Gesetzgebung

BVerfG: NSU-Verfahren – Antrag einer türkischen Zeitung auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise erfolgreich

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BVerfG - Da geht's langDas BVerfG hat dem Vorsitzenden des 6. Strafsenats des OLG München heute aufgegeben, eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter ausländischer Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten zu vergeben. Über das Verfahren, nach dem diese Sitzplätze zu vergeben sind, kann der Vorsitzende im Rahmen seiner Prozessleitungsbefugnis entscheiden. Das BVerfG nennt hier als Möglichkeit etwa ein Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen, in dem nach dem Prioritätsprinzip oder nach dem Losverfahren Plätze vergeben werden. Es bliebe dem Vorsitzenden aber auch unbenommen, anstelle dessen die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln zu gestalten.

Der Entscheidung liegt die Verfassungsbeschwerde über das Akkreditierungsverfahren und die Vergabe fester Sitzplätze für Medienvertreter im sogenannten NSU-Prozess vor dem OLG München zugrunde. Beschwerdeführer sind eine GmbH, die eine in türkischer Sprache erscheinende Zeitung verlegt, sowie deren stellvertretender Chefredakteur.

Die Entscheidung betrifft jedoch nicht die Verfassungsbeschwerde als solche – ob diese begründet ist oder nicht, entscheidet das BVerfG erst zu einem späteren Zeitpunkt. Die Entscheidung erging als Eilentscheidung auf der Grundlage von § 32 Abs. 1 BVerfGG:

§ 32 BVerfGG

(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

(2) – (7) […]

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde dabei nur insoweit geprüft, ob sie nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Nur wenn das nicht der Fall ist, die Verfassungsbeschwerde also in einem späteren Hauptsacheverfahren Erfolg haben könnte, kann das Gericht eine einstweilige Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG treffen.

Im Hinblick auf die möglichen Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG insbesondere festgestellt, dass es nicht ausgeschlossen erscheine, dass die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb, also auf gleichberechtigte Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten zu gerichtlichen Verfahren, verletzt sein könnten (das sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt). Dies werfe jedoch schwierige Rechtsfragen auf, die einer näheren Prüfung bedürften und im Eilrechtsschutzverfahren nicht abschließend geklärt werden könnten.

Deshalb kann die Eilentscheidung nur auf eine Folgenabwägung gestützt werden. Dabei sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde später aber der Erfolg zu versagen wäre.

Die vom BVerfG vorgenommene Folgenabwägung der stellt sich demnach wie folgt dar:

Unterbliebe eine einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg, so bestünde die Gefahr, dass die Beschwerdeführer, ohne dass ihnen die gleichen Chancen wie anderen Medienvertretern eingeräumt gewesen wären, wie auch andere ausländische Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten von der Möglichkeit einer eigenen, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Berichterstattung im sogenannten NSU-Prozess ausgeschlossen blieben.

Diese Nachteile überwögen gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im tenorierten Umfange stattgegeben würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg letztlich versagt wäre. Denn in diesem Falle würden zwar den ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten Sitzplätze in der Verhandlung eingeräumt, auf die sie nach der bisherigen Sitzplatzvergabe keinen Anspruch mehr gehabt hätten. Eine etwaige Ungleichbehandlung sonstiger Medien, denen ein bereits zugeteilter Sitzplatz genommen oder bei Bildung eines Zusatzkontingents kein Sitzplatz zugeteilt wird, wöge jedoch vor dem Hintergrund des besonderen Interesses dieser Medien weniger schwer.

BVerfG, B. v. 12.04.2013, 1 BvR 990/13 (Volltext)

Anmerkung:

Im Hinblick auf die Vergabe von Plätzen für Medienberichterstatter hat das BVerfG in seiner Entscheidung ausgeführt (Rn. 21), dass grundsätzlich ein Rückgriff auf das Prioritätsprinzip möglich sei. Allerdings bedürfe auch dieses Prinzip einer Ausgestaltung, die die Chancengleichheit realitätsnah gewährleiste. Bei der verfahrensrechtlichen Umsetzung sei insoweit die tatsächliche Situation der vorhersehbar Interessierten hinreichend zu berücksichtigen (also z.B. wohl die Vertrautheit ausländischer Medienberichterstatter mit den hiesigen Akkreditierungsgepflogenheiten). Nicht geklärt, aber auch nicht ausgeschlossen sei, ob in bestimmten Situationen eine Differenzierung zwischen verschiedenen Medienvertretern verfassungsrechtlich zulässig oder geboten ist (vgl. B. v. 30. Oktober 2002, 1 BvR 1932/02, Rn. 16 ff.).

Ass. iur. Klaus Kohnen; Abbildung: (c) Klaus Eppele – Fotolia.com

Net-Dokument BayRVR2013041201