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EuGH: Zum Aufenthaltsrecht Drittstaatsangehöriger im Wohnmitgliedstaat, wenn Ehegatte Wohnmitgliedstaat vor Scheidung verlässt

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Ein Drittstaatsangehöriger, der Ehegatte eines Unionsbürgers ist, der in einem anderen Mitgliedstaat als er wohnt, kann kein Aufenthaltsrecht mehr in seinem Wohnmitgliedstaat beanspruchen, wenn der Unionsbürger diesen Staat vor Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens verlässt

Verlässt ein Unionsbürger das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, der nicht der Mitgliedstaat ist, dem er selbst angehört (Aufnahmemitgliedstaat), verlieren seine Familienangehörigen, die Drittstaatsangehörige (d. h. nicht selbst Unionsbürger) sind, nach einer Unionsrichtlinie[1] das Recht, sich in diesem Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten. Andererseits bestimmt die Richtlinie, dass die Familienangehörigen, die einem Drittstaat angehören, im Fall der Ehescheidung ihr Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat unter bestimmten Voraussetzungen behalten, sofern die Ehe mindestens drei Jahre vor Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens, davon mindestens ein Jahr im Aufnahmemitgliedstaat, bestanden hat.

Drei Drittstaatsangehörige (ein Inder, ein Kameruner und ein Ägypter) hatten jeweils Unionsbürger (eine Lettin, eine Deutsche bzw. eine Litauerin) geheiratet und mit ihnen länger als vier Jahre in Irland gewohnt. In jedem dieser drei Fälle verließen die Ehefrauen ihre Ehemänner und Irland und beantragten in ihren jeweiligen Heimatländern, die Ehe zu scheiden (außer der deutschen Staatsbürgerin, die den Scheidungsantrag im Vereinigten Königreich stellte). Die irischen Behörden waren der Auffassung, die drei drittstaatsangehörigen Ehemänner hätten kein Recht zum Aufenthalt in Irland mehr, da die Unionsbürgerinnen zum Zeitpunkt der Stellung des Scheidungsantrags Irland bereits verlassen hätten. Sie machten geltend, das Aufenthaltsrecht der drei Ehemänner sei von dem Zeitpunkt an nicht mehr gültig gewesen, zu dem die jeweiligen Ehefrauen ihr Aufenthaltsrecht in Irland nicht mehr ausgeübt hätten, auch wenn die Ehe mindestens drei Jahre (davon ein Jahr in Irland) bestanden habe. Die drei Ehemänner fochten die Entscheidungen an, mit denen ihnen die Aufrechterhaltung ihres Aufenthaltsrechts in Irland verwehrt wurde.

Der High Court of Ireland, bei dem diese Rechtssachen anhängig sind, fragt den Gerichtshof, ob das Aufenthaltsrecht der drei drittstaatsangehörigen Ehemänner in Irland aufrechterhalten bleiben konnte, obwohl die jeweiligen Ehen nach dem Wegzug der Ehefrauen aus diesem Land geschieden wurden.

In seinem Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof darauf hin, dass Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, diesen in den Mitgliedstaat, in dem er sein Recht auf Freizügigkeit ausübt (Aufnahmemitgliedstaat), begleiten oder ihm dorthin nachziehen müssen, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie in diesem Mitgliedstaat beanspruchen zu können. Der einem Drittstaat angehörende Ehegatte erfüllt daher nach dieser Bestimmung dann nicht mehr die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat, wenn der Unionsbürger den Aufnahmemitgliedstaat verlässt und sich in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland niederlässt.

Ist das gerichtliche Scheidungsverfahren eingeleitet und hat die Ehe mindestens drei Jahre vor seiner Einleitung, davon mindestens ein Jahr in dem Aufnahmemitgliedstaat, bestanden, kann, wie der Gerichtshof weiter feststellt, der einem Drittstaat angehörende Ehegatte nach Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie sein Recht auf Aufenthalt in diesem Staat, und zwar sowohl während des Scheidungsverfahrens als auch nach der Scheidung, unter bestimmten Voraussetzungen behalten, wenn er sich zum Zeitpunkt der Einleitung dieses Verfahrens als Ehegatte eines Unionsbürgers, den er in den Aufnahmemitgliedstaat begleitet hatte oder dem er dorthin nachgezogen war, in diesem Mitgliedstaat aufhielt. Daraus folgt, dass sich der Unionsbürger nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie bis zur Einleitung des Scheidungsverfahrens im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten muss. Verlässt also der Unionsbürger vor Einleitung des Scheidungsverfahrens den Aufnahmemitgliedstaat, in dem sein drittstaatsangehöriger Ehegatte wohnt, kann dessen Aufenthaltsrecht in diesem Staat nicht nach Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie aufrechterhalten werden.

Im vorliegenden Fall haben die drei Ehefrauen, die Unionsbürger sind, Irland noch vor der Einleitung des Scheidungsverfahrens verlassen. Die drittstaatsangehörigen Ehemänner haben somit ihr Aufenthaltsrecht mit dem Wegzug ihrer Ehefrauen verloren, und dieses Recht kann später, zu dem Zeitpunkt, zu dem die Ehefrauen nach ihrem Wegzug aus Irland die Scheidung beantragt haben, nicht wiederaufleben.

Der Gerichtshof weist allerdings darauf hin, dass in einem solchen Fall das nationale Recht den Drittstaatsangehörigen einen erweiterten Schutz dergestalt gewähren kann, dass es ihnen dennoch erlaubt, sich weiter im betreffenden Mitgliedstaat aufzuhalten (was übrigens im vorliegenden Fall zugunsten der drei Ehemänner geschehen ist, denen die irischen Behörden eine vorübergehende Genehmigung zum Aufenthalt und zur Erwerbstätigkeit in Irland erteilt haben).

EuGH, Pressemitteilung v. 16.07.2015 zum U. v. 16.07.2015, C-218/14 (Kuldip Singh u. a. / Minister for Justice and Equality)

Redaktionelle Hinweise

Die Überschrift wurde redaktionell eingefügt.

Zu weiteren Entscheidungen zum Ausländer- und Asylrecht siehe die Kategorie “Rechtsentwicklung – Ausländer-/Asylrecht“.

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[1] Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/965/EWG (ABl. L 158, S. 77, Berichtigung in ABl. L 229, S. 35).