Aktuelles

BVerwG: Prognosemaßstab für gesundheitliche Eignung bei Übernahme in das Beamtenverhältnis

©pixelkorn - stock.adobe.com

Blutdruckmessung am ArmDas BVerwG rückt weiter von seiner bisherigen Rechtsprechung zum Prognosemaßstab ab, wonach der Eintritt der Dienstunfähigkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein musste, und begründet dies mit verfassungsrechtlichen Erwägungen. Mit U. v. 25.07.2013 (2 C 12.11) hatte der Senat diesen Prognosemaßstab bereits in Bezug auf solche Bewerber aufgegeben, die die Ernennung zum Probebeamten beanspruchen. Nun hat der Senat entschieden, dass Gleiches auch für die Prognoseentscheidung gelten müsse, ob Probebeamte für die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit gesundheitlich geeignet seien.

Das BVerwG (U. v. 30.10.2013, 2 C 16.12) hat folgenden Leitsatz formuliert:

Leitsatz:

„Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung eines Probebeamten ist der Ablauf der Probezeit, nicht der Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung.

Einem Beamten auf Probe fehlt die gesundheitliche Eignung für die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Die gesundheitliche Eignung fehlt auch, wenn er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird (im Anschluss an U. v. 25.07.2013, BVerwG 2 C 12.11).“

Wesentliche Erwägungen

Berücksichtigungsfähigkeit mangelnder gesundheitlicher Eignung

Hierzu hat das BVerwG ausgeführt (Rn. 23):

„Das Lebenszeit- und das Alimentationsprinzip (Art. 33 Abs. 5 GG) verpflichten den Dienstherrn zur lebenslangen Versorgung der Ruhestandsbeamten. Daher verleihen sie dem Interesse des Dienstherrn an einem ausgewogenen zeitlichen Verhältnis von Lebensdienstzeit und Ruhestandszeit der Beamten einen verfassungsrechtlichen Stellenwert. […] Dementsprechend kann der Dienstherr unter Berufung auf den gesundheitlichen Zustand des Bewerbers die Begründung eines Beamtenverhältnisses ablehnen, wenn absehbar ist, dass bei diesem das angemessene Verhältnis von Lebensdienstzeit und Ruhestandszeit voraussichtlich spürbar gestört sein wird. Dies ist der Fall, wenn der Beamte vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wird […] Gleiches gilt, wenn der Beamte zwar die gesetzliche Altersgrenze im Dienst erreichen wird, es aber absehbar ist, dass er wegen einer chronischen Erkrankung voraussichtlich regelmäßig erhebliche dem Dienstherrn in der Gesamtheit nicht zumutbare Ausfallzeiten aufweisen wird. Die wahrscheinlich erwartbaren Fehlzeiten müssen in der Summe ein Ausmaß erreichen, das einer Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit etliche Jahre vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze gleichkommt. Es muss der Schluss gerechtfertigt sein, die Lebensdienstzeit sei erheblich verkürzt.“

Kritik des bisherigen Prognosemaßstabs

Hier konstatiert das BVerwG (Rn. 24):

„Der bisherige, vom Senat aufgegebene Prognosemaßstab stellt demgegenüber eine unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG auf Zugang zu einem öffentlichen Amt dar. Er hat in der Praxis dazu geführt, dass Bewerber und Probebeamte ohne Prüfung ihrer voraussichtlichen gesundheitlichen Entwicklung als ungeeignet angesehen worden sind, weil ihr Gesundheitszustand vom Regelzustand abgewichen ist oder sie in der Probezeit vorübergehend erkrankten. Dies ist insbesondere im Hinblick auf den langen, sich über Jahrzehnte erstreckenden Prognosezeitraum und die Unsicherheit medizinischer Prognosen angesichts des Art. 33 Abs. 2 GG unverhältnismäßig.“

Zum nunmehr geltenden Prognosemaßstab

Im Hinblick auf den Prognosezeitraum hält das BVerwG fest (Rn 25):

„Solange der Gesetzgeber keinen kürzeren Prognosezeitraum bestimmt, ist maßgeblich für die Prognose, ob der Bewerber dauernd dienstunfähig oder aufgrund einer chronischen Erkrankung regelmäßig erhebliche Ausfallzeiten aufweisen wird, die Zeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze. Je nach Laufbahn kann sich die Prognose danach auf mehrere Jahrzehnte erstrecken.“

Zur den Auswirkungen dieses langen Prognosezeitraums (Rn. 25):

„Die damit verbundenen Unwägbarkeiten werden noch durch die Komplexität von medizinisch fundierten Vorhersagen über den voraussichtlichen Verlauf einer Erkrankung verschärft. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Einschätzung der gesundheitlichen Entwicklung, sondern auch im Hinblick auf den medizinischen Fortschritt. Künftige Präventions- und Heilmethoden können zum Zeitpunkt der Eignungsprognose noch nicht in die Bewertung einbezogen werden. Vielfach ist auch die Wechselwirkung und damit Ursächlichkeit einzelner Faktoren für das Risiko schwerwiegender Symptombildungen noch nicht sicher erforscht. Zudem kann nach gegenwärtigem Erkenntnisstand auch nicht davon ausgegangen werden, der teilweise Ausfall der Lebensdienstzeit von Beamten sei in nennenswertem Umfang auf solche Krankheiten zurückzuführen, die zum Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung vorhersehbar waren. Vielmehr geht dies regelmäßig auf erst nachträglich eingetretene Umstände zurück […]“

Schlussfolgerungen aus den Unwägbarkeiten des langen Prognosezeitraums (Rn. 26-29):

„Daher kann der Dienstherr einem Bewerber die gesundheitliche Eignung für die angestrebte Laufbahn nur dann absprechen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt oder er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zur Pensionierung über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen […] Dabei kann die gesundheitliche Eignung nur im Hinblick auf Erkrankungen, insbesondere chronische Erkrankungen verneint werden, nicht aber unter Berufung auf gesundheitliche Folgen, die mit dem allgemeinen Lebensrisiko, wie z.B. einem Unfall bei sportlichen Aktivitäten des Bewerbers, verbunden sind.

Ist zum Zeitpunkt der Begründung des Beamtenverhältnisses auf Probe oder auf Lebenszeit eine Erkrankung des Bewerbers bereits bekannt, so ist der Eintritt der dauernden Dienstunfähigkeit des Bewerbers vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze oder von regelmäßigen und erheblichen Ausfallzeiten über Jahre hinweg überwiegend wahrscheinlich, wenn für die Richtigkeit dieser Annahme nach objektiven Gesichtspunkten derart gewichtige Gründe sprechen, dass andere denkbare Möglichkeiten vernünftigerweise nicht maßgeblich in Betracht kommen.

Lassen sich vorzeitige dauernde Dienstunfähigkeit oder krankheitsbedingte erhebliche und regelmäßige Ausfallzeiten nach Ausschöpfen der zugänglichen Beweisquellen weder feststellen noch ausschließen („non liquet“), so geht dies zu Lasten des Dienstherrn.

Bloße Zweifel des Dienstherrn an der gesundheitlichen Eignung des Bewerbers, die den genannten Anforderungen nicht genügen, sind dagegen unerheblich. Soweit der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung für die Annahme mangelnder gesundheitlicher Eignung des Bewerbers auch „nachhaltige Zweifel“ des Dienstherrn, insbesondere aufgrund von erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten, hat ausreichen lassen, wird diese aufgegeben […] Auch bei längeren oder wiederkehrenden krankheitsbedingten Fehlzeiten während der Probezeit ist auf der Grundlage aussagekräftiger ärztlicher Stellungnahmen zu klären, ob der Beamte wegen der diesen Fehlzeiten zugrundeliegenden Erkrankung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der Regelaltersgrenze wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt werden muss. Gleiches gilt, wenn der Beamte erhebliche und regelmäßige Ausfallzeiten aufweisen wird.“

Zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung (Rn. 30-33):

„Zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung müssen die körperlichen und psychischen Veranlagungen des Bewerbers festgestellt und deren Auswirkungen auf sein Leistungsvermögen bestimmt werden. Das individuelle Leistungsvermögen muss in Bezug zu den körperlichen Anforderungen der Dienstposten gesetzt werden, die den Statusämtern der betreffenden Laufbahn zugeordnet sind. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkunde, über die nur ein Arzt verfügt.

Für die Prognose über die voraussichtliche Entwicklung des Gesundheitszustandes des Bewerbers muss in aller Regel ein Mediziner eine fundierte medizinische Tatsachenbasis auf der Grundlage allgemeiner medizinischer Erkenntnisse und seiner Verfassung erstellen. Der Arzt muss das Ausmaß der Einschränkungen feststellen und deren voraussichtliche Bedeutung für die Leistungsfähigkeit sowie für die Erfüllung der dienstlichen Anforderungen medizinisch fundiert einschätzen. Er muss in seiner Stellungnahme Anknüpfungs- und Befundtatsachen darstellen, seine Untersuchungsmethoden erläutern und seine Hypothesen sowie deren Grundlage offen legen. Auf dieser Grundlage hat er unter Ausschöpfung der vorhandenen Erkenntnisse zum Gesundheitszustand des Bewerbers eine Aussage über die voraussichtliche Entwicklung des Leistungsvermögens zu treffen, die den Dienstherrn in die Lage versetzt, die Rechtsfrage der gesundheitlichen Eignung eigenverantwortlich zu beantworten (Urteil vom 25. Juli 2013 a.a.O. Rn. 23).

Als Grundlage für die vom Dienstherrn oder vom Gericht zu treffende Entscheidung über die gesundheitliche Eignung eines Bewerbers reicht die nicht näher belegte Einschätzung eines Mediziners über den voraussichtlichen Verlauf der beim Bewerber bestehenden Erkrankung nicht aus. Sofern statistische Erkenntnisse über die gewöhnlich zu erwartende Entwicklung einer Erkrankung herangezogen werden sollen, sind diese nur verwertbar, wenn sie auf einer belastbaren Basis beruhen. Dafür muss über einen längeren Zeitraum hinweg eine signifikante Anzahl von Personen beobachtet worden sein. Zudem ist es bei der medizinischen Bewertung zu berücksichtigen, wenn der individuelle Krankheitsverlauf des Betroffenen Besonderheiten gegenüber den statistischen Erkenntnissen aufweist.

Die Notwendigkeit, einen Arzt hinzuzuziehen, bedeutet aber nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für das gesundheitliche Eignungsurteil übertragen werden darf. Vielmehr wird der Arzt als Sachverständiger tätig, auf dessen Hilfe die zuständige Behörde und das Gericht angewiesen sind, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können. Die Behörde muss – ebenso wie das Gericht – die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen inhaltlich nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden. Im Hinblick auf die Verwertbarkeit der ärztlichen Stellungnahme muss geprüft werden, ob Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Arztes bestehen, dieser von zutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgegangen ist und die entscheidungserheblichen Fragen plausibel und nachvollziehbar abgehandelt hat. Gegebenenfalls muss darauf hingewirkt werden, dass der Arzt seine Ausführungen ergänzt, oder es ist ein weiterer Arzt, insbesondere ein Facharzt, einzuschalten.“

Praxishinweis

Die Praxis wird sich darauf einstellen müssen, dass die Verneinung der gesundheitlichen Eignung im Rahmen einer Verbeamtung künftig deutlich erschwert ist. Ob die geforderte Prognose einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze dauernde Dienstunfähigkeit eintritt, tatsächlich zu erbringen sein wird, muss sich zeigen. Die Vorgaben der Entscheidung für die Tatsachengrundlage einer solchen Prognose sind jedenfalls hoch.

Praxishinweis: Landesanwaltschaft Bayern

BVerwG, U. v. 30.10.2013, 2 C 16.12

Ass. iur. Klaus Kohnen; Foto: (c) Robert Kneschke – Fotolia.com

Net-Dokument BayRVR2013103001