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Heute schon die Verwaltung von (über-)morgen denken – mobile Government bleibt Stiefkind der Digitalen Agenda

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thomas.koch@openlimit.de ; "Effizienter Statt", 28. April 2010von Dirk Arendt, Berlin

Bei der Lektüre des neuen Koalitionsvertrages von CDU/CSU und SPD [PDF, 970 KB] wird schnell deutlich: Der Vertrag bietet unter dem Stichwort „Digitale Agenda“ eine Menge richtiger Ansätze zu eGovernment. Das reicht von der Stärkung des IT-Planungsrates bei der Koordinierung von eGoverment-Projekten bis zum Transfer der deutschlandweiten Behördenrufnummer 115 ins Internet (www.115.de). Auch der Plan, Ansätze zu Open Data zu fokussieren und der angestrebte Beitritt Deutschlands zur internationalen Initiative „Open Government Partnership“ weisen in eine sinnvolle Richtung. Wichtig auch, dass der Vertrag die Bedeutung von Datenschutz und Sicherheit für die Akzeptanz der elektronischen Behördendienste anerkennt.

Das allein sind gute Nachrichten, denn die Erfahrung zeigt: Wenn sich Begriffe – wie hier der der „Digitalen Agenda“ – wie ein roter Faden durch nahezu alle Kapitel eines Koalitionsvertrags ziehen, dann können daraus am Ende häufig auch konkrete Gesetzesvorhaben und politische Projekte abgeleitet und finanziert werden. Denn egal ob mit oder ohne Internetminister – die „Digitale Agenda“ stellt richtigerweise einen Schwerpunkt für ressortübergreifendes Handeln in den nächsten Jahre dar.

Mittlerweile gibt es zum ersten Mal in der Geschichte des Deutschen Bundestages auch einen Ausschuss Digitale Agenda, der sich mit den Fragestellungen rund um die Netzpolitik beschäftigen wird. Mit diesem Ausschuss wird die Netzpolitik ab sofort mitten im Parlament verankert sein. In der Konsequenz – und unabhängig vom Streit über den Hashtag dazu (#btada) – kann nun jedes künftige Gesetz im Bundestag aus netzpolitischer Fachperspektive beleuchtet, bewertet und beeinflusst werden. Ein schöner und zwingend notweniger Erfolg für ein Querschnittsthema.

Aber auch die Digitale Agenda an sich bleibt nicht stehen: Auf der diesjährigen CeBIT stellte Bundesinnenminister de Maizière mit seinen Kabinettskollegen, dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Gabriel, und dem Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Dobrindt, in einer gemeinsamen Pressekonferenz die sieben Handlungsfelder der Digitalen Agenda vor. Dabei betonte de Maizière die Bedeutung der Digitalisierung für die Öffentliche Verwaltung. Gerade im ländlichen Raum und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels müsse die Versorgung der Menschen mit öffentlichen Dienstleistungen sichergestellt werden. Hierzu kündigte der Bundesinnenminister im Rahmen des Handlungsfeldes „Innovativer Staat“ für Juli dieses Jahres ein Regierungsprogramm „Digitale Verwaltung 2020“ an. Das Programm ist der Beitrag der Verwaltung zu einem bürgerfreundlichen digitalen Deutschland und soll verbindliche Standards zur flächendeckenden Digitalisierung der Verwaltung auf den Weg bringen

Die Digitale Agenda wird unter der gemeinsamen Federführung der drei Bundesministerien, BMI, BMWi und BMVI erarbeitet und umgesetzt. Ein Kabinettbeschluss wird bis zur Sommerpause angestrebt.

Den mobilen Trend nicht verschlafen

Klar ist aber auch: Dem Koalitionsvertrag fehlt es, wenn es um die Zukunft des Internet geht, an Weitsicht. Eine Zukunft, die vor allem eine mobile ist. Laut einer aktuellen ARD/ZDF-Studie sind im Jahr 2013 rund 41 Prozent der Internet-Nutzer mobil, sprich unterwegs, online. Das sind fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Der Siegeszug von Smartphones und Tablet-PCs ist unumstößlich: Im dritten Quartal 2013 wurden in Deutschland erstmals mehr Tablet-PCs als Notebooks verkauft, fast jeder zweite Deutsche nutzt ein Smartphone. Und nach uns kommt eine Generation von jungen Menschen, die sich ein Leben ohne Smartphone gar nicht mehr vorstellen können – die es gar nicht anders kennen. Diesen Trends zum Trotz und obwohl Deutschland schon heute zu den Ländern mit der geringsten Nutzung von Mobile Government (mGovernment) zählt, findet sich im Koalitionsvertrag dazu keinerlei Strategie.

Potenzial von mGovernment

Dabei gibt es gute Gründe für die öffentliche Verwaltung, sich diesen Anforderungen zu stellen. Mobile Sicherheitslösungen und eine umfassende Strategie zur mobilen digitalen Sicherheit sind bei der Weiterentwicklung von Strategien zum (e- und) mGovernment sowohl innerhalb der Verwaltung (mobile Akten sowie der Zugriff auf Verwaltungsprozesse von überall) wie auch im Bereich zur Wirtschaft oder zum Bürger unerlässliche Themen. Anerkennen wir die Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz mobiler Geräte ergeben, und fragen, wie sie die Aufgabenwahrnehmung durch die Verwaltung erleichtern und unterstützen können. Überlegen wir uns doch, wo mobiler Einsatz sinnvoll und dienlich ist.

Dies betrifft zum einen den Verwaltungsmitarbeiter im Außeneinsatz wie beispielsweise bei der Polizei, beim Zoll, im Gesundheits- oder Ordnungsamt, wie auch grundsätzlich jeden Mitarbeiter, der zu flexiblen Arbeitsplatz- und Arbeitszeitmodellen wechseln möchte. Auf sensible Daten da zurückgreifen zu können, wo sie benötigt werden, ohne sie dabei zu gefährden, ist die zentrale Herausforderung. Andere Staaten haben es mit einem „mobile first“-Ansatz vorgemacht.

Zugleich ergeben sich beispielsweise bei der digitalen Bürgerbeteiligung große Chancen. Politik und Verwaltung können sich dieses handlichen Weges bedienen, um Prozesse demokratischer und verständlicher zu machen. Und wird der Begriff des mGovernment entsprechend weit gefasst, so zeigt sich, dass auch im Rahmen der Organisation der Freiwilligendienste oder gar im Katastrophenfall durch die Kombination von Lokation Based Services und den praktischen, allgemeinverständlichen Möglichkeiten, die mobile Geräte bieten, weit mehr erreicht werden kann, als es bisher geschieht. Wer weiß denn heute schon, was in seiner nahen Umgebung an freiwilligen Diensten gesucht oder gar bereits angeboten wird? Vor dem Hintergrund der Herausforderungen, denen sich die öffentliche Verwaltung und die Gesellschaft im Rahmen des demographischen Wandels stellen müssen, sicherlich ein nicht ganz zu vernachlässigender Aspekt. Und hier zeigt sich dann auch der überall so vehement geforderte Mehrwert der Nutzung von mobilen Prozessen. Aber mGov wird nur dann funktionieren, wenn die Prozesse modern, mobil, nutzerfreundlich – und auch sicher sind.

Worten müssen Taten folgen, wenn die Koalition eine wirklich moderne Verwaltung für Deutschland will. Hier gilt es aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre und der abgeschlossenen Kampagnen zu lernen und für die Initiative „Digitale Verwaltung 2020“ hin zu einem bürgerfreundlichen digitalen Deutschland von Anfang an auf internationale (gängige) Standards zu setzen. Den Weg des Einsatzes von sicheren Containern und damit der technischen Interoperabiltät der Dienste und Prozesse sind andere Staaten längst vorgegangen – Deutschland kann auf deren Erfahrungen aufsetzen, sie transformieren.

Aber bitte nicht wieder den so wesentlichen Punkt der Kommunikation dabei vernachlässigen! Jedes Unternehmen kommuniziert die Vorteile bei der Einführung eines neuen Produktes und erst recht bei einem Strategiewechsel. Wie sehr man die Möglichkeiten des mGov praktisch und allgemeinverständlich an Hand des Nutzens für den einzelnen Beteiligten erklären muss, hat letztendlich – leider – die Einführung des neuen Personalausweises gezeigt.

Das Internet von (über-)morgen heute denken

Dass sich der Begriff der „Digitalen Agenda“ durch den gesamten Koalitionsvertrag zieht und an vielen Stellen aufgegriffen wird, zeigt: Das Thema ist endlich auch „ganz oben“ bei den Politikern angekommen. Doch gerade weil es dabei um die Jahre 2014 bis 2017 geht, ist es unverständlich, warum dem Bereich „mobile“ keine stärkere Rolle zukommt und warum es beim mGovernment offenbar keine Ambitionen gibt, Deutschlands Zukunft wirklich zu gestalten.

Denn auch wenn dieser neue Koalitionsvertrag einen ordentlichen Schritt nach vorne macht, bleibt es dabei: Wenn Deutschland seine digitale Zukunft nicht verspielen will, müssen Politik – aber auch Wirtschaft und Verwaltung – heute die kommenden zehn, 20 Jahre in den Blick nehmen, die Verwaltung von (über-)morgen denken und gestalten. Sonst macht die „Digitale Agenda“ keinen Sinn.

 

Anmerkung der Redaktion

Dirk Arendt ist Director Government Affairs Germany und EU bei Good Technology, Mitglied im Gesamtvorstand der Initiative D21 e.V. und im Advisory Board des Fraunhofer eGovernment Zentrums sowie Mitglied des Redaktionsbeirats der Zeitschrift eGovernment Computing.

Net-Dokument BayRVR2014032701