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BayVerfGH: Konzentrationsflächen zur Errichtung von Windkraftanlagen in Landschaftsschutzgebieten

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Windräder in der NaturDer BayVerfGH hat die Popularklage gegen drei Verordnungen des Landkreises Starnberg zur Änderung der Würmtalschutzverordnung, sowie der Landschaftsschutzverordnungen „Kreuzlinger Forst“ und „Westlicher Teil des Landkreises Starnberg“ abgewiesen. Diese seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Zum Sachverhalt

Der Landkreis Starnberg ist bestrebt, in der Region die Voraussetzungen für die verstärkte Gewinnung von erneuerbaren Energien zu schaffen.

Die Stadt Starnberg und mehrere kreisangehörige Gemeinden haben für ihr jeweiliges Gebiet sachliche Teilflächennutzungspläne „Windkraft“ aufgestellt, in denen in enger Abstimmung untereinander sog. Konzentrationsflächen für die Errichtung von Windkraftanlagen ausgewiesen sind. Ca. 71 % des Gebietes des Landkreises gehören dem Geltungsbereich von Landschaftsschutzverordnungen an; auch die Konzentrationsflächen liegen teilweise in deren räumlichem Geltungsbereich.

Um den Widerspruch zwischen den sachlichen Teilflächennutzungsplänen einerseits und den Landschaftsschutzverordnungen andererseits aufzulösen, hat der Kreistag in seiner Sitzung vom 21. Mai 2012 die Änderungsverordnungen beschlossen. Diese fügen in die drei Landschaftsschutzverordnungen eine Ausnahmeregelung vom grundsätzlichen Änderungsverbot ein, und zwar beschränkt auf die Errichtung von Windkraftanlagen und auf bestimmte Konzentrationsflächen.

Die Entscheidung des BayVerfGH

Der BayVerfGH hat die Popularklage am Maßstab der Art. 3, 118 Abs. 1 und Art. 141 BV geprüft.

1. Keine Verletzung des Willkürverbots (Art. 118 Abs. 1 BV)

Die Ausnahme für die Errichtung von Windkraftanlagen vom Veränderungsverbot der jeweiligen Schutzgebietsverordnung ist nach Auffassung des BayVerfGH nicht willkürlich und verletzt somit nicht Art. 118 Abs. 1 BV.

a) Erforderlichkeit der Änderungsverordnungen

Der Erforderlichkeit der Änderungsverordnungen stehe nicht entgegen, dass eine landes- oder gar bundesweite Ermittlung und Bewertung des Flächenbedarfs für Windkraftanlagen fehlt und vorrangig wäre. Weder aus bundesrechtlichen noch aus landesrechtlichen Vorschriften ergebe sich das Gebot, auf Flächen in Landschaftsschutzgebieten erst dann zurückzugreifen, wenn nicht außerhalb dieser Gebiete auf dafür geeigneten Flächen eine ausreichende Energiemenge erzeugt werden kann. Der Verordnungsgeber durfte davon ausgehen, dass die Änderung der Landschaftsschutzverordnungen zur Nutzung der Windenergie vernünftigerweise geboten war. Da mehr als 71 % des Landkreisgebiets unter Schutz gestellt sind, würde ohne Änderung der Verordnungen § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB, der die Nutzung der Windenergie im Außenbereich privilegiert, im Landkreis Starnberg praktisch leerlaufen.

§ 22 Abs. 1 Satz 3 BNatSchG erlaube auch die vorliegend vom Verordnungsgeber gewählte Zonierung, wonach bestimmte Zonen innerhalb des jeweiligen Landschaftsschutzgebiets für die Windenergienutzung freigegeben werden, es aber im Übrigen beim bisherigen Schutz bleibt. Es sei zudem nicht erkennbar, dass die kommunale Bauleitplanung zwangsläufig scheitern müsste, weil die Konzentrationsflächen für die Nutzung der Windkraft völlig ungeeignet wären. Dem stehe nicht entgegen, dass wegen einer (möglichen) Beeinträchtigung landesplanerischer, sicherheits- oder luftverkehrsrechtlicher Belange die Errichtung von Windkraftanlagen nicht an jedem Standort auf den von den Gemeinden ausgewählten Konzentrationsflächen in Betracht kommen mag.

b) Keine Verletzung des Abwägungsgebotes

Auch eine Verletzung des Abwägungsgebots im Sinn einer willkürlichen Entscheidung vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu erkennen.

Zwar dürften die Verkleinerung von Schutzgebieten oder sonstige Einschränkungen des Schutzstandards nicht dazu führen, dass der mit der Unterschutzstellung verfolgte Zweck nicht mehr gewahrt wäre. Davon könne vorliegend aber schon im Hinblick auf die gewählte Regelungstechnik nicht ausgegangen werden. Der Verordnungsgeber verändere den Umfang der Schutzgebiete nicht, sondern grenze nur für bestimmte Flächen Bereiche ab, in denen die Errichtung von Windkraftanlagen zugelassen wird. Hinzu komme ein verhältnismäßig geringer flächenmäßiger Umfang der ausgewählten Zonen in Bezug auf die Größe des jeweiligen Schutzgebiets.

Soweit die Beschlussvorlagen des Landkreises den Hinweis enthielten, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts werde anerkanntermaßen durch die Errichtung von Windkraftanlagen nicht beeinträchtigt, habe sich der Normgeber entgegen der – missverständlichen – Formulierung mit diesem Belang in verfassungsrechtlich genügender Weise befasst. Er hat nämlich zunächst rechtsverbindlich festgesetzte Naturschutzgebiete, europäische Vogelschutzgebiete und Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung sowie weitere für die Artenvielfalt bedeutsame Gebiete aus dem Kreis der Flächen ausgeschieden, die für eine Nutzung der Windenergie in Betracht kommen. Anschließend hat er die grundsätzlich geeigneten Konzentrationsflächen einer vorläufigen speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung unterworfen, um negative Auswirkungen auf die Habitate gefährdeter Tier- und Pflanzenarten zu erkennen.

Ebenfalls berücksichtigt habe der Normgeber, dass nahezu der gesamte Waldbestand in zwei von drei Landschaftsschutzgebieten einer Bannwaldverordnung unterliege. Die Voraussetzungen einer Rodungserlaubnis hielt er bei einer gleichwertigen Ersatzaufforstung ohne nachteilige Beeinträchtigung des regionalen Klimas für möglich. Die die weiteren Funktionen der Wälder betreffenden Fragen sowie notwendige Schadensvermeidungs- und Ausgleichmaßnahmen habe er im Hinblick auf die Standortwahl willkürfrei dem Einzelgenehmigungsverfahren vorbehalten können.

2. Keine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV)

a) Prüfungsmaßstab

Der BayVerfGH kontrolliert die angegriffenen Verordnungen im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV)  u. a. daraufhin, ob sie auf einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung beruhen und ob sie sich in deren Rahmen halten (Art. 55 Nr. 2 Satz 3 BV). Ferner prüft er unter diesem Gesichtspunkt mögliche Verstöße gegen Bundesrecht, dies jedoch nicht umfassend, sondern nur daraufhin, ob der Normgeber des bayerischen Landesrechts offensichtlich den Bereich der Rechtsordnung des Bundes verlassen und Landesrecht eindeutig ohne Rechtsetzungsbefugnis geschaffen hat. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip ist außerdem erst dann zu bejahen, wenn der Widerspruch des bayerischen Landesrechts zum Bundesrecht nicht nur offensichtlich zutage tritt, sondern auch inhaltlich nach seinem Gewicht als schwerwiegender, krasser Eingriff in die Rechtsordnung zu werten ist.

b) Prüfung der Verordnungen anhand dieses Maßstabs

Formelle Verstöße lassen sich nach Auffassung des BayVerfGH nicht feststellen. Ebenso wenig lasse sich feststellen, dass sich die Änderungsverordnungen als Teil des bayerischen Landesrechts in offensichtlichen Widerspruch zu den im Bundesrecht geregelten materiellen Anforderungen setzen würden. Soweit dies die Antragsteller mit einem krassen Verstoß gegen das – im Bauplanungsrecht entwickelte – bundesrechtliche Abwägungsgebot ergäben sich keine über die Prüfung anhand des verfassungsrechtlichen Willkürverbots hinausgehenden Gesichtspunkte.

Bisher offengelassen hat der BayVerfGH, ob entsprechend der Rechtsprechung zum Verstoß gegen höherrangiges Bundesrecht über Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV auch Vorschriften des Europäischen Unionsrechts mittelbar in einem Popularklageverfahren Bedeutung erlangen können. Diese Frage brauche aber auch weiterhin nicht abschließend entschieden zu werden, denn ein offenkundiger und krasser, schwerwiegender Widerspruch der angegriffenen Verordnungen zum Europäischen Unionsrecht – die Antragsteller verweisen insofern auf Art. 191 AEUV als umweltbezogene Unionsregelung – und damit eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips der Bayerischen Verfassung sei jedenfalls nicht gegeben. Art. 191 AEUV [PDF; 1,6 MB] formuliert Ziele für die Umweltpolitik der Union, zu denen die Erhaltung und der Schutz der Umwelt sowie die umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen (Art. 191 Abs. 1 erster und dritter Spiegelstrich AEUV) gehören. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen zielt die Umweltpolitik der Union auf ein hohes Schutzniveau ab (Art. 191 Abs. 2 Satz 1 AEUV). Ersichtlich wendeten sich diese Vorgaben an die Union selbst und nicht an den einzelnen Mitgliedstaat. Sie bilden daher nach Auffassung des BayVerfGH keinen unmittelbaren Prüfungsmaßstab für mitgliedstaatliche Rechtsetzungsakte.

3. Keine Verletzung des Verfassungsbestimmungen zum Naturschutz (Art. 3 Abs. 2 sowie Art. 141 Abs. 1 und 2 BV)

a) Prüfungsmaßstab

Der in Art. 3 Abs. 2 BV objektiv gewährleistete Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen erfährt im gegebenen Fall seine spezielle Ausformung in Art. 141 Abs. 1 BV. Bei der Entscheidung, die Errichtung von Windkraftanlagen vom Verbot nachteiliger Veränderungen auf bestimmten Flächen in den Landschaftsschutzgebieten auszunehmen, ist insbesondere Art. 141 Abs. 1 Satz 4 BV von Bedeutung. Hiernach gehört es zu den vorrangigen Aufgaben von Staat, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts, den Boden als natürliche Lebensgrundlage zu schützen, die heimischen Tier- und Pflanzenarten und ihre notwendigen Lebensräume sowie kennzeichnende Orts- und Landschaftsbilder zu schonen und zu erhalten. Auch Art. 141 Abs. 2 BV spricht den Landschaftsschutz an. Diese Verpflichtungen gelten für die staatliche Gemeinschaft insgesamt, also auch für die nicht ausdrücklich erwähnten Landkreise.

Art. 141 Abs. 1 Satz 4 BV bestimmt in den Grundzügen die wichtigsten Aufgaben, die sich aufgrund der Fundamentalnorm des Art. 3 Abs. 2 BV im Hinblick auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen stellen. Art. 3 Abs. 2 BV sowie Art. 141 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 BV sind keine bloßen Programmsätze, sondern enthalten bindendes objektives Verfassungsrecht, an dem die Handlungen von Staat, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts zu messen sind.

Aus Art. 141 Abs. 1 Satz 4 BV ergebe sich, dass die dort genannten Verfassungsaufträge zu den „vorrangigen“ Aufgaben von Staat, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts gehörten, es also andere Rechtsgüter von vergleichbarem Gewicht gebe, was durch den Zusatz „auch“ noch verdeutlicht werde. Bei Eingriffen in Natur und Landschaft sind viele Belange und Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen, die von Fall zu Fall von verschiedener Art und von verschiedenem Gewicht sind; denn keine Aufgabe sei absolut, das heißt ohne entgegenstehende Rechtsgüter und Belange zu verfolgen. Es komme darauf an, ob die betreffende Vorschrift den Verfassungsauftrag des Umwelt- und Naturschutzes ausreichend in Betracht ziehe oder von vornherein oder ohne gewichtige Gründe vernachlässige. Von Bedeutung sei etwa die Frage, ob ein Eingriff in die Natur der Erreichung von Zielen dient, die in ihrem am Gemeinwohl gemessenen Rang nicht hinter der Bewahrung der Natur zurücktreten müssen.

b) Prüfung der Verordnungen anhand dieses Maßstabs

Dem halten die Änderungsverordnungen nach Auffassung des BayVerfGH stand. Der Landkreis reagiere mit ihrem Erlass auf die Beschlusslage in den Landkreisgemeinden, die für ihr jeweiliges Gebiet sachliche Teilflächennutzungspläne „Windkraft“ nach § 5 Abs. 2 b BauGB mit den Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB aufgestellt und diese entsprechend § 204 Abs. 1 Satz 4 BauGB aufeinander abgestimmt haben. Die Gemeinden hätten insoweit von ihrer Planungshoheit, die sich auch in den Außenbereich erstreckt, Gebrauch gemacht, um gemäß Art. 152 Satz 2 BV zur Sicherstellung der Energieversorgung beizutragen. Vor diesem Hintergrund konnte der Landkreis seinerseits initiativ werden, um die Genehmigungsfähigkeit derartiger Teilflächennutzungspläne zu gewährleisten. Die naturschutzrechtlichen Änderungsverordnungen dienten der Umsetzung berechtigter planerischer Zielsetzungen der Gemeinden. Da der Verordnungsgeber Ausnahmen vom Veränderungsverbot für nach naturschutzrechtlichen Kriterien ausgewählte Flächen in den einzelnen Landschaftsschutzgebieten zugelassen habe, ohne die Schutzgebiete als solche infrage zu stellen, seien die Belange von Natur und Landschaft in den von der Verfassung gezogenen Grenzen gewahrt.

4. Keine Verletzung des Grundrechts auf den Genuss der Naturschönheiten und auf Erholung in der freien Natur (Art. 141 Abs. 3 BV)

Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV gewährleistet dem Einzelnen ein Grundrecht auf den Genuss der Naturschönheiten und auf Erholung in der freien Natur. Die Bestimmung räume dem Einzelnen jedoch keinen grundrechtlichen Anspruch auf unveränderten Fortbestand der freien Natur ein; die Bestimmung sei kein Abwehrrecht gegen hoheitliche Maßnahmen mit naturverändernder Wirkung.

Zwar hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Frage angeschnitten, ob eine andere Auslegung des Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV Platz greifen müsste, falls die öffentliche Hand den Verfassungsauftrag des Art. 141 Abs. 1 und 2 BV in einer Weise vernachlässigen sollte, die den Kernbereich des Grundrechts auf Naturgenuss trifft. Ein derartiger Wandel der tatsächlichen Verhältnisse, auf die hin die Norm geschaffen worden ist, könne aber auch an dieser Stelle nicht festgestellt werden, zumal die Landschaftsschutzverordnungen sowohl hinsichtlich der jeweils geschützten Fläche als auch im Hinblick auf den räumlichen Zusammenhang des jeweiligen Schutzgebiets noch einen substanziellen Raum für Naturgenuss böten.

BayVerfGH, E. v. 27.09.2013, Vf. 15-VII-12

Ass. iur. Klaus Kohnen; Foto: (c) Buzz-Photo – Fotolia.com

Net-Dokument BayRVR2013092701