Gesetzgebung

Staatskanzlei: Geiselnahme in Ingolstadt – Seehofer und Herrmann danken allen Einsatzkräften – Konsequenteres Vorgehen gegen Stalker notwendig

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Ministerpräsident Horst Seehofer und Innenminister Joachim Herrmann danken den Einsatzkräften im Namen der gesamten Staatsregierung für ihr umsichtiges Handeln:

„Sie haben professionell, konsequent und klug agiert, um das Leben der Geiseln zu retten. Bayerns Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen, dass ihre Sicherheit bei Bayerns Polizei in besten Händen ist. Die Stunden der Geiselnahme haben Menschen in ganz Bayern in Atem gehalten. Die Nachricht, dass alle Geiseln unverletzt sind, hat uns alle erleichtert.“

Nach der Geiselnahme wurden Stimmen nach schärferen Kontrollen in Rathäusern laut. Herrmann lehnt diese ab, denn „Rathäuser sind wichtige Anlaufstelle für unsere Bürger. Verschärfte Kontrollen in Rathäusern oder gar Ganzkörperkontrollen jedes Besuchers würden den Gedanken einer bürgernahen Verwaltung zunichtemachen.“ Bei der Geiselnahme in Ingolstadt handele es sich um eine persönliche Beziehung zwischen dem Opfer und dem Täter. Da das Opfer rein zufällig eine Mitarbeiterin des städtischen Rathauses sei, seien Pauschalkontrollen hier völlig überzogen. Würde die Frau zum Beispiel im Einzelhandel arbeiten, hätte der Täter sie dort aufgesucht und es gäbe keine Diskussion um verschärfte Sicherheitsvorkehrungen in den mehr als 2.000 Rathäusern in Bayern.

Allerdings müsse man, so Herrmann, über ein konsequenteres Vorgehen gegenüber Stalkern nachdenken:

„Hierbei ist weniger das Strafmaß entscheidend, vielmehr müsse präzisiert werden, wann der Tatbestand des Stalkings erfüllt ist. Der Freistaat Bayern hat dazu bereits 2012 einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt, dafür aber leider bisher bundesweit keine Mehrheit gefunden.“

So sollte Paragraf 238 des Strafgesetzbuches dahingehend modifiziert werden, dass der Tatbestand des Stalkings bereits erfüllt ist, wenn das Verhalten des Täters geeignet ist, die Lebensgestaltung des Opfers zu beeinträchtigen.

Obwohl die Verhandlungen mit dem Täter schwierig und langatmig waren, stellte sich die Situation nach der Geiselnahme vorerst stabil dar. Deshalb wurde zunächst eine Verhandlungslösung angestrebt. Unabhängig davon bereitete ein Spezialeinsatzkommando der Bayerischen Polizei ein Zugriffskonzept vor. Als es im Rahmen der Verhandlungen und nach Bewertung eines Psychologen Hinweise dafür gab, dass ein weiteres Abwarten ohne Gefahr für die Geiseln und auch für den Täter nicht mehr möglich war, befreiten die Spezialeinsatzkräfte die Geiseln unverletzt. Der Täter wurde bei dem Zugriff durch zwei Schüsse an der Schulter und am Bein verletzt. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei der mitgeführten Pistole um einen täuschend echt wirkenden Nachbau einer ‚P 99‘. Derzeit befindet sich der Täter im Krankenhaus. Innenminister Herrmann zeigte sich zufrieden, dass inzwischen ein Haftbefehl erlassen wurde.

Staatskanzlei, Bericht aus der Kabinettssitzung, PM v. 21.08.2013

Redaktionelle Anmerkung

Die Frage, ob im Hinblick auf den 2007 geschaffenen Straftatbestand der „Nachstellung“ (§ 238 StGB) – auch als „Stalking“ bezeichnet – Reformbedarf bestehe, wurde bereits im Rahmen der 83. Justizministerkonferenz (Frühjahrskonferenz) vom 13./14.06.2012 in Wiesbaden gestellt. Hierzu fassten die Justizministerinnen und Justizminister den Beschluss, die Praxis in ihren Ländern zu befragen (PDF, 200 KB) und auf dieser Basis bei ihrem nächsten Zusammentreffen im Herbst 2012 möglichen Handlungsbedarf zu erörtern.

In der Herbstkonferenz, die am 15.11.2012 in Berlin stattfand, wurde unter „TOP II 12: Stalking – Änderungsbedarf bei § 238 StGB“ folgender Beschluss gefasst (PDF, 257 KB):

1. Die Justizministerinnen und Justizminister stellen fest, dass der 2007 geschaffene Straftatbestand der „Nachstellung“ (§ 238 StGB) nicht alle strafwürdigen Fälle erfasst. Nach Erfahrungen der Praxis wird eine Verurteilung in strafwürdigen Fällen vielfach durch das Erfordernis der Verursachung einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers ausgeschlossen. Die Strafbarkeit hängt aufgrund dieses Tatbestandsmerkmals nicht von der tatsächlich bewirkten Beeinträchtigung des Opfers ab, sondern allein von der Art und Weise, in der das Opfer ihr zu entgehen versucht.

2. Die Justizministerinnen und Justizminister sehen daher gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Sie sprechen sich dafür aus, § 238 Abs. 1 StGB von einem Erfolgsdelikt in ein Eignungsdelikt umzugestalten: Entscheidend für die Strafbarkeit darf nicht länger sein, ob die Tat eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers verursacht hat. Es muss ausreichen, wenn sie geeignet ist, eine solche Beeinträchtigung herbeizuführen.

Die Beschlüsse der Justizministerkonferenz, an der der jeweilige Bundesjustizminister als Beobachter teilnimmt, haben keinen Rechtsetzungscharakter, von ihnen können jedoch maßgebliche Impulse für die rechtspolitische Entwicklung ausgehen.

Die Bundesministerin der Justiz hat sich mit Pressemitteilung vom 21.08.2013 kritisch zu einer Ausweitung des Stalking-Paragrafen geäußert.