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Landtag: Rechtsterrorismus in Bayern – NSU: Untersuchungsausschuss legt Versäumnisse offen

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Nach 31 Sitzungen, der Vernehmung von 55 Zeugen und der Durchsicht Hunderter von Akten hat der NSU-Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht vorgelegt. In diesem kommen die Vertreter aller Fraktionen einvernehmlich zu dem Ergebnis, dass bayerischen Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen zu den fünf im Freistaat von der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) verübten Morden an vier türkischen und einem griechischen Kleinunternehmer Versäumnisse und Fehleinschätzungen anzulasten sind. Die sieben Jahre andauernde Mordserie mit bundesweit insgesamt zehn Toten wurde erst im November 2011 aufgeklärt, als die beiden Haupttäter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos Selbstmord begingen. Ihre Partnerin Beate Zschäpe muss sich derzeit vor dem Oberlandesgericht München wegen der Morde verantworten.

Der Ausschussvorsitzende Franz Schindler (SPD) betonte in seinem Resümee, „dass der NSU nicht wie ein Schicksal über uns hereingebrochen ist“. Der bayerische Verfassungsschutz sei zwar auf dem rechten Auge nicht blind gewesen, doch habe er die „Gefährlichkeit der rechten Szene grob fahrlässig unterschätzt“. Bei korrekter Auswertung der vorhandenen Informationen hätte man wissen müssen, dass die Szene vor allem im fränkischen Grenzraum zu Thüringen um die Jahrtausendwende „größer, radikaler und gewaltbereiter“ geworden sei. Polizei und Verfassungsschutz habe es aber an den grundlegenden Kenntnissen über den Rechtsextremismus gefehlt. Die vom Verfassungsschutz jahrelang vertretene These, in Bayern gebe es keine Anhaltspunkte für Rechtsterrorismus, sei falsch gewesen.

Klar geworden sei im Ausschuss auch, dass es im Zuge der Ermittlungen zu der vom NSU zu verantwortenden Mordserie gravierende Fehler gegeben habe, so Schindler weiter. Er sprach die mangelhafte Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz und die viel zu lange allein in Richtung Organisierte Kriminalität gerichteten Nachforschungen an. Dafür trage – trotz aller zugestandener Bemühungen um Aufklärung – der damalige Innenminister Günther Beckstein (CSU) die politische Verantwortung.

Schindler sah weiteren Aufklärungsbedarf, da der Ausschuss in der Kürze der Zeit nicht alle Fragen habe klären können.

„Wir haben nur ein paar Mosaiksteinchen zum Gesamtbild beitragen können“, so Schindler.

Er ging deshalb davon aus, dass nach der Landtagswahl ein neuer Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden in Bayern notwendig sein wird.

Ausschussvize Otmar Bernhard (CSU) bestätigte die Fehleranalyse Schindlers. Er betonte aber, dass es den „Kardinalfehler“ nicht gegeben habe, bei dessen Vermeidung die Mordserie hätte gestoppt oder früher geklärt werden können. Bernhard zog aber andere Konsequenzen aus dem Fall. Anders als von SPD und Bündnis 90/die Grünen in einem im Schlussbericht enthaltenen Sondervotum gefordert, müsse der Verfassungsschutz fester Bestandteil der bayerischen Sicherheitsarchitektur bleiben und durch Reformen gestärkt werden, sagte Bernhard. Auch auf V-Leute könne in Zukunft nicht verzichtet werden.

Nach Einschätzung des FDP-Ausschussmitglieds Andreas Fischer gehören die NSU-Morde zu den „schwersten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Eine Konsequenz müsse sein, die Aufstellung der Sicherheitsbehörden in Bund und Land zu überprüfen. Dass bundesweit 38 Polizei- und Verfassungsschutzbehörden tätig seien, habe sich erkennbar nicht bewährt.

Susanna Tausendfreund (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte, der Ausschuss habe entgegen vorheriger Erwartungen die Aufklärung des NSU-Komplexes vorangebracht. Dies sei man den Familien der fünf Mordopfer in Bayern schuldig gewesen. Dass die Mordserie 13 Jahre lang unentdeckt geblieben sei, habe „gravierende Missstände“ in der Sicherheitsarchitektur offenbart. Tausendfreund verlangte eine bessere parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes und eine Sensibilisierung von Polizei- und Justizbehörden für die Gefahren von rechts.

Michael Piazolo (FREIE WÄHLER) fand es auch nach Abschluss des Untersuchungsausschusses unerklärlich, dass die Ermittlungen in Richtung Rechtsextremismus kaum eine Rolle gespielt hätten. Spätestens nachdem ein Profiler der Polizei 2006 aus heutiger Sicht erschreckend realitätsnah auf diese Spur hingewiesen habe, hätten die Ermittler dem intensiv nachgehen müssen. Dies sei aber unterlassen worden.

Der frühere Innenminister Günther Beckstein meldete sich mit einer persönlichen Erklärung zu Wort. Dass die Aufdeckung des NSU nicht gelungen sei, sei eine „schlimme Niederlage des Rechtsstaates“ gewesen. Er stehe zu seiner politischen Verantwortung dafür, doch wolle er auch betonen, dass er in diesem für ihn bedrückenden Fall „mehr getan habe, als jeder andere auf der politischen Ebene in Deutschland“. Er habe die größte je in Bayern tätige Ermittlungsgruppe eingesetzt und die bis heute höchste Belohnung auf die Ergreifung der Täter ausgesetzt. Trotzdem habe zu diesen keine Spur geführt, bedauerte Beckstein.

Bayerischer Landtag, Aktuelles – Aus dem Plenum v. 17.07.2013 (Jürgen Umlauft)