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EuG: Folgenabschätzungen im Vorfeld von Gesetzgebungsakten grundsätzlich nicht der Öffentlichkeit zugänglich

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Nach Ansicht des Gerichts der EU sind Folgenabschätzungen, die der Information der Kommission bei der Ausarbeitung ihrer Vorschläge für Gesetzgebungsakte dienen sollen, vor der Verbreitung dieser Vorschläge grundsätzlich nicht der Öffentlichkeit zugänglich / Der vorzeitige Zugang zu diesen Dokumenten könnte den Entscheidungsprozess der Kommission ernstlich beeinträchtigen

Im Jahr 2014 beantragte ClientEarth, eine gemeinnützige Umweltschutzorganisation, bei der Kommission Zugang zu zwei mit der Umweltpolitik der Union im Zusammenhang stehende Folgenabschätzungen. Die Kommission verweigerte den Zugang unter Hinweis u. a. darauf, dass die Folgenabschätzungen ihr bei der Vorbereitung von Gesetzgebungsinitiativen im Umweltbereich helfen sollten und dass daher die Verbreitung dieser Dokumente ihre Entscheidungsprozesse ernstlich beeinträchtigen könne, indem sie sich auf ihren Gestaltungsspielraum auswirke und ihre Kompromissfindungsmöglichkeiten einschränke. Außerdem könne die Verbreitung dieser Dokumente dazu führen, dass externer Druck ausgeübt werde, der die schwierigen Entscheidungsprozesse, bei denen ein Vertrauensklima herrschen müsse, behindern könnte.

Da diese Antwort der Kommission ClientEarth nicht zufriedenstellte, erhob diese zwei Klagen beim Gericht der Europäischen Union, um die Weigerung der Kommission für nichtig erklären zu lassen.

Mit seinem Urteil vom heutigen Tage weist das Gericht die Argumente von ClientEarth zurück und bestätigt, dass die Weigerung der Kommission, Zugang zu den begehrten Dokumenten zu gewähren, begründet war.

Das Gericht stellt zunächst fest, dass die Kommission keine individuelle und konkrete Prüfung der begehrten Dokumente vorgenommen habe. Es erkennt jedoch an, dass sie sich im Rahmen der Vorbereitung und Ausarbeitung von politischen Vorschlägen (und gegebenenfalls Vorschlägen für Gesetzgebungsakte) auf allgemeine Gründe[1] berufen kann, die sich zum einen aus der Notwendigkeit ergeben, ihren Überlegungs- und Handlungsspielraum, ihre Unabhängigkeit sowie das Vertrauensklima bei den Diskussionen zu erhalten, und zum anderen aus der Gefahr, dass externer Druck ausgeübt wird, der den Ablauf der laufenden Diskussionen und Verhandlungen beeinträchtigen kann.

Die Kommission kann folglich ohne Vornahme einer konkreten und individuellen Prüfung der mit einer Folgenabschätzung im Zusammenhang stehenden Dokumente vermuten, dass die Verbreitung dieser Dokumente grundsätzlich ihren Entscheidungsprozess bei der Ausarbeitung eines politischen Vorschlags ernstlich beeinträchtigt, und zwar so lange, bis sie insoweit eine Entscheidung getroffen hat.

EuG, Pressemitteilung v. 13.11.2015 zum U. v. 13.11.2015, verb. Rs. T-424/14 und T-425/14 (ClientEarth/Kommission)

Redaktionelle Hinweise: Die „Schlagzeile“ (Beitragsüberschrift) ist redaktionell formuliert.

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[1] Der Gerichtshof oder das Gericht haben bislang acht Fälle anerkannt, in denen die Kommission die Möglichkeit hat, sich auf eine allgemeine Vermutung zu berufen, um den Zugang zu Dokumenten ohne individuelle und konkrete Prüfung zu verweigern. Es handelt sich dabei um Dokumente betreffend 1. Beihilfekontrollverfahren, 2. Fusionskontrollverfahren, 3. die vorprozessuale Phase von Vertragsverletzungsverfahren, 4. Kartellverfahren, 5. „EU-Pilot“-Verfahren, 6. von den Organen im Rahmen von Gerichtsverfahren eingereichte Schriftsätze, 7. Angebote von Bietern in Vergabeverfahren und 8. den Austausch zwischen den nationalen Wettbewerbsbehörden und der Kommission.