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Landtag: Sozial- und Rechtsausschuss – Gemeinsame Anhörung zur bayerischen Asylpolitik

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Wie geht es Flüchtlingen in Bayern? Was kann man tun, um ihre Situation erträglicher zu machen? Um sich ein Bild über die Lage der Asylbewerber im Freistaat zu machen, haben Sozial- und Rechtsausschuss des Bayerischen Landtags in einer gemeinsamen Sitzung Sachverständige angehört. Vor allem zwei Forderungen erhoben die Experten: Flüchtlinge sollten früher aus den Gemeinschaftsunterkünften ausziehen dürfen und vom ersten Tag an krankenversichert sein.

Die Zahl der in Bayern lebenden Flüchtlinge steigt messbar an. In der Erstaufnahmeeinrichtung im fränkischen Zirndorf hat sie sich binnen eines Jahres verdoppelt. Deswegen hat die Staatsregierung beschlossen, künftig in jedem Regierungsbezirk eine Erstaufnahmeeinrichtung zu errichten. Als erste bezugsfertig wird Deggendorf sein – im Rahmen einer Zwischenlösung ab Anfang kommenden Jahres, voll einsatzfähig ab 2018. Andere Regierungsbezirke suchen noch nach einem geeigneten Standort. Keine leichte Aufgabe:

„Kein Bürgermeister ist begeistert, wenn in seiner Gemeinde eine Gemeinschaftsunterkunft errichtet wird“, sagte Heinz Grunwald, Regierungspräsident in Niederbayern.

Die Gemeinschaftsunterkunft soll als erste Anlaufstelle dienen. Das Gros der Experten appellierte indes an die Politiker, Flüchtlingen früher zu erlauben, aus der Gemeinschaftsunterkunft auszuziehen.

Dafür liegen die Hürden derzeit noch hoch.

„Wenn der Amtsarzt aus medizinischen Gründen ein Einzelzimmer befürwortet, nützt das nichts, denn es gibt zu wenige Einzelzimmer“, sagte Jürgen Soyer, Geschäftsführer des Flüchtlingsberatungszentrums Refugio.

Ähnlich verhalte es sich mit Flüchtlingsfamilien, die die Gemeinschaftsunterkunft verlassen dürften, so Soyer:

„Der Staat zahlt ihnen zwar die Mietkaution, aber keine Maklerprovision. So können Asylbewerber auf dem Mietmarkt nicht konkurrieren.“

In der Regel gelinge es Asylbewerben erst nach vier Jahren, die Gemeinschaftsunterkunft zu verlassen, beklagte Rechtsanwalt Hubert Heinhold vom Bayerischen Flüchtlingsrat. In dieser Zeit verlören viele Betroffene jegliche Eigeninitiative, zumal ihnen nicht einmal gestattet sei, den Wohnort zu wechseln, falls sie eine Beschäftigung finden.

Voraussetzung für einen Arbeitsplatz sind in der Regel belastbare Deutschkenntnisse. In Nürnberg werden junge Flüchtlinge seit vier Jahren systematisch unterrichtet. Dies gelinge deutlich besser, so Gisela Schlenk, Leiterin der Beruflichen Schule Nürnberg, „wenn die Schüler zuhause lernen, über einen eigenen Schreibtisch verfügen und nachts durchschlafen können“. All dies sei in der Gemeinschaftsunterkunft schwieriger als in einer Mietwohnung.

„Nur die Überflieger schaffen es unter diesen Bedingungen, einen Schulabschluss zu erringen“, sagte Michael Stenger vom Trägerkreis Junge Flüchtlinge e.V.

Ein weiterer Schwerpunkt der Debatte war die medizinische Versorgung von Flüchtlingen. Viele Asylbewerber haben im Heimatland oder auf der Flucht Notsituationen durchleiden müssen und kommen in Bayern schwer traumatisiert an. Vor allem Frauen christlichen Glaubens aus Osteuropa und muslimische Männer aus dem Irak und Afghanistan bedürften psychiatrischer Versorgung, berichtete Prof. Kneginja Richter, Oberärztin an der Psychiatrischen Klinik Nürnberg-Nord. Diagnose und Behandlung seien schwer, denn es mangele oft an geeigneten Dolmetschern.

„Und wenn man einen Übersetzer für Farsi oder Somalisch gefunden hat, beginnt er oft zu weinen, weil das Leid, von dem die Flüchtlinge berichten, schwer zu ertragen ist“, so Richter.

Es mangele an Schulungen, die die Dolmetscher auf solche Herausforderungen vorbereiten. Ein größeres Problem ist aber, dass Flüchtlinge derzeit noch nicht ohne weiteres einen niedergelassenen Arzt aufsuchen dürfen. Vorher steht ein Termin beim Gesundheitsamt an, auf den ein Flüchtling möglicherweise drei Wochen warten müsse, wie eine Münchner Ärztin berichtete. Und danach muss der Flüchtling erst zum Sozialamt, das den Gang zum Arzt und die Kostenübernahme genehmigt.

Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat forderte, das Asylbewerberleistungsgesetz auf Bundesebene komplett zu kippen und Flüchtlinge vom ersten Tag an wie deutsche Staatsbürger sozialzuversichern:

„Mit solchen Verwaltungsschikanen muss Schluss sein.“

Werner Staritz, Leiter der Erstaufnahmeinrichtung Zirndorf, wehrte sich gegen den Vorwurf, Flüchtlinge seien in der Gemeinschaftsunterkunft medizinisch unterversorgt: Es habe in vielen Jahren nur einen einzigen Fall gegeben, in der ein Arzt nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen sei. Monika Steinhauser vom Münchner Flüchtlingsrat warf ein, in Bremen könnten Flüchtlinge ohne vorherigen Behördengang zum Arzt gehen. Die Kosten für den Staat seien seitdem niedriger als zuvor, weil die Patienten so rechtzeitig diagnostiziert werden könnten und langwierige Behandlungen und Notfalleinsätze wegfielen.

Dem Vorwurf der Verwaltungsschikane widersprach Dr. Hans-Eckhard Sommer vom Innenministerium. Er warb um Verständnis dafür, dass der Staat unterscheiden müsse zwischen Asylbewerbern und Flüchtlingen, deren Asylantrag endgültig abgelehnt wurde. Die Behörden seien gesetzlich verpflichtet, im Falle eines abgelehnten Asylantrags auf die Ausreise des Betroffenen hinzuwirken. Oft gestalte sich diese Ausreise schwierig, weil Flüchtlinge ihre wahre Identität nicht preisgäben und sich kein Land finde, in das sie sich abschieben ließen.

„Hier liegt die Lösung aber nicht in weiter möglichst optimalen Aufenthaltsbedingungen.“

Sommer kritisierte auch die Einrichtung des Kirchenasyls, da es sich häufig über internationale Vereinbarungen und geltendes Recht hinwegsetze. Pfarrer Kuno Hauck vom Evangelisch-Lutherischen Dekanat in Nürnberg warf den Behörden hingegen „mangelnde Sensibilität für Flüchtlingsschicksale“ vor.

So lag das Spannungsfeld der Debatte zwischen den deutschen Gesetzen, die Behörden dazu zwingen, Asylanträge kritisch zu prüfen und abgelehnte Flüchtlinge abzuschieben, und der Äußerung eines Teilnehmers, der weder von Flüchtlingen noch von Asylbewerbern sprach, sondern von „unseren Gästen und Freunden“, zu denen man als Christ auch dann stehen müsse, wenn der Staat sie ausweisen wolle. Angelika Weikert (SPD), die die Anhörung im Konferenzsaal des Landtags geleitet hatte, versprach zum Abschluss, sowohl der Rechts- als auch der Sozialausschuss würden in den kommenden Monaten allen angesprochenen Fragen nachgehen und Lösungsmöglichkeiten debattieren. Auch Vertreter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und des Bayerischen Sozialministeriums signalisierten zusätzliche Mittel und weniger bürokratische Hürden.

Bayerischer Landtag, Aktuelles – Sitzungen – Aus den Ausschüssen v. 10.04.2014 (von Jan Dermietzel)