Aktuelles

EuG: Das Gericht gibt sich neue Verfahrensvorschriften

©pixelkorn - stock.adobe.com

Am 1. Juli 2015 treten eine neue Verfahrensordnung und neue verfahrensrechtliche Texte zu ihrer Durchführung[1] in Kraft, um den Ablauf der Verfahren vor dem Gericht zu verbessern.

Die neue Verfahrensordnung

Die neue Verfahrensordnung des Gerichts[2], die das Ergebnis einer 2012 begonnenen Arbeit ist, ersetzt die Verfahrensordnung von 1991. Diese war im Lauf der Zeit wiederholt geändert worden, um das verfahrensrechtliche Instrumentarium an die Bedürfnisse und Entwicklungen anzupassen und zu verbessern. Da dieses punktuelle Vorgehen seine Grenzen erreicht hatte, war eine umfassende Reform geboten, die den Weg für eine Umstrukturierung des ursprünglichen Textes und die Einführung neuer Bestimmungen geebnet hat. In diesem Rahmen wurden mehrere Ziele verfolgt.

Die Verfahrensvorschriften wurden an die Wirklichkeit der Streitsachen angepasst, die derzeit beim Gericht anhängig gemacht werden, indem eine klare Unterscheidung zwischen den drei Hauptkategorien von Rechtssachen mit ihren jeweiligen Besonderheiten getroffen wird:

  • Klageverfahren, in deren Rahmen besonders häufig Zwischenstreitigkeiten auftreten und Streithilfeanträge und Anträge auf vertrauliche Behandlung gestellt werden;
  • Klagen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums;
  • Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Gerichts für den öffentlichen Dienst.

Die bereits seit einigen Jahren unternommenen Anstrengungen, die Effizienz des Gerichts zu verbessern, wurden auf verfahrensrechtlicher Ebene fortgeführt, um die Fähigkeit zu stärken, die Rechtssachen entsprechend den Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union[3] innerhalb eines angemessenen Zeitraums und unter Achtung der Erfordernisse eines fairen Verfahrens zu bearbeiten. Insoweit ist auf folgende Neuerungen hinzuweisen:

  • Erweiterung des Anwendungsbereichs der Vorschriften über den Einzelrichter auf die Rechtssachen des geistigen Eigentums;
  • Vereinfachung der Vorschriften über die Bestimmung der Verfahrenssprache und den Ablauf des schriftlichen Verfahrens (nur ein Schriftsatzwechsel) bei den Rechtssachen des geistigen Eigentums;
  • Vereinfachung der Streithilferegelung (eine Zulassung zur Streithilfe ist nicht mehr möglich, wenn der Antrag nach Ablauf der gesetzlichen Frist von sechs Wochen nach der Veröffentlichung der Mitteilung über die Klageerhebung im Amtsblatt der Europäischen Union gestellt wird);
  • Möglichkeit für das Gericht, in Klageverfahren ohne mündliches Verfahren zu entscheiden, wenn keine der Hauptparteien die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt;
  • Möglichkeit für das Gericht, über ein Rechtsmittel ohne mündliches Verfahren zu entscheiden, selbst wenn eine Partei eine mündliche Verhandlung beantragt hat;
  • Klärung der den Streithelfern eingeräumten Rechte;
  • Übertragung bestimmter Entscheidungsbefugnisse von der Kammer auf die Kammerpräsidenten und Vereinfachung der Form bestimmter Entscheidungen, indem neue Fälle vorgesehen werden, in denen nicht mehr durch Beschluss entschieden wird (z. B. Aussetzung und Verbindung);
  • Hinweis, dass das Gericht so bald wie möglich über eine Einrede der Unzulässigkeit oder der Unzuständigkeit, einen Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache oder jeden anderen Zwischenstreit sowie über einen Antrag auf Zulassung zur Streithilfe oder einen Widerspruch gegen einen Antrag auf vertrauliche Behandlung entscheidet.

Die Einheitlichkeit des verfahrensrechtlichen Instrumentariums für die bei den Gerichten der Europäischen Union anhängig gemachten Streitsachen wurde sichergestellt, indem insbesondere die am 1. November 2012 in Kraft getretene Verfahrensordnung des Gerichtshofs berücksichtigt und zugleich der Besonderheit der Klagen von natürlichen oder juristischen Personen oder Mitgliedstaaten gegen ein Unionsorgan Rechnung getragen wurde.

Das Gericht verfügt damit über Vorschriften, die es ihm ermöglichen, sich für die Organisationsform zu entscheiden, die es u. a. je nach der Zahl der Richter, aus denen es besteht, für am geeignetsten hält, und über die Vorschriften, die der Änderung der Satzung, mit der das Amt eines Vizepräsidenten des Gerichts geschaffen wurde, praktische Wirkung verleihen sollen.

Es wurden Lösungen bereitgestellt für Verfahrenssituationen, die in den Verfahrensvorschriften bisher nicht geregelt waren, insbesondere: die Voraussetzungen, unter denen eine Rechtssache neu zugewiesen werden kann, die Anpassung der Anträge in der Klageschrift im Lauf des Verfahrens oder das weitere Vorgehen, wenn ein Schriftstück auf eine vom Gericht angeordnete Maßnahme der Beweisaufnahme hin vorgelegt wird. Darüber hinaus wurden ein neues besonderes verfahrensrechtliches Instrumentarium für die verfahrensrechtliche Behandlung von Auskünften oder vertraulichen Unterlagen entwickelt, die die Sicherheit der Union oder ihrer Mitgliedstaaten oder die Gestaltung ihrer internationalen Beziehungen berühren, und die Ausnahmen vom Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens vorgesehen, die sich daraus ergeben können. Diese Regelung in Art. 105 der Verfahrensordnung greift jedoch erst nach der Veröffentlichung eines Beschlusses des Gerichts, mit dem die Sicherheitsvorschriften zum Schutz dieser Daten festgelegt werden.

Bestimmte Vorschriften wurden ferner rationalisiert: Wegfall des Formerfordernisses, dass der Anwalt, der eine juristische Person des Privatrechts vertritt, nachweist, dass seine Prozessvollmacht von einem hierzu Berechtigten ausgestellt ist, Wegfall der elektronischen Post als Art der Zustellung von Verfahrensschriftstücken (um bestimmte regelmäßig auftretende Schwierigkeiten zu vermeiden und den Rückgriff auf die Anwendung e-Curia zu fördern).

Schließlich wurde in formeller Hinsicht die Lesbarkeit der Verfahrensordnung dadurch verbessert, dass die verwendeten Hauptbegriffe definiert, der gesamte Text umstrukturiert und die Artikel mit Überschriften versehen wurden.

Durchführungsbestimmungen

In Anwendung der Verfahrensordnung hat das Gericht mehrere Texte angenommen, die ebenfalls am 1. Juli 2015 in Kraft treten.

Gemäß Art. 224 der neuen Verfahrensordnung hat das Gericht am 20. Mai 2015 nach Anhörung der Mitgliedstaaten, des Rates, der Kommission, des HABM und des CCBE die Praktischen Durchführungsbestimmungen zur Verfahrensordnung des Gerichts erlassen. Mit diesen Bestimmungen, die die Dienstanweisung für den Kanzler vom 5. Juli 2007[4] und die Praktischen Anweisungen für die Parteien vor dem Gericht vom 24. Januar 2012[5] aufheben und ersetzen, werden bestimmte Vorschriften der Verfahrensordnung erläutert, präzisiert und ergänzt. Sie sollen insbesondere den Parteivertretern Hinweise zur Gestaltung und Einreichung von Verfahrensschriftstücken und Unterlagen geben und es ihnen ermöglichen, den vom Gericht zu berücksichtigenden Gesichtspunkte Rechnung zu tragen. Zu beachten ist, dass die bisher in den Praktischen Anweisungen für die Parteien enthaltenen Vorgaben zur Akteneinsicht Dritter, zur Anonymität und zum Weglassen bestimmter Angaben gegenüber der Öffentlichkeit nicht in die Praktischen Durchführungsbestimmungen zur Verfahrensordnung des Gerichts, sondern in die neue Verfahrensordnung selbst übernommen wurden. Ebenso wurde die Bedeutung der Begrenzung der Länge der Schriftsätze dadurch verstärkt, dass die bisher in den Praktischen Anweisungen für die Parteien enthaltene Regel in die Verfahrensordnung eingefügt wurde. Die Einzelheiten zur Durchführung dieser Bestimmung und die Folgen eines wiederholten Verstoßes sind in den Praktischen Durchführungsbestimmungen festgelegt.

Das in der Verfahrensordnung vorgesehene Prozesskostenhilfeformular musste angepasst werden, um die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Prozesskostenhilfe auf juristische Personen widerzuspiegeln. Außerdem wurden die Informationen, die nicht anwaltlich vertretenen Personen das Verständnis erleichtern sollen, formal hervorgehoben. Das neue Prozesskostenhilfeformular, das im Amtsblatt veröffentlicht und auf der Internetseite des Gerichtshofs der Europäischen Union abrufbar sein wird, ist ab dem 1. Juli 2015 zu verwenden.

Schließlich sind die drei Merklisten, auf die in den Praktischen Durchführungsbestimmungen verwiesen wird, auf der Internetseite des Gerichtshofs der Europäischen Union einsehbar. Diese Dokumente, die der Unterstützung der Parteivertreter dienen, enthalten Informationen darüber, wie eine Klage- oder Rechtsmittelschrift zu gestalten und auf Papier oder über e-Curia einzureichen ist und wie eine mündliche Verhandlung abläuft.

EuG, Pressemitteilung v. 19.06.2015

Redaktioneller Hinweis: Vgl. auch die Pressemitteilung des EuGH v. 28.04.2015 (Reform des Gerichtssystems der EU).

———————

[1] Die Praktischen Durchführungsbestimmungen zur Verfahrensordnung des Gerichts, das Prozesskostenhilfeformular und mehrere Merklisten.

[2] Nach der positiven Stellungnahme des Gerichtshofs wurde der Entwurf der Verfahrensordnung am 14. März 2014 gemäß Art. 254 Abs. 5 AEUV dem Rat übermittelt. Nachdem dieser die Verfahrensordnung am 10. Februar 2015 genehmigt hatte, wurde sie am 4. März 2015 vom Gericht erlassen und am 23. April 2015 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (ABl. L 105, S. 1).

[3] Artikel 47 der Charta.

[4] Dienstanweisung für den Kanzler vom 5. Juli 2007 (ABl. L 232, S. 1) in der am 17. Mai 2010 (Abs. L 170, S. 53) und 24. Januar 2012 (ABl. L 68, S. 20) geänderten Fassung.

[5] Praktische Anweisungen für die Parteien vor dem Gericht vom 24. Januar 2012 (ABl. L 68, S. 23).