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Rezension: Schmidt-Aßmann, Kohärenz und Konsistenz des Verwaltungsrechtsschutzes

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Rezension_Fotolia_91184109_S_copyright - passvon Prof. Dr. Josef Franz Lindner, Universität Augsburg

Das Verwaltungsprozessrecht gilt manchen als Königsdisziplin des Verwaltungsrechts überhaupt. Denn es erfüllt die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG mit Leben und verhilft den rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Maximen und Bindungen des Verwaltungsrechts zur Wirksamkeit. Mit dem Verwaltungsrechtsschutz ermöglicht es der Staat, die Rechtmäßigkeit seines eigenen Handelns überprüfen zu lassen. Dies ist bereits ein Wert an sich. Das Verwaltungsprozessrecht ist und bleibt der rechtsstaatliche Kern des Verwaltungsrechts insgesamt. Dies wird auch von den Vertretern der sog. „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ nicht geleugnet.

Angesichts der fundamentalen Bedeutung des Verwaltungsrechtsschutzes für Theorie und Praxis des Verwaltungsrechts nimmt es nicht Wunder, dass es ein überbordendes Maß an Literatur zum Verwaltungsprozessrecht gibt. Alle Gattungen sind teilweise in hoher Zahl vertreten, von mehrbändigen Kommentarwerken über schlankere Erläuterungswerke bis hin zu didaktisch orientierten Lehrbüchern. Seltener indes sind grundsätzliche wissenschaftlich-dogmatische Befassungen mit dem Verwaltungsprozessrecht in Gestalt von Monografien. Das hier anzuzeigende Werk von Schmidt-Aßmann macht hier eine Ausnahme. Der Verfasser unternimmt es, zwei Herausforderungen für den Verwaltungsrechtsschutz näher zu beleuchten, nämlich zum einen den Rechtsschutz im komplexen Mehr-Ebenen-System in Europa und zum anderen den Rechtsschutz im Zusammenhang mit den informationellen Vernetzungen der Exekutive. Die beiden Herausforderungen bezeichnet der Autor mit den Begriffen der „Kohärenz“ und der „Konsistenz“. Unter Kohärenz werden das Zusammenwirken und die praktische Abstimmung der Gerichte in der europäischen Mehrebenenrechtsordnung verstanden, wobei Kooperations- und Rücksichtnahmepflichten eine besondere Bedeutung entfalten. Konsistenz hingegen thematisiert das Zusammenwirken der Instrumente des deutschen Rechtsschutzsystems im Hinblick auf die zunehmende informationelle Dimension des exekutivischen Handelns. Beispiele hierfür sind informationsbasierte Konflikte wie z.B. im Zusammenhang mit dem Datenschutz oder dem Informationszugang.

Das erste Kapitel ist den europäischen Rechtsschutzgarantien als „Interpretations- und Wirkungszusammenhang“ gewidmet. Im ersten Abschnitt werden die Rechtsschutzgarantien (Grundgesetzliche Rechtsschutzgarantien, Garantien der EMRK, Rechtsschutzgarantien des Unionsrechts) entfaltet. Der zweite Abschnitt behandelt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Garantiegehalte sowie deren Interpretations- und Wirkungszusammenhang.

Das zweite Kapitel wendet sich dem Aspekt der Kohärenz des Verwaltungsrechtschutzes in der „europäischen Mehrebenenrechtsordnung“ zu. Hier werden zumal Kooperations- und Loyalitätspflichten zwischen deutschen und europäischen Gerichten behandelt, insbesondere das Vorlage- und Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) als „Institut der Kohärenzsicherung“. Dabei wird auch auf das schwierige Problem des Verhältnisses der Vorlageverfahren nach Art. 100 GG und nach Art. 267 AEUV eingegangen. Auch das neue Institut der Vorabbegutachtung nach dem 16. Zusatzprotokoll zur EMRK (noch nicht in Kraft) wird berücksichtigt. Ferner werden besondere Kohärenzprobleme für den Fall eines EMRK-Beitritts der EU angesprochen.

Das dritte Kapitel ist dem Themenbereich der Konsistenz gewidmet („Konsistenter Verwaltungsrechtsschutz und die Herausforderung informationsbasierter Konflikte“). Dabei werden zunächst die Besonderheiten des Faktors „Information“ und die „Aufgaben eines Informationsverwaltungsrechts“ beleuchtet. Zutreffend wird auf das besonders intensive Steuerungs- und Gefährdungspotenzial informationellen Verwaltungshandelns hingewiesen, woraus alleine schon die besondere Bedeutung eines effektiven Rechtsschutzes in diesem Bereich zu fordern ist. Dazu legt Schmidt-Aßmann eine überzeugende Typologie informationsbasierter Konflikte im Verwaltungsrecht vor: (1) Konflikte um administrative Informationserhebungen, (2) Konflikte beim Zugang zu administrativen Informationen, (3) Konflikte bei der administrativen Informationsweitergabe sowie (4) das Problem verdeckter Informationszugriffe mittels technischer Einrichtungen. Jeder Typus wird ausführlich normativ hinterlegt und damit anschaulich gemacht. Abschließend wird es unternommen, „Strukturen und Bauformeln eines Prozessrechts informationsbasierter Konflikte“ im Bezugsrahmen des Verwaltungsprozessrechts zu entwerfen, stets unter Bezugnahme auf die geschilderte Konflikttypologie. Die diesbezüglichen Überlegungen stehen unter dem erkennbaren Bemühen, die Problemlagen im geltenden Verfassungsprozessrecht zu verarbeiten.

Insgesamt handelt es sich um eine gewichtige und für jeden, der an den systematischen Grundlagen des Verwaltungsrechtsschutzes und dessen Herausforderungen interessiert ist, unbedingt lesenswerte Schrift. Schmidt-Aßmann gelingt es, zwei Kardinalherausforderungen für das Verwaltungsprozessrecht (nämlich die Mehrdimensionalisierung der Handlungsebenen und die Diversifizierung exekutivischer Tätigkeit in informationeller Hinsicht) herauszuarbeiten und (verwaltungs)prozessual zu verarbeiten. Ob die Begriffe „Kohärenz“ und „Konsistenz“ für alle damit verbundenen Probleme hinreichend aussagekräftig sind, mag dahinstehen. Jedenfalls erreicht es der Verfasser mit diesen beiden Begriffen, die mit den genannten Herausforderungen verbundenen vielschichtigen verwaltungsprozessualen Probleme zu bündeln und systematisch zu kanalisieren. Der Rezensent hat aus der Lektüre des Werkes hohen Gewinn gezogen.

Eberhard Schmidt-Aßmann, Kohärenz und Konsistenz des Verwaltungsrechtsschutzes – Herausforderungen angesichts vernetzter Verwaltungen und Rechtsordnungen; Mohr Siebeck 2015; XVII, 311 Seiten, Leinen; ISBN 978-3-16-154144-5, 69,00 €

Net-Dokument BayRVR2016021101; Titelfoto: (c) bogdanvija – Fotolia.com

Redaktionelle Anmerkung

Foto: K. Satzinger-VielProf. Dr. Josef Franz Lindner ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Augsburg sowie geschäftsführender Direktor des Instituts für Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht. Der Lehrstuhl widmet sich dem Öffentlichen Recht in der gesamten Breite, den philosophischen Grundlagen des Rechts sowie dem Bio-, Medizin- und Gesundheitsrecht.