Aktuelles

BVerwG: Jahrespressegespräch des Bundesverwaltungsgerichts

©pixelkorn - stock.adobe.com

1. Allgemeine Lage des Gerichts

Am Bundesverwaltungsgericht arbeiteten im Geschäftsjahr 2014 insgesamt 16 Richterinnen (28 %) und 40 Richter sowie 150 weitere Beschäftigte der Geschäftsstelle, der Gerichtsverwaltung und der Informationsdienste (Bibliothek und Dokumentationsstelle). Die 56 Richterinnen und Richter verteilen sich auf 10 allgemeine Senate und 2 Wehrdienstsenate; hinzu kommen einige Spruchkörper für Spezialfragen.

Nachdem die bisherige Präsidentin Marion Eckertz-Höfer zum 31. Januar 2014 in den Ruhestand getreten ist, wurden am 1. Juli 2014 der bisherige Vizepräsident Professor Klaus Rennert zum Präsidenten und Dr. Josef Christ zum neuen Vizepräsidenten ernannt.

Das Gebäude des Gerichts – das 1895 eingeweihte Gebäude des damaligen Reichsgerichts – wurde 2014 in das Eigentum der BIMA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) überführt, welche sämtliche Liegenschaften des Bundes verwalten soll.

Auch 2014 stand wieder im Zeichen der Einführung des Elektronischen Rechtsverkehrs, die nach den gesetzlichen Vorgaben bis 2018 abgeschlossen sein soll. Bei den hierfür nötigen Planungen und Entwicklungen nahm und nimmt das Bundesverwaltungsgericht weiterhin eine Vorreiterrolle ein.

2. Zur Geschäftslage

(vgl. im Einzelnen Pressemitteilung 8/2015)

Die Zahl der Verfahrenseingänge ist wiederum leicht gesunken. Der Haushaltsgesetzgeber hat darauf reagiert, indem die Zahl der besetzten Richterstellen von 56 im Jahr 2014 auf 55 im Jahr 2015 reduziert worden ist. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass die Arbeitsbelastung der Richterinnen und Richter (und der nichtrichterlichen Beschäftigten) nicht ebenfalls gesunken ist; denn die Komplexität der einzelnen Verfahren – insbesondere auch wegen der Einflüsse des europäischen Unionsrechts – nimmt beständig zu.

Besonders groß ist die Belastung durch erstinstanzliche Verfahren über Infrastrukturvorhaben wie Fernstraßen, Schienenwege, Wasserstraßen und Energieleitungen. Hier sind 2014 zwar „nur“ 22 Klagen eingegangen – ebenso viele wie im Vorjahr -, doch sind diese Sachen überaus arbeitsaufwendig. Nimmt man Verfahren zu Flughäfen hinzu, für die das Bundesverwaltungsgericht als Rechtsmittelgericht zuständig ist, dann binden diese Großverfahren etwa 30 % der gesamten Richterarbeitskraft des Gerichts.

Die Entwicklung bei den Rechtsmitteln (Beschwerden, Revisionen) ist wiederum leicht rückläufig. Das betrifft gleichmäßig sämtliche Rechtsgebiete. Auch der deutliche Anstieg der Asylverfahren bei den erstinstanzlichen Verwaltungsgerichten hat sich bislang bei den Rechtsmitteln nicht ausgewirkt.

Die Verfahrenslaufzeiten des Bundesverwaltungsgerichts können sich auch 2014 sehen lassen. Zwar haben sie sich sowohl bei Rechtsmittel- als auch bei erstinstanzlichen Verfahren gegenüber 2013 leicht erhöht, worin v.a. sich die größere Schwierigkeit und Komplexität der einzelnen Sachen niederschlägt. Doch ist die Zunahme aufs Ganze gesehen marginal.

3. Grundsätzliches zur Aufgabenerfüllung

Der erneute Rückgang der zum Bundesverwaltungsgericht eingelegten Rechtsmittel (Beschwerden, Revisionen) bereitet Anlass zu einer gewissen Sorge. Das Bundesverwaltungsgericht kann seine gesetzliche Aufgabe, die Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht zu vereinheitlichen und fortzuentwickeln, nur verlässlich erfüllen, wenn eine genügende Anzahl von Fällen es auch erreicht. Gemessen hieran ist die Zahl der Fälle aus vielen Rechtsgebieten zu gering. In manchen Rechtsgebieten – in denen Rechtsstreitigkeiten praktisch ausnahmslos im einstweiligen Rechtsschutz erledigt werden – gelangen überhaupt keine Fälle vor das oberste Verwaltungsgericht. Eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung bleibt dann ganz aus, worunter auch die Rechtssicherheit leidet.

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber auch 2014 keine Anstalten gemacht hat, die übermäßige Zersplitterung der Rechtswege – d.h. die Zuordnung von Rechtsstreitigkeiten zu einer der fünf Gerichtsbarkeiten in Deutschland – zu bereinigen. Es erweist sich immer wieder als nachteilig, dass etwa für das Verwaltungsrecht in Deutschland nicht nur die Verwaltungsgerichte, sondern in großem Umfang auch die Zivilgerichte und in kleinerem Umfang auch die Sozial- und die Finanzgerichte zuständig sind.

Eine Initialzündung zur Rechtswegebereinigung könnte von dem Erlass eines Staatshaftungsgesetzbuchs ausgehen, das die Regierungsfraktionen im Koalitionsvertrag im Herbst 2013 angekündigt haben. Denn dringlich ist nicht nur die Kodifikation und Modernisierung des materiellen Staatshaftungsrechts, das in seinem gegenwärtigen Zustand eines Rechtsstaats unwürdig ist, sondern auch eine Beseitigung des gegenwärtigen Zwangs für den Bürger, nacheinander zwei Prozesse zu führen, zunächst gegen den schadenverursachenden Hoheitsakt (zumeist bei den Verwaltungsgerichten) und sodann auf den Ersatz des verursachten Schadens selbst (bei den Zivilgerichten).

4. Wichtige Entscheidungen

(vgl. weiterführende Informationen abrufbar unter http://www.bverwg.de/jpg2015_uebersicht)

Auch 2014 hat sich das Bundesverwaltungsgericht wieder mit Themen befasst, die von großer Bedeutung für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sind. Unter den Infrastruktur- und Bauvorhaben ragen die Entscheidungen des 4. Senats zu den Flugrouten beim (noch nicht eröffneten) Flughafen Berlin Brandenburg und des 7. Senats zur Fahrrinnenanpassung der Elbe (sog. Elbvertiefung) heraus. Aus dem Gesundheits-, Gewerbe- und Verkehrsrecht haben sich der 3. Senat mit der E-Zigarette, der 6. Senat mit dem Verbot der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen und der 8. Senat mit der Frage befasst, ob ein Poker-Turnier auch dann ein verbotenes Glücksspiel ist, wenn der Spieler keinen Einsatz zahlen muss. Im Bereich des Bildungs- und Sozialwesens ist der 6. Senat der Frage nachgegangen, ob Ethik ordentliches Schulfach auch in der Grundschule sein muss, und der 5. Senat hat entschieden, dass Kindergeld auf die Ausbildungsförderung anzurechnen ist. Zum Migrations- und Flüchtlingsrecht hat sich der 10. (heute 1.) Senat mit den für eine Einbürgerung nötigen Kenntnissen der deutschen Sprache befasst, und zum Beamtenrecht hat sich der 2. Senat mit dem Streikverbot für Beamte und der weiteren Frage beschäftigt, ob die neue Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Altersdiskriminierung im Besoldungssystem zu Besoldungsnachzahlungen führt.

Im Jahr 2015 stehen weitere bedeutsame Entscheidungen an. Eine Vorschau ist abrufbar unter http://www.bverwg.de/jpg2015_vorschau.

5. Internationales

Ebenso wie die Staaten der Europäischen Union, so wächst auch das Verwaltungsrecht in Europa zusammen. Das Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an diesem Prozess, indem es die deutsche Rechtstradition und Rechtskultur im Gespräch mit seinen Partnergerichten in der Europäischen Union und in deren Mitgliedstaaten erläutert und vertritt und umgekehrt von den Partnern lernt. Die bestehenden vorzüglichen Kontakte zur europäischen Vereinigung der Staatsräte und obersten Verwaltungsgerichte (ACA) und zum französischen Conseil d’État wurden fortgeführt; zusätzlich wurden neue Kontakte nach Osteuropa zu Polen und Ungarn geknüpft, die 2015 zu ersten Begegnungen und Tagungen führen werden. Schließlich beteiligt sich das Gericht an Initiativen im Bereich der Europäischen Union zur Entwicklung eines Allgemeinen Verwaltungsrechts für die Union.

6. Das Bundesverwaltungsgericht in der Stadt Leipzig

2015 feiert die Stadt Leipzig ihr Stadtjubiläum (erstmalige urkundliche Erwähnung vor tausend Jahren). Das Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich hieran mit einem Tag der offenen Tür am 4. Juli 2015. Außerdem führt es am 29. und 30. Oktober 2015 ein Symposion durch, um damit den 120. Jahrestag der Einweihung des Gerichtsgebäudes zu begehen; namhafte Referenten werden nicht nur die Entwicklung der Rechtsprechung im Zivil- und Strafrecht, im Verfassungs- und Verwaltungsrecht beleuchten, sondern sich auch mit der Architektur und Kunst des Gebäudes, mit den Schätzen seiner Bibliothek oder mit der Nutzung des Gebäudes als Museum während der Zeit der DDR befassen.

BVerwG, Pressemitteilung v. 04.02.2015