Gesetzgebung

Veranstaltungsbericht: 9. Augsburger Forum für Medizinprodukterecht – „Reform des EU-Medizinprodukterechts – Stand und Perspektiven“

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H. Bebert_105R.Tomasini_105von Ass. Jur. Helena Bebert, M. mel., und Rechtsanwalt Roman Tomasini, Forschungsstelle für Medizinprodukterecht (FMPR), Universität Augsburg

Mit über 140 Teilnehmern konnte das 9. Augsburger Forum für Medizinprodukterecht, das am 12.09.2013 an der Universität Augsburg stattfand, an die gut besuchten vorangegangenen Foren anschließen und bot wiederum zahlreiche Möglichkeiten zum fachlichen Austausch.

Einleitende Worte

Prof. Dr. Ulrich M. Gassner, Leiter der ausrichtenden Forschungsstelle für Medizinprodukterecht (FMPR), begrüßte in seinen einleitenden Worten die Reformbemühungen im Medizinprodukterecht auf europäischer Ebene, warnte aber zugleich vor Risiken zweiter Ordnung durch Überregulierung, die sich durch eine verspätete Markteinführung von Produkten, ohne gewissenhafte Kosten-Nutzen-Abwägung, ergäben. Zwar sei die Sicherheit von Medizinprodukten wesentlich, doch wäre eine Verzögerung innovativer Produkte unvereinbar mit dem Grundrecht der Patienten auf Innovation, so Prof. Gassner weiter.

Die geplante Reform des Medizinprodukterechts

Ziel des diesjährigen Forums war es, den Teilnehmern einen Überblick über die geplante Reform des Medizinprodukterechts, vorrangig geprägt durch den Entwurf einer europäischen Verordnung (MDR-Verordnung; PDF, 662 KB; genaue Bezeichnung: Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über Medizinprodukte und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009), ihren aktuellen Stand sowie die Bedeutung für die Praxis zu verschaffen. Die acht Beiträge beleuchteten die wesentlichen Bereiche der Reform detailliert und aus unterschiedlichen Perspektiven.

So referierte zunächst Dr. Martin Abel (Lohmann & Rauscher GmbH & Co. KG, Regensdorf) über „die Reform aus Herstellersicht“. Er wies darauf hin, dass eine zentrale behördliche Zulassung nicht die Patientensicherheit erhöhe und eine wenig sinnvolle Überregulierung darstellen würde. Durch Höherklassifizierung von Produkten entstünden nicht nur mehr Kosten, sondern auch eine zeitliche Verzögerung von bis zu zwei Jahren. Zudem kritisierte er die geplante Erweiterung der Medizinprodukte-Definition auf Produkte ohne ausdrückliche medizinische Zweckbestimmung, beispielsweise rein kosmetische Produkte. Aus Sicht der Hersteller forderte er die Möglichkeit, nicht nur eine sog. „qualifizierte Person“, sondern mehrere für unterschiedliche Aufgabenbereiche einsetzen zu können. Es wies abschließend auch darauf hin, dass auch der Brustimplantate-Skandal (PIP), wegen seines kriminellen Hintergrundes mit den geplanten Verschärfungen wie etwa einer Baumusterprüfung durch die benannte Stelle, nicht hätte verhindert werden können.

Gerhard Hegendörfer (Europäische Kommission) stellte den „aktuellen Stand der Reform – Probleme und Perspektiven aus Sicht der EU“ dar. Er begründete die Notwendigkeit der Reform damit, dass der gewünschte dynamische und innovative europäische Medizinproduktemarkt nach nunmehr 10 Jahren nicht mehr gegeben sei. Die Reform sei die Konsequenz aus dem PIP-Skandal und soll perspektivisch die Produktsicherheit erhöhen und eine effizientere Durchsetzung der Vorschriften bewirken. Er betonte abschließend das Problem der Haftung, nachdem bereits Klagen gegen Benannte Stellen eingereicht, und solche gegen die Kommission selbst geplant seien.

Die Haftungsproblematik wurde darüber hinaus auch unter den Teilnehmern eingehend diskutiert und die mögliche Einführung einer „Pool- bzw. Fondslösung“ oder eines „Versicherungsprinzips“, bei Versagen der zivilrechtlichen Haftung, z.B. bei umfangreichen Patientenschädigungen, als Konsequenz des PIP-Falls konstruiert.

Maria Nina Heil, M.C.L. (Mannheim/Adelaide) (Clifford Chance, Düsseldorf) sprach über die „Zulassung für Medizinprodukte – Die ENVI-Änderungsvorschläge“ ( Anm.: ENVI – Ausschuss des Europäischen Parlaments für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit). Sie übte Kritik am System des Berichtsentwurfs von Dagmar Roth-Behrendt, dabei stellte sie insbesondere den Zeitaufwand des vorgeschlagenen Zulassungsverfahrens heraus, durch den kein Gewinn an Sicherheit zu verzeichnen wäre, da der Brustimplantate-Skandal auch bei zentraler Zulassung möglich gewesen wäre.

Dr. Christoph Göttschkes (Kanzlei Dr. Lücker, Essen) erläuterte die „neuen Definitionen und Klassifizierungsregeln“ im Detail. Er sah die im Verordnungsvorschlag weniger weit gefasste Definition des Rückrufs positiv, kritisierte aber die Definition des Herstellers als zu weit, wonach zwei Hersteller eines Medizinproduktes existieren könnten, wenn das Produkt durch eine andere Firma vermarktet wird. Auch die Erweiterung des Zubehörbegriffs bzgl. der bloßen Unterstützung des (Haupt-)Medizinprodukts könne zu einer Ausuferung des Begriffs führen.

Den Nachmittag läutete der Vortrag von Dr. Thomas Fischer (Senior Expert Clinical Trials, Bonn) „Zwei Reformen – ein System: Neuerungen in der klinischen Prüfung“ ein, in dem er die geplanten Änderungen durch die MDR und verschiedene Stellungnahmen dazu vorstellte, und zudem die bestehenden nationalen Grundlagen, geregelt durch das MPG, die MPKV und die MPSV, kompakt darstellte.

Anschließend referierte Dr. Jürgen Attenberger (Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen) über „Vigilanz und Überwachung durch Benannte Stellen und Behörden“ und übte deutliche Kritik an den geplanten Innovationen, die mit einer massiven und intensiven Kontrolle der Hersteller durch die Benannten Stellen einerseits, und einer Überwachung der Benannten Stellen durch die zuständigen Behörden andererseits, einhergingen.

Der letzte Block widmete sich dem höchst innovativen, jedoch nur sehr marginal geregelten Bereich der Software. Über „Die Umsetzung des UDI-Systems bei Herstellern“ (Anm.: UDI – Unique Device Identification-System, elektronische Kennzeichnungssystem), welches als weltweites System zu Identifikation von Medizinprodukten etabliert und die Identifikation und Rückverfolgbarkeit von Medizinprodukten vereinheitlichen soll, sprach Dr. Clemens Haas (Fresenius Kabi Deutschland GmbH, Oberursel).

Das Schlussreferat von Matthias Hölzer-Klüpfel (Medizintechnik – Software-Engineering – Entwicklungsprozesse, Würzburg) beschäftigte sich mit „Software als Medizinprodukt im Reformprozess“ und stellte aktuelle praktische und juristische Probleme bei der Qualifikation und Klassifizierung von Software dar, die jedoch auch perspektivisch existent sein werden, da diese im Normierungsprozess durch die MDR nur sehr unzureichend berücksichtigt worden seien.

Schlusswort

Im Schlusswort zeigte sich Prof. Gassner unter dem Stichwort Verwaltungskommunikation gespannt, wie die Verordnung letztendlich umgesetzt werde und wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) diese Bewährungsprobe meistern wird. Er kündigte an, dass die Vorträge auch dieses Jahr wieder in einem Tagungsband in der Reihe „Augsburger Schriften zum Arzneimittel- und Medizinprodukterecht“ (Shaker Verlag) veröffentlicht werden sollen. Abschließend lud er die Teilnehmer zum 10. Augsburger Forum für Medizinprodukterecht am 18.09.2014 ein.

Nachtrag vom 18.11.2013 zum Stand der Reform

Die Europäische Kommission hat am 26.09.2012 zwei Verordnungsvorschläge zur Reform des Medizinprodukterechts veröffentlicht, um als Reaktion auf den „Brustimplantateskandal“ durch strengere Kontrolle von Herstellern und ein verändertes Zulassungssystem von Medizinprodukten mehr Patientensicherheit zu erreichen. Im Unterschied zu den bisher existierenden Richtlinien bedarf eine europäische Verordnung keiner Umsetzung, sondern gilt unmittelbar auf nationaler Ebene (Art. 288 AEUV; PDF, 5 KB).

Inzwischen war der Entwurf am 22.10.2013 zur 1. Lesung im Europäischen Parlament, das eine Stellungnahme mit Kompromissvorschlägen abgegeben hat. Jetzt ist er beim Rat, der nun sein Votum abgeben und ggf. nachbessern muss. Das weitere Verfahren ist von dessen Entscheidung abhängig, wahrscheinlich ist jedoch, dass die Verordnung nicht vor 2017 in Kraft tritt.

 

Anmerkung der Redaktion

Ass. Jur. Helena Bebert, M. mel., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt OR.NET der Forschungsstelle für Medizinprodukterecht (FMPR) der Universität Augsburg, Rechtsanwalt Roman Tomasini ist dort Wissenschaftliche Hilfskraft. Beide promovieren zu einem medizinrechtlichen Thema. Die FMPR wird geleitet von Prof. Dr. Ulrich M. Gassner und ist die einzige ihrer Art in Europa. Das Projekt OR.NET widmet sich der Integration und Vernetzung im Bereich der medizinischen IT.

Net-Dokument BayRVR2013111801