Gesetzgebung

Landtag: Sozialausschuss – Expertenanhörung zum Thema „Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz“

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Zur Anhörung zum Thema „Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz“ am 12. März hatte der Sozialausschuss Vertreter von 21 Organisationen und Interessenverbänden eingeladen und um Stellungnahmen zu den Fragenkomplexen „Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht“, „Leistungen“, „Zuständigkeit“ und „Kosten“ gebeten.

Im Rahmen der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention steht in dieser Legislaturperiode auch die Verabschiedung eines Bundesteilhabegesetzes auf der Agenda des Bundestags. Dabei handle es sich zwar um ein Bundesgesetz, so Ausschussvorsitzender Joachim Unterländer (CSU), doch es gehe hier auch um die Ausgestaltung und um die Mitsprache der Länder und der Verbände. Man werde die Ergebnisse der Anhörung ans Bayerische Sozialministerium und die Bundesregierung weitergeben und müsse diese letztlich auch im weiteren Verfahren wiederfinden.

Eine Reform der Eingliederungshilfe ist notwendig, darüber waren sich die Teilnehmer einig, setzten aber teilweise unterschiedliche Schwerpunkte: Genannt wurden dabei vor allem eine intensive Beratung der Betroffenen, die Einkommensunabhängigkeit der Hilfe, das Wunsch- und Wahlrecht, einheitliche Verfahren zur Bedarfsfeststellung und ein Perspektivwechsel von der Defizitorientierung hin zum Menschen mit seinem individuellen Bedarf.

Wichtig sei eine unabhängige, individuelle Beratung, betonte beispielsweise die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung Irmgard Badura. Johannes Magin vom Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. stellte die Personenzentrierung in den Vordergrund, außerdem ein bundeseinheitliches Bedarfsfeststellungsverfahren. Ilse Polifka vom Büro des Behindertenbeauftragten der Landeshauptstadt München wies auf einen Widerspruch hin: Die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe solle die Menschen aus der Sozialhilfe holen, aber die häufig notwendige Unterstützung zur Pflege nach SGB XII mache sie automatisch zu Sozialhilfeempfängern. Ute Strittmatter vom Netzwerk für Frauen und Mädchen mit Behinderung stimmte dem zu: Man müsse die Hilfe zur Pflege in die Überlegungen einbeziehen. Klaus Ederle-Lerch vom Paritätischen Wohlfahrtsverband LV Bayern lenkte den Blick auf geistig und schwerst mehrfach behinderte Menschen und ihre stark eingeschränkten Teilhabemöglichkeiten. Heinrich Fehling vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen forderte ein einheitliches System, das als Nachteilsausgleich einkommensunabhängig zur Verfügung steht. Man brauche einen neuen Behindertenbegriff, der sich nicht an Defiziten, sondern an der Teilhabe orientiert, so Nicole Lassal von der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung in Bayern e.V.

Als wichtige Leistung, die im neuen Gesetz berücksichtigt werden soll, wurde mehrfach das Teilhabegeld genannt: Es würde ein hohes Maß an Selbstbestimmung bringen, erklärte Badura. Für schwerst- und mehrfachbehinderte reiche es allerdings nicht aus, wandte Magin ein. Christian Seuss vom Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. regte eine Verknüpfung des Teilhabegelds mit dem im SGB IX vorgesehenen, aber aktuell kaum eingesetzten persönlichen Budget sowie mehr Flexibilität bei der Finanzierung an. Im Hinblick auf die Teilhabe am Arbeitsleben wurden ergänzende Angebote zu Werkstätten grundsätzlich gutgeheißen, dabei jedoch eine entsprechende Qualitätssicherung gefordert. Ziel sei ein inklusiver Arbeitsmarkt, so Lassal – über die Eingliederungshilfe ließen sich die Probleme hier jedoch nicht lösen. Ein weiteres Thema war die Wohnsituation: Die Schaffung von barrierefreiem Wohnraum und ambulanten Angeboten sei dringend notwendig, aber es sei wichtig, dass auch die Möglichkeit offen bliebe, sich für andere Wohnformen wie etwa Wohngruppen mit Pflegeeinrichtungen zu entscheiden.

Bei der Frage nach den Zuständigkeiten kristallisierte sich vor allem die Zuordnung von Leistungen als problematisch heraus: Peter Wirth vom Bayerischen Bezirketag zum Beispiel nannte die derzeitige Regelung zur Unterscheidung von Grundsicherung und Fachleistung optimierbar und plädierte für eine einfache Vorleistungsnorm, Ursula Schulz vom Lebenshilfe Landesverband Bayern konnte sich die rechtliche Ausgestaltung einer solchen Trennung insbesondere in Pflegeeinrichtungen nicht recht vorstellen. An dieser Stelle wurde darüber hinaus ein Abgrenzungsbedarf im Hinblick auf Pflege und Eingliederung identifiziert: Die für Menschen mit Behinderung häufig sehr wichtige Pflegeleistung, so betonte Magin, müsse von der Pflegeversicherung realisiert werden, und dabei sei die Eingliederungshilfe keinesfalls nachrangig einzustufen. Sei die Art der Leistung – in diesem Fall Pflege oder Eingliederung – nicht zu unterscheiden, müsse es eine Möglichkeit der integrierten Leistungserbringung geben.

Im Hinblick auf die Kosten fordern die Bezirke eine Bundesbeteiligung an der Eingliederungshilfe in der Größenordnung von einem Drittel, so Wirth. Wenn sich der Bund beteilige – und das solle er unbedingt –, dann in Form eines Bundesteilhabegelds als Nachteilsausgleich, schlug Werner Fack von der Freien Wohlfahrtspflege Bayern vor:

„Man muss sich fragen, was die Menschen davon haben.“

Strittmatter warnte in diesem Zusammenhang davor, Menschen mit Behinderungen nur als Kostenfaktor zu sehen: Selbstverständlich entstünden Kosten, wenn man es ernst meine mit der Teilhabe.

Bayerischer Landtag, Aktuelles – Sitzungen – Aus den Ausschüssen v. 12.03.2015 (von Eva Spessa)