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Generalbundesanwalt: Stand der Ermittlungen ein Jahr nach der Wiederaufnahme des Verfahrens wegen des Oktoberfestattentats

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Die Bundesanwaltschaft hat Anfang Dezember 2014 die Ermittlungen wegen des Oktoberfestattentats vom 26. September 1980 wieder aufgenommen. Anlass hierfür waren die Angaben einer bis dahin nicht bekannten Zeugin. Bei einer Befragung hatte sie Aussagen getroffen, die auf bislang unbekannte Mitwisser hindeuteten. Mit den kriminalpolizeilichen Ermittlungen hat die Bundesanwaltschaft das Bayerische Landeskriminalamt beauftragt.

Das Bayerische Landeskriminalamt hat unter der Bezeichnung „Soko 26. September“ eine Sonderkommission eingerichtet. Ihr gehören gegenwärtig 21 Ermittler an.

Im Rahmen des wiederaufgenommenen Verfahrens gehen die Bundesanwaltschaft und das Bayerische Landeskriminalamt allen Hinweisen und Ansatzpunkten zur Aufklärung der Hintergründe des Attentats umfassend nach. Ein Jahr nach der Wiederaufnahme stellt sich der Stand der Ermittlungen wie folgt dar:

1. Es werden alle verfügbaren ermittlungsrelevanten Akten des Bundes und der Länder erhoben, digitalisiert und elektronisch ausgewertet, darunter Akten des Bundeskanzleramtes, des Bundesnachrichtendienstes, des Amtes für den Militärischen Abschirmdienst, des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz, des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter, des Bayerischen Landtages, der Bayerischen Staatskanzlei, des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren, für Bau und Verkehr, des Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik sowie des Bundesarchivs und mehrerer Landesarchive. Die Auswahl und Zulieferung der bei den angefragten Behörden des Bundes und der Länder vorhandenen Aktenbestände erfolgt anhand eines spezifischen Kriterienkatalogs, der sich auf mehr als 200 Personen, über 20 Organisationen und mehrere Recherchebegriffe bezieht. Bislang liegen der „Soko 26. September“ über 26.000 Dokumente mit einem Umfang von über 157.000 Seiten vor. Angesichts des Umfangs und der Komplexität der bei den angefragten Behörden zu sichtenden Aktenbestände werden die Erhebung und die Auswertung des Aktenmaterials noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

2. Es sind bislang insgesamt rund 400 Beweisgegenstände erfasst und kriminaltechnisch untersucht worden. Unter anderem wurde – im Ergebnis allerdings ohne Erfolg – versucht, aus den Fingerabdruckblättern zu dem Gundolf Köhler zugeordneten Handfragment DNA-fähiges Material zu extrahieren. Gegenwärtig werden unter anderem bei Zeugen sichergestellte Splitter des Sprengsatzes einer spurentechnischen Untersuchung unterzogen. Zudem wird die Tatortsituation in einem 3D-Modell rekonstruiert. Hierzu wurden der Tatortbereich mit 3D-Lasertechnik vermessen und über 1.700 Lichtbilder von Rettungs- und Hilfsorganisationen sowie Presseorganen beigezogen.

3. Die zur Wiederaufnahme führenden Angaben der bis dahin unbekannten Zeugin haben sich unter anderem nach mehreren Zeugenvernehmungen und einer Wohnungsdurchsuchung im Kern nicht bestätigt. Die Zeugin hatte angegeben, am Tag nach dem Attentat im Schrank eines Bewohners eines Aussiedlerheims in München Flugblätter gesehen zu haben, die Gundolf Köhler als Attentäter auswiesen und damit zu diesem Zeitpunkt noch nicht öffentlich bekannte Tatsachen beinhalteten. Im Zuge der Ermittlungen ließ sich jedoch weder die Beobachtung der Zeugin verifizieren noch der sich von ihr geschilderte zeitliche Zusammenhang zum Oktoberfestattentat herstellen.

Auch die Angaben einer Krankenschwester brachten keine belastbaren Hinweise auf bislang unbekannte Mittäter Gundolf Köhlers. Die Zeugin hatte angegeben, im ehemaligen Oststadtkrankenhaus in Hannover möglicherweise im unmittelbaren zeitlichen Nachgang zum Oktoberfestattentat einen ihr verdächtig erscheinenden Patienten versorgt zu haben, der dort wegen einer Amputation am Unterarm in Behandlung war. Nach mehreren Zeugenvernehmungen und Durchsicht der teilweise noch vorhandenen Unterlagen des Oststadtkrankenhauses ließen sich die Wahrnehmungen der Zeugin jedoch nicht in den von ihr erinnerten zeitlichen Zusammenhang bringen und boten auch keinen Ansatz für eine Identifizierung des Patienten.

Insgesamt sind bisher über 100 Personen vernommen worden. Neben bereits bekannten Tatzeugen sind darunter auch solche, die sich unter anderem im Zuge des Zeugenaufrufs von Bundesanwaltschaft und Bayerischem Landeskriminalamt (vgl. Gemeinsame Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft und des Bayerischen Landeskriminalamtes vom 22. Mai 2015) erstmals gemeldet haben. Ihre Aussagen lassen sich bislang aber nicht zu einem stimmigen Gesamtbild verdichten. Dies gilt insbesondere auch, soweit sich aus ihnen Hinweise auf ein weiteres Handfragment, einen zweiten Sprengsatz oder auf Begleiter Gundolf Köhlers am Tatort ergeben. Eine valide Bewertung wird daher erst im Rahmen einer Gesamtbetrachtung bei Vorliegen noch ausstehender Ermittlungsergebnisse möglich sein.

Wann die wiederaufgenommenen Ermittlungen abgeschlossen sein werden, ist derzeit nicht absehbar. Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt neben der fortlaufenden Abklärung aktueller Hinweise gegenwärtig auf der Auswertung des bei den genannten Bundes- und Landesbehörden erhobenen Aktenmaterials.

Das Ermittlungsverfahren wegen des Oktoberfestattentats war ursprünglich am 23. November 1982 nach zweijähriger Ermittlungsarbeit gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, weil sich der damals gehegte Anfangsverdacht, an dem Attentat seien neben dem bei der Begehung der Tat verstorbenen Studenten Gundolf Köhler weitere Personen beteiligt gewesen, nicht hinreichend erhärten ließ (vgl. Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft vom 7. Dezember 1982). Im Zuge der damaligen Ermittlungen waren über 850 Spuren verfolgt und mehr als 1.700 Zeugen vernommen und darüber hinaus über 100 Sachverständigengutachten erstellt worden. In der Folgezeit hatte die Bundesanwaltschaft wiederholt die förmliche Wiederaufnahme der Ermittlungen geprüft. Dabei war sie zahlreichen neuen Hinweisen nachgegangen, aus denen sich anders als nach der Aussage der Ende 2014 bekannt gewordenen Zeugin jedoch keine konkreten Anhaltspunkte für die Tatbeteiligung noch lebender Personen an dem Anschlag ergaben hatten.

Der Generalbundesanwalt beim BGH, Pressemitteilung v. 11.12.2015