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Die Förderung des Elektronischen Rechtsverkehrs im und durch den Freistaat Sachsen

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Staatssekretär SMJ

von Dr. Wilfried Bernhardt, Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa, Beauftragter für Informationstechnologie (CIO) des Freistaates Sachsen

1. Zum Begriff des Elektronischen Rechtsverkehrs

Im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens übermitteln die Parteien dem Gericht eine Vielzahl von Dokumenten – von Anträgen verschiedenster Art über Klagebegründungen und  -erwiderungen bis hin zu Abrechnungen und Beweisurkunden. Dies geschah über Jahrzehnte hinweg in der klassischen Papierform. Mit der Kommerzialisierung des Internets wurde die Möglichkeit eröffnet, von der papiergebundenen Kommunikation zur elektronischen überzugehen. Es darf allerdings nicht verwundern, dass sich die Justiz insoweit zunächst nicht zum Vorreiter aufgeschwungen hat. Vielmehr hielt sie, während in zahllosen Lebensbereichen die E-Mail sukzessive zum Kommunikationsmittel Nummer eins wurde, unbeirrt an der bewährten Papierform fest, wissend, dass die E-Mail eben in vielerlei Hinsicht einer bloßen Postkarte ähnelt. Verfahrensparteien, die dem Gericht Umstände mitzuteilen haben, die ihrer Privat-, ja Intimsphäre zuzurechnen sind, schätzen es nicht, dies per Postkarte tun zu müssen.

Doch die Technik hat sich weiterentwickelt. Insbesondere mit dem Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP), einer Eigenentwicklung der Justiz, ist es nunmehr möglich, die elektronische Kommunikation in einer Weise anzubieten, die den speziellen Bedürfnissen des gerichtlichen Verfahrens ganz und gar gerecht wird. Wenn wir heute über den „Elektronischen Rechtsverkehr“ (ERV) sprechen, dann reden wir über die formwirksame elektronische Übermittlung von Klageschriften und anderen Dokumenten in gerichtlichen Verfahren, die dem Absender rechtlich und technisch sicher zugeordnet werden können, was wiederum zwingend die Gewährleistung der

  • Integrität (unveränderte und unverfälschte Übermittlung des Dokumentes),
  • Authentizität (der vorgebliche Absender ist auch der tatsächliche) und
  • Vertraulichkeit (kein Unbefugter kann das Dokument zur Kenntnis nehmen)

erfordert.

2. Zur Entwicklung des ERV in Deutschland

Mit dem 2005 erlassenen Justizkommunikationsgesetz (PDF, 205 KB) wurde den Ländern und dem Bund durch Verordnungsermächtigungen die Gelegenheit gegeben, jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich individuell zu bestimmen, ab wann bei welchen Gerichten und in welchen Verfahren Dokumente elektronisch eingereicht werden können. Da die Einführung des ERV mit erheblichen Änderungen in der technischen Infrastruktur der Justiz und bei den gerichtlichen Verfahrensabläufen einhergeht, hat die Mehrzahl der Länder von diesen Ermächtigungen bislang nur zurückhaltend Gebrauch gemacht.

Eine wirklich flächendeckende Nutzung der elektronischen Kommunikationsmittel ergab sich in der Praxis regelmäßig nur in Bereichen, in denen der Gesetzgeber eine ausdrückliche Verpflichtung hierzu vorsah, nämlich beim Handels- und Unternehmensregister (seit 1. Januar 2007) und in Mahnverfahren (seit 1. Dezember 2008). In allen anderen Bereichen entstand im Laufe der Jahre ein „Flickenteppich“: In einigen Ländern ist der elektronische Zugang zu allen Gerichten eröffnet, in anderen nur zu ausgewählten – und teilweise nur in bestimmten Verfahrensarten. Ein Rechtsanwalt, der derzeit mit einem bestimmten Gericht elektronisch kommunizieren will, muss zuvor die entsprechende Rechtsverordnung des betreffenden Landes darauf überprüfen, ob der elektronische Zugang zu diesem Gericht bereits eröffnet wurde. Irrt er sich hierbei, kann das teuer werden: Im Juli 2013 entschied das OLG Düsseldorf in einem Fall mit einem Streitwert von 30 Millionen Euro (!), dass ein Anwalt die Berufungsbegründungsfrist versäumt habe, nachdem er das fragliche Dokument elektronisch an das Berufungsgericht übermittelt hatte, dieser Kommunikationsweg dort aber noch nicht eröffnet war.

Mit dem vom Freistaat Sachsen maßgeblich mitinitiierten Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (sogenanntes „E-Justice-Gesetz“) soll dieser „Flickenteppich“ beseitigt werden. Zum 1. Januar 2018 (bei Nutzung einer Opt-Out-Klausel zum 1. Januar 2019) muss der elektronische Zugang zu allen deutschen Gerichten eröffnet werden. Ab 1. Januar 2022 (bei Nutzung einer Opt-In-Klausel um bis zu zwei Jahre eher) sind die sogenannten „professionellen Einreicher“ gesetzlich sogar verpflichtet, den elektronischen Zugang auch zu nutzen.

3. Der ERV im Freistaat Sachsen

Der ERV kann bei konsequenter Nutzung zu erheblichen Effizienzsteigerungen und Kostenreduktionen führen.

Deshalb hat der Freistaat Sachsen die strategische Entscheidung getroffen, den elektronischen Zugang flächendeckend (also zu allen 46 sächsischen Gerichten), umfassend (also in – mit einer einzigen Ausnahme – allen Verfahrensarten) und möglichst frühzeitig zu eröffnen. Mit Blick auf die wie überall knappen Personalressourcen ist dies gestaffelt nach einem im Voraus detailliert festgelegten Projektplan erfolgt. Alle zwei Monate wurde der elektronische Zugang zu den Gerichten eines der fünf sächsischen Landgerichtsbezirke eröffnet, wobei Teststellungen und Pilotbetriebszeiten für eine stabile und möglichst reibungslose Ergänzung des zusätzlichen Kommunikationskanals sorgten. Mit der Realisierung wurden Projektgruppen in den einzelnen Geschäftsbereichen betraut. Die Führung der Gruppen übernahmen Vertreter der gerichtlichen Praxis. Neben Mitarbeitern der Gerichte waren auch Techniker der IT-Leitstelle, Mitglieder der Personalvertretungen und Bedienstete des Justizministeriums in diesen Gruppen vertreten, was nicht nur eine unkomplizierte Abstimmung auf kurzen Wegen ermöglichte, sondern auch der Akzeptanz der Einzelprojekte diente. Ferner standen die Projektgruppen in direktem und engem Kontakt zu den wichtigsten Kommunikationspartnern der sächsischen Justiz, also insbesondere den Rechtsanwälten, Notaren, den Industrie- und Handelskammern, Versicherungsträgern usw. Auf diese Weise erfolgte nicht nur eine umfassende Information über die neue Kommunikationsinfrastruktur, vielmehr konnten auch die speziellen Bedürfnisse der einzelnen Nutzergruppen ermittelt und im Alltag auftretende Fragen besprochen werden.

Über die Einbindung in die Projektgruppen hinaus wurde während der gesamten Projektphase ein enger Kontakt zu den Personalvertretungen gehalten, die in Quartalsgesprächen und schriftlichen Sachstandsberichten über den jeweils aktuellen Projektfortschritt unterrichtet wurden. Auch soweit es um die Änderung von Arbeitsabläufen und die Umgestaltung von Arbeitsplätzen im Zuge der Einführung des ERV ging, kam den Personalvertretungen als Interessenvertretern der Bediensteten eine eminent wichtige Rolle zu, die sie kritisch, aber stets konstruktiv ausgefüllt haben. Das Justizministerium stand den Projektgruppen beratend zur Seite, soweit es um die Beurteilung rechtlicher Einzelfragen ging, und organisierte einen Workshop zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch der einzelnen Gruppen, der großen Anklang fand. Zum 1. Dezember 2012 – und damit planmäßig – hatte die sächsische Justiz das ehrgeizige Ziel der vollständigen Eröffnung des elektronischen Zugangs erreicht. Hiermit sind erhebliche Erleichterungen für ihre Kommunikationspartner verbunden, weil es seither zumindest in Sachsen schon heute keinen „Flickenteppich“ mehr gibt.

Nicht ausschließlich, aber insbesondere die Anwaltschaft macht von der Möglichkeit, bequem vom Kanzleischreibtisch aus Schriftsätze und Anlagen per Mausklick zu übermitteln, regen Gebrauch. Die Gerichte ihrerseits sind zunehmend daran interessiert, auch Postausgänge elektronisch zu versenden. Teilweise – etwa im Grundbuchbereich – geschieht dies schon jetzt flächendeckend, hauptsächlich was die Eintragungsbekanntmachungen an die Notare angeht. In anderen Bereichen warten wir noch auf die in länderübergreifenden Verbünden erfolgende Anpassung der Fachverfahren, damit der Versand effizient in den regulären Workflow eingepasst werden kann.

Die nachfolgende Grafik verdeutlicht den steten Anstieg elektronischer Post seit Januar 2012:

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Die oben angesprochene Ausnahme bei der Eröffnung des elektronischen Zugangs in allen Verfahrensarten betrifft die Grundbuchsachen. Hier wollen wir die Schaffung einer neuen Kommunikationsinfrastruktur nämlich zum einen unmittelbar mit der Einführung der führenden elektronischen Grundakte verbinden und zudem mit einer Verpflichtung der Notare versehen. Am 1. April 2014 haben wir damit beim Grundbuchamt Dresden begonnen und im Zuge der Umstellung auf eine elektronische Aktenführung den elektronischen Zugang eröffnet, dessen Nutzung für die Notare sogar vorgeschrieben ist. Auch dieses Teilprojekt wurde in enger Zusammenarbeit mit der Sächsischen Notarkammer und den sächsischen Notaren sorgfältig vorbereitet und durchgeführt. Detailfragen – etwa zur Einreichung übergroßer Lagepläne – wurden vertieft besprochen und einvernehmlich gelöst.

4. Die Elektronische Verfahrensakte – eine wichtige Ergänzung des ERV

Abgesehen von der bereits erwähnten elektronischen Grundakte werden auch im Freistaat Sachsen die Verfahrensakten der Gerichte noch in Papier geführt. Denn für die Einführung rechtsverbindlicher elektronischer Akten, die in Sachen Funktionalität und Ergonomie den Ansprüchen der Anwender gerecht werden, sind noch eine ganze Reihe technischer und organisatorischer Voraussetzungen zu schaffen. Hierzu zählen insbesondere:

  • Hochverfügbarkeit von Akte, Netz und Systemumgebung,
  • Kompatibilität der Akten mit Fachverfahren,
  • Datenschutz nach innen und außen,
  • Barrierefreiheit für körperlich beeinträchtigte Mitarbeiter und Verfahrensbeteiligte,
  • Mobilität bei der Bearbeitung am Arbeitsplatz, im Sitzungssaal oder von auswärts,
  • Akteneinsicht auch für Externe,
  • Ergonomie des Arbeitsplatzes für die dauerhafte Arbeit an Bildschirmarbeitsplätzen.

Viel Zeit, um diese Voraussetzungen zu schaffen, bleibt nicht. Denn auch wenn das E-Justice-Gesetz selbst keine Verpflichtung zur elektronischen Aktenführung vorsieht, wird die dort normierte Pflicht der „professionellen Einreicher“ zur Nutzung der elektronischen Kommunikation zu einem dramatischen Anstieg elektronischer Eingänge führen. So wie die Wandlung von Papiereingängen in elektronische Dateien aufwändig und zeitraubend ist, ist es der „umgekehrte Medienbruch“, also die Wandlung elektronischer Eingänge in Papier, naturgemäß auch. Deshalb wird über kurz oder lang kein Weg an der Umstellung auf eine elektronische Aktenführung auch bei den Gerichten vorbeiführen. In Teilbereichen – etwa in der Verwaltungsgerichtsbarkeit – sammelt die sächsische Justiz im Rahmen von Pilotprojekten derzeit bereits erste – durchaus vielversprechende – Erfahrungen mit der elektronischen Aktenführung und Vorgangsbearbeitung.

5. Fazit und Ausblick

Die elektronische Kommunikation und die elektronische Aktenführung bieten für die Justiz erhebliche Chancen und Vorteile, etwa:

  • Reduzierung bzw. Wegfall von Wartezeiten und Arbeitsschritten,
  • Reduzierung von Porto-, Papier- und Tonerkosten,
  • Verkürzung der Verfahrensdauer durch die Verringerung von Postlaufzeiten, Liegezeiten und sonstiger Wartezeiten,
  • schnellere Vollstreckung von Forderungen privater und öffentlicher Gläubiger,
  • Möglichkeit des elektronischen Zugriffs auf Dokumente jederzeit von jedem Ort,
  • Reduzierung von Lager- und Archivkosten,
  • schnellere und kostengünstigere Akteneinsicht,
  • grundlegende Workflowänderungen durch die Verwendung und Übernahme strukturierter Daten.

Diese Effekte kommen zu großen Teilen auch den Verfahrensbeteiligten unmittelbar zugute, die mit einer im wahrsten Sinne des Wortes besser erreichbaren, schnelleren und modernen Justiz kommunizieren. Der Freistaat Sachsen hat die Einführung des ERV bewusst auch stets als eine wichtige Komponente der Staatsmodernisierung angesehen und vorangetrieben. Wenn der ERV ab 2020 in ganz Deutschland verpflichtend eingeführt wird, verfügt Sachsen bereits über ein knappes Jahrzehnt an Erfahrungen mit der elektronischen Justizkommunikation und wird diese in den länderübergreifenden Erfahrungsaustausch und die weitere Fortentwicklung von E-Justice einbringen. Das durch uns maßgeblich mitgeprägte E-Justice-Gesetz ist ein eminent wichtiger Meilenstein, aber eben nur ein Zwischenerfolg, auf dem wir uns nicht ausruhen dürfen. Nun geht es darum, dieses Gesetz mit Leben zu erfüllen. Hierbei wird Sachsen den erfolgreichen Weg der engen Zusammenarbeit mit den Kommunikationspartnern der Justiz fortsetzen. So gab es bereits erste Gespräche mit der Bundesrechtsanwaltskammer mit der Absicht, bei der Erprobung des besonderen Anwaltspostfachs eng zusammenzuarbeiten.

Anmerkung der Redaktion

Dr. Wilfried Bernhardt wurde 1986 an der Universität Bayreuth promoviert. Von 1987 bis 1990 war er Persönlicher Referent des damaligen Bundesministers der Justiz Hans A. Engelhard. In den Jahren 1991 bis 1996 war er als Referatsleiter in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund u.a. für die Rechts- und Innenpolitik sowie für Informationstechnologie und Europapolitik zuständig. Seit 1998 führte er die Unterabteilung ZB (Verwaltung) im Bundesministerium der Justiz. Dort war er u.a. für die Informationstechnologie zuständig. Vor seinem Wechsel nach Sachsen war Dr. Bernhardt u.a. Sonderbeauftragter für die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bei den Bundesgerichten und als deutscher Delegationsleiter bei den Verhandlungen zum Mehrländerprojekt der Strafregistervernetzung tätig. 2009 wechselte er als Staatssekretär in das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Europa. In seiner Funktion als CIO des Freistaates Sachsen liegt ein Arbeitsschwerpunkt auf dem Einsatz der Informationstechnologie und den Gebieten E-Justice und E-Government.

Net-Dokument BayRVR2014072201