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EuGH: Abzuschiebende Drittstaatsangehörige dürfen nicht in gewöhnlichen Haftanstalten untergebracht werden

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Ein Mitgliedstaat darf sich nicht auf das Fehlen spezieller Hafteinrichtungen in einem Teil seines Hoheitsgebiets berufen, um abzuschiebende Drittstaatsangehörige in gewöhnlichen Haftanstalten unterzubringen. Dies gilt selbst dann, wenn der betroffene Drittstaatsangehörige in die Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt einwilligt.

Die Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG, ABl. L 348, S. 98) sieht vor, dass die Inhaftierung von Drittstaatsangehörigen, die abgeschoben werden sollen, grundsätzlich in einer speziellen Einrichtung erfolgen muss und nur ausnahmsweise in einer gewöhnlichen Haftanstalt vollzogen werden darf, wobei der Mitgliedstaat dann sicherzustellen hat, dass der Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht wird.

In Deutschland ist es Aufgabe der Länder, die Haft von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen zu vollziehen. Da das Land Hessen über keine spezielle Hafteinrichtung verfügt, die Frauen aufnehmen kann, wurde Frau Adala Bero, eine mutmaßlich syrische Staatsangehörige, vom 6. Januar bis zum 2. Februar 2011 in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main inhaftiert. Herr Ettayebi Bouzalmate, ein marokkanischer Staatsangehöriger, wurde in einer besonderen Abteilung der Justizvollzugsanstalt München inhaftiert, da es im Freistaat Bayern keine speziellen Hafteinrichtungen gibt. Frau Thi Ly Pham, eine vietnamesische Staatsangehörige, wurde vom 29. März bis zum 10. Juli 2012 in einer bayerischen Justizvollzugsanstalt inhaftiert, wobei sie – anders als Frau Bero und Herr Bouzalmate – in eine gemeinsame Unterbringung mit gewöhnlichen Strafgefangenen eingewilligt hatte.

Der Bundesgerichtshof und das Landgericht München I ersuchten den Gerichtshof um Prüfung, ob ein Mitgliedstaat illegal aufhältige Drittstaatsangehörige in einer speziellen Hafteinrichtung inhaftieren muss, wenn die für die Anordnung und Vollziehung der Haft zuständige föderale Untergliederung über keine solche Hafteinrichtung verfügt. In der Rechtssache Pham stellt sich auch die Frage nach der Einwilligung des Betroffenen.

Zu den Bedingungen, unter denen die Haft vollzogen wird, stellt der Gerichtshof in seinen Urteilen vom heutigen Tag fest, dass nach dem Wortlaut der Rückführungsrichtlinie die Inhaftierung von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen zum Zweck der Abschiebung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen erfolgen muss. Die nationalen Behörden, die diese Regel anzuwenden haben, müssen daher in der Lage sein, die Haft in speziellen Einrichtungen zu vollziehen, und zwar unabhängig von der Verwaltungs- oder Verfassungsstruktur des Mitgliedstaats, dessen Teil sie sind. Es kann somit keine hinreichende Umsetzung der Rückführungsrichtlinie darstellen, wenn die zuständigen Behörden in bestimmten föderalen Untergliederungen eines Mitgliedstaats über die Möglichkeit verfügen, solche Unterbringungen vorzunehmen, in anderen dagegen nicht.

Der Gerichtshof erkennt zwar an, dass ein föderal strukturierter Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, in jeder föderalen Untergliederung spezielle Hafteinrichtungen zu errichten; dieser Mitgliedstaat muss aber sicherstellen, dass die zuständigen Behörden in den föderalen Untergliederungen, die über keine solchen Einrichtungen verfügen, die Drittstaatsangehörigen in speziellen Hafteinrichtungen in anderen föderalen Untergliederungen unterbringen können.

In der Rechtssache Pham entscheidet der Gerichtshof ferner, dass ein Mitgliedstaat den Willen des betroffenen Drittstaatsangehörigen, in einer gewöhnlichen Haftanstalt untergebracht zu werden, nicht berücksichtigen darf. Denn im Rahmen der Rückführungsrichtlinie gilt das Gebot der Trennung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger von gewöhnlichen Strafgefangenen ohne Ausnahme und garantiert damit die Wahrung der Rechte der Ausländer im Zusammenhang mit der Haft. Insbesondere geht das Trennungsgebot über eine bloße spezifische Durchführungsmodalität der Inhaftierung in gewöhnlichen Haftanstalten hinaus und stellt eine materielle Voraussetzung für diese Unterbringung dar, ohne deren Erfüllung die Unterbringung grundsätzlich nicht mit der Richtlinie in Einklang stünde.

EuGH, Pressemitteilung v. 17.07.2014 zu den U. in den verbundenen Rs. C-473/13 und C-514/13 sowie in der Rs. C-474/13

Redaktionelle Anmerkungen

Mit Beschlüssen v. 11.07.2013 hatte der BGH dem EuGH mehrere Fragen zur Unterbringung von Abschiebungshäftlingen zur Entscheidung vorgelegt. Über diese hat der EuGH nunmehr entschieden. In Reaktion auf die Vorlagebeschlüsse und eine sich andeutende Änderung der Rechtsauffassung zur Verwirklichung des Trennungsgebots war der Freistaat Ende 2013 dazu übergegangen, die Abschiebungshaft bis zu einer endgültigen Klärung der im Raum stehenden Fragen durch den EuGH in einer eigenen Anstalt und nicht mehr in abgetrennten Abteilungen der Justizvollzugsanstalten zu vollziehen. Hierzu wurde die JVA Mühldorf am Inn geräumt und umgebaut und in Amtshilfe für das bayerische Innenministerium nur noch für die Abschiebungshaft genutzt. Genauere Informationen enthält die dazugehörige Pressemitteilung des StMJ.

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