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BVerfG: Unzulässige Organklage gegen die Mittelzuweisung an Fraktionen, politische Stiftungen und für Abgeordnetenmitarbeiter im Haushalt 2012

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Mit einstimmigem Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Organklage der Ökologisch-Demokratischen Partei gegen den Deutschen Bundestag als unzulässig verworfen (§ 24 BVerfGG). Die Antragstellerin hält die Mittelzuweisung an Fraktionen und politische Stiftungen sowie für Abgeordnetenmitarbeiter im Haushalt 2012 für eine verschleierte Finanzierung der im Bundestag vertretenen Parteien und sieht sich in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt. Der Antrag ist bereits verfristet, soweit er sich gegen eine seit den 1990er Jahren unveränderte Rechtslage richtet. Im Übrigen reicht der Vortrag der Antragstellerin, die sich bereits gegen die Bewilligung der Mittel im Bundeshaushalt wendet, nicht aus: Zwar kann das Recht auf Chancengleichheit durch die Zuweisung staatlicher Finanzmittel betroffen sein. Werden sie jedoch – wie hier – nicht an die Parteien, sondern an Dritte gezahlt, hätte dargelegt werden müssen, dass der Bundestag als Haushaltsgesetzgeber bereits durch die Bewilligung einer missbräuchlichen Verwendung der Mittel Vorschub geleistet hat.

Sachverhalt

Antragstellerin im Organstreitverfahren ist die 1981 gegründete Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP). Sie wendet sich gegen die Zuweisung von Finanzmitteln im Bundeshaushalt des Jahres 2012 an die Fraktionen des Bundestages in Höhe von 80,835 Mio. €, an die Bundestagsabgeordneten für die Beschäftigung von Mitarbeitern in Höhe von 151,823 Mio. € sowie an die parteinahen Stiftungen in Höhe von 97,958 Mio. €. Daneben rügt sie das Fehlen eines Bewilligungs- und Kontrollverfahrens, das einen möglichen Missbrauch der staatlichen Zuschüsse durch die Mittelempfänger verhindern soll. Hierdurch sieht sie den Grundsatz der Chancengleichheit zum Nachteil der nicht im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt.

Wesentliche Erwägungen des Senats

Die Anträge im Organstreitverfahren sind unzulässig.

1. Das Organstreitverfahren ist keine objektive Beanstandungsklage, sondern setzt eine rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners voraus, die geeignet ist, die Rechtsstellung der Antragstellerin zu beeinträchtigen.

Die Antragstellerin ist berechtigt, das Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb gemäß Art. 21 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG geltend zu machen. Dieses Recht ist ein unabdingbares Element des vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes. Es steht in engem Zusammenhang mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG); daher ist es streng formal zu verstehen und zieht dem Ermessen des Gesetzgebers besonders enge Grenzen. Der Staat darf vor allem die vorgefundene Wettbewerbslage nicht verfälschen.

Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit kann durch die Zuweisung staatlicher Finanzmittel betroffen sein: Erfolgt die Zuweisung öffentlicher Mittel unmittelbar an Parteien, wirkt sich dies in jedem Fall auf ihre Möglichkeit zur Teilnahme am politischen Wettbewerb aus. Erfolgt die Zuweisung hingegen an Dritte, kann davon ‑ auch wenn der Verwendungszweck politische Bezüge aufweist ‑ nicht ohne weiteres ausgegangen werden. In diesen Fällen hat die Antragstellerin im Organstreit darzulegen, dass die Zuweisung der staatlichen Mittel zu einem Eingriff in ihr Recht auf Chancengleichheit führt.

Beruht die Zuweisung der Mittel auf einer gesetzlichen Grundlage, hat die Antragstellerin sich innerhalb der Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG hiermit auseinanderzusetzen. Mit dieser Ausschlussfrist sollen im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen nach einer bestimmten Zeit im Interesse der Rechtssicherheit außer Streit gestellt werden.

Werden durch den Haushaltsgesetzgeber zugewiesene Mittel nicht bestimmungsgemäß verwendet, ist zwischen der Bewilligung der Mittel und der Verwendung durch den Zuwendungsempfänger zu unterscheiden. Nicht jede zweckwidrige Verwendung staatlicher Zuschüsse führt dazu, dass der Haushaltsgesetzgeber bereits durch die Bewilligung dieser Mittel das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit verletzt hat. Vielmehr muss sie dem Haushaltsgesetzgeber zugerechnet werden können. Davon ist auszugehen, wenn Mittel in einem überhöhten Umfang zur Verfügung gestellt oder unzureichende Vorkehrungen zur Verhinderung einer zweckwidrigen Verwendung dieser Mittel getroffen werden.

2. Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Antragstellerin nicht gerecht.

a) In Bezug auf die Bewilligung von 80,835 Mio. € im Haushaltsgesetz 2012 für die Fraktionen des Bundestages hat die Antragstellerin eine Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit nicht hinreichend dargelegt.

aa) Mit Einwendungen, die sich gegen den Anspruch der Fraktionen auf Geldleistungen gemäß § 50 Abs. 1 in Verbindung mit § 47 Abgeordnetengesetz (AbgG) richten, kann sie im vorliegenden Verfahren nicht mehr gehört werden. Beide Vorschriften wurden 1994 erlassen. Die Antragstellerin hätte sich innerhalb der Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG gegen die Regelungen wenden müssen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragstellerin ausdrücklich nicht die Regelungen des Abgeordnetengesetzes, sondern des Haushaltsgesetzes 2012 angreift. Der Antragsgegner ist aufgrund seiner Bindung an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, den Fraktionen die ihnen nach dem Abgeordnetengesetz zustehenden Geldleistungen zu gewähren. Diese Verpflichtung kann dem Grunde nach im vorliegenden Organstreit nicht mehr in Frage gestellt werden.

bb) Dem Vortrag der Antragstellerin kann nicht entnommen werden, dass die Bewilligung der Fraktionszuschüsse in einer übermäßigen dem Missbrauch Vorschub leistenden Höhe erfolgte. Soweit sie ausführt, diese hätten sich seit den 1960er Jahren nominal verfünfzigfacht und real verachtfacht, kann hieraus für sich genommen eine überhöhte Festsetzung der Fraktionszuschüsse im Bundeshaushalt 2012 nicht abgeleitet werden. Erforderlich wäre insoweit eine Gegenüberstellung des für die Erfüllung der Fraktionsaufgaben benötigten Finanzbedarfs mit der Höhe der tatsächlich festgesetzten Fraktionszuschüsse. Hierzu hat die Antragstellerin aber nichts vorgetragen. Nichts anderes ergibt sich, soweit die Antragstellerin stattdessen auf die Ausgaben der Bundestagsfraktionen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, deren Anstieg um 62 % im Jahr 2007 und den insoweit – relativ wie absolut – höheren Aufwand der kleineren Fraktionen im Vergleich zu den beiden großen Fraktionen verweist.

cc) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob nach dem Vortrag der Antragstellerin davon ausgegangen werden kann, dass die im Bundeshaushalt 2012 für die Fraktionen des Bundestages zur Verfügung gestellten Mittel in relevantem Umfang missbräuchlich zum Zweck einer verfassungswidrigen Parteienfinanzierung verwendet wurden. Die Antragstellerin beruft sich auf eine Umkehr der Darlegungslast, weil die Betroffenen insoweit „in eigener Sache“ entschieden; dies begründe die Vermutung der Unrichtigkeit der Entscheidungen und indiziere die Gefahr des Missbrauchs. Diese Argumentation bezieht sich auf die Rechtsprechung des Senats zur Wahlgesetzgebung, aus der sich jedoch keine Folgerungen für die Darlegungslast in diesem Verfahren herleiten lassen. Zudem vernachlässigt die Antragstellerin, dass nicht der Antragsgegner, sondern die Fraktionen in eigener Verantwortung über die Verwendung der Mittel entscheiden.

Jedenfalls hat die Antragstellerin nicht dargelegt, dass der Antragsgegner einer missbräuchlichen Verwendung der Fraktionsmittel durch ungenügende Voraussicht und Kontrolle den Weg geebnet hat. Mit Blick auf die gesetzlichen Vorschriften im Abgeordneten- und Parteiengesetz liegt ein erhebliches Kontroll- oder strukturelles Vollzugsdefizit nicht auf der Hand. Der Rechnungshof prüft zwar – wegen der verfassungsrechtlich gewährleisteten Autonomie der Fraktionen – nicht, ob eine Maßnahme politisch erforderlich ist. Er ist jedoch nicht daran gehindert zu prüfen, ob die strikte Zweckbindung der Fraktionsmittel und das Verbot ihrer Verwendung für Parteiaufgaben eingehalten werden.

Dies bestätigen die Prüfberichte über die öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der Bundestagsfraktionen in den Jahren 1999 bis 2006, die dem Senat vorgelegen haben. Sie verhalten sich aber nicht zu der hier maßgeblichen Frage, ob etwaige zweckwidrige Verwendungen staatlicher Zuschüsse für einzelne Maßnahmen dem Haushaltsgesetzgeber bereits bei der Bewilligung der Mittel zugerechnet werden können.

b) Auch soweit die Antragstellerin sich gegen die Ausweisung eines Betrages von 151,823 Mio. € für persönliche Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten im Bundeshaushalt 2012 wendet, hat sie eine Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit nicht hinreichend dargelegt.

aa) Grundlage für den Ersatz der Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern der Bundestagsabgeordneten ist § 12 Abs. 3 Satz 1 AbgG. Diese Vorschrift wurde 1995 in das Abgeordnetengesetz eingefügt. Wegen der Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG ist die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die an dem Bestehen des Anspruchs gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 AbgG dem Grunde nach anknüpfen.

bb) § 12 Abs. 3 Satz 1 AbgG begründet indes lediglich einen Anspruch auf Ersatz des mandatsbedingten Aufwandes. Die hiervon losgelöste Wahrnehmung von Partei- oder Wahlkampfaufgaben durch einen Abgeordnetenmitarbeiter ist nicht ersatzfähig. Die Antragstellerin hat jedoch nicht dargelegt, dass dem Antragsgegner eine etwaige missbräuchliche Mittelverwendung in einer Weise zugerechnet werden kann, die es rechtfertigt, bereits die Bewilligung dieser Mittel im Bundeshaushalt 2012 als Eingriff in ihr Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb anzusehen.

Soweit die Antragstellerin auf die Steigerung der Anzahl der Abgeordnetenmitarbeiter insgesamt und insbesondere in den Wahlkreisen sowie auf die Steigerungsraten und die Höhe der im Bundeshaushalt 2012 zur Verfügung gestellten Mittel verweist, lässt sich daraus nicht entnehmen, dass die Zahl der Abgeordnetenmitarbeiter und die Höhe der Mittel einen Umfang erreicht haben, der das erforderliche Maß zur Unterstützung bei der Erledigung der parlamentarischen Aufgaben übersteigt.

Ob die Antragstellerin in sonstiger Weise eine missbräuchliche Verwendung der im Bundeshaushalt 2012 für Abgeordnetenmitarbeiter bereitgestellten Mittel hinreichend dargelegt hat, erscheint fraglich. Soweit sie sich auf eine Umkehr der Darlegungslast beruft, da es sich bei der Bewilligung von Haushaltsmitteln für Abgeordnetenmitarbeiter um eine „Entscheidung in eigener Sache“ handele, gilt das vorstehend Gesagte.

Jedenfalls hat die Antragstellerin nicht dargelegt, dass der Antragsgegner einer derartigen missbräuchlichen Verwendung dieser Haushaltsmittel durch unzureichende Voraussicht und Kontrolle Vorschub geleistet hat. Vor dem Hintergrund der bestehenden gesetzlichen Vorschriften hätte sie darlegen müssen, inwieweit gleichwohl ein Kontrolldefizit auf Seiten des Antragsgegners besteht.

c) Das Vorbringen der Antragstellerin lässt auch im Hinblick auf die Globalzuschüsse an politische Stiftungen – im Haushaltsjahr 2012 in Höhe von 97,958 Mio. € – die Möglichkeit einer Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit nicht erkennen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob die Bewilligung von Globalzuschüssen für die parteinahen Stiftungen das Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG verletzt, bereits im Jahr 1986 verneint (vgl. BVerfGE 73, 1). Aus dem Vorbringen der Antragstellerin erschließt sich nicht, warum eine hiervon abweichende Beurteilung geboten sein soll.

d) Unzulässig ist auch der Antrag zu 2., der bei sachgerechter Auslegung darauf abzielt, dem Antragsgegner die Einrichtung eines bestimmten Bewilligungs- und Kontrollverfahrens vorzuschreiben, das einen möglichen Missbrauch der staatlichen Zuschüsse durch die Mittelempfänger verhindern soll. Die Unzulässigkeit dieses Antrags folgt bereits daraus, dass die Antragstellerin die derzeitige Bewilligungs- und Kontrollpraxis, die sich in ihrer heutigen Form spätestens in den 1990er Jahren herausgebildet hat, jahrelang hingenommen und damit die sechsmonatige Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG verstreichen lassen hat.

BVerfG, Pressemitteilung v. 04.08.2015 zum B. v. 15.07.2015, 2 BvE 4/12