In Betracht kämen, wie auch die Regelbeispiele der Vorschrift (Tagesheimschulen, Schulen mit gebundenem oder offenem Ganztagsangebot, nichtkoedukative Schulen oder Bekenntnisschulen) zeigen, insoweit vor allem besondere pädagogische, religiöse oder weltanschauliche Prägungen sowie Lehr- und Erziehungsmethoden im Sinne von Art. 90 Satz 2 BayEUG.

Gemessen daran sei die einheitlichen Schulkleidung, die an der nähergelegenen Realschule eingeführt ist, keine pädagogische oder weltanschaulichen Eigenheit im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV. Das Unterrichtskonzept an der näher gelegenen Realschule unterscheide sich nicht wesentlich von dem der weiter entfernten Realschule, die ebenfalls monoedukativ und kirchlichen ausgerichtet sei. Der Unterricht erhalte durch die Schulkleidung keine Prägung, durch die er sich in pädagogisch-konzeptioneller Hinsicht evident von dem der der weiter entfernten Realschule abheben würde. Zwar sei die Schulkleidung durchaus identitätsstiftend und gebe der Schule ein eigenes Profil. Dieses wirke sich aber auf den eigentlichen Unterricht nicht oder nur unwesentlich aus.

4. Keine Unzumutbarkeit des Schulwechsels

Auf § 2 Abs. 4 Nr. 2 SchBefV könne das Begehren ebenfalls nicht gestützt werden. Die Unzumutbarkeit im Sinne dieser Vorschrift setze außergewöhnliche individuelle Umstände voraus, die zum Ausgleich von Härten aufgrund der Beschränkung der Beförderungspflicht auf die nächstgelegene Schule Berücksichtigung verlangten.

Die an der Schule eingeführte Schulkleidung mache einen Schulwechsel nicht unzumutbar. Sollte die Klägerin wegen ihrer hierzu ablehnenden Haltung an dieser Schule nicht aufgenommen werden, stehe es ihr frei, wenn auch unter Inkaufnahme eines längeren Schulwegs, an die nächstgelegene öffentliche Realschule in Passau oder an eine der anderen beiden öffentlichen Realschulen zu wechseln, zu der der Beklagte die kostenfreie Beförderung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 6 SchBefV übernehmen müsste Trotz des für sie höheren Zeitaufwands für den Schulweg erscheine dies zumutbar. Auch andere Schülerinnen aus dem Wohnort der Klägerin, die keine der kirchlichen monoedukativen Privatschulen besuchen wollten, müssten diesen weiteren Schulweg bewältigen.

BayVGH, U. v. 19.02.2013, 7 B 12.2441

Ass. iur. Klaus Kohnen; Abbildung: (c) maho – Fotolia.com

Net-Dokument BayRVR2013021901