Gesetzgebung

EU-Kommission: Kommission geht gegen Diskriminierung von Kraftfahrern aus anderen Mitgliedsstaaten in Deutschland und im Vereinigten Königreich vor

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Die Europäische Kommission leitet heute rechtliche Schritte gegen Straßennutzungsgebühren in Deutschland und im Vereinigten Königreich ein, da diese die Bestimmungen des EU-Binnenmarktes missachten.

Die Europäische Kommission leitet heute rechtliche Schritte gegen Straßennutzungsgebühren in Deutschland und im Vereinigten Königreich ein, da diese die Bestimmungen des EU-Binnenmarktes missachten. Die Kommission befürwortet das „Verursacherprinzip“, wonach Nutzer eine Straßennutzungsgebühr entrichten, die anschliessend in die Verkehrsinfrastruktur fliessen kann. Hierbei sind verschiedene Modelle von Nutzungsgebühren möglich, und die meisten Mitgliedsstaaten haben entsprechende Abgaben eingeführt. Als Hüterin der Verträge ist die Kommission verpflichtet sicherzustellen, dass solche Straßennutzungsgebühren innerhalb der EU nicht zu einer Diskriminierung zwischen einheimischen und Autofahrern aus anderen Mitgliedsstaaten führen. In mehreren Fällen, darunter Belgien, Slowenien, Österreich und Ungarn, half die Kommission Mitgliedsstaaten bei der Ausarbeitung von EU-rechtskonformen Straßennutzungsgebühren. In zwei Fällen muss die Kommission nun jedoch Schritte setzen, um zu verhindern, dass Fahrer wegen ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden.

Im ersten Fall handelt es sich um Deutschland, wo am 8. Juni 2015 ein Gesetz zur Einführung einer Straßennutzungsgebühr für PKW verabschiedet wurde [red. Hinweis: Gesetz Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen]. Gleichzeitig wurde ein Gesetz verabschiedet, das ausschließlich Haltern von in Deutschland zugelassenen PKWs die Befreiung von der Kfz-Steuer in Höhe der Straßennutzungsgebühr garantiert [red. Hinweis: Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz – VerkehrStÄndG 2]. Somit werden in Deutschland zugelassene PKW – und ausschließlich diese – de facto von der Straßennutzungsgebühr ausgenommen.

Die Kommission ist der Auffassung, dass es auf zwei Ebenen zu Diskriminierung kommt: Zum einen werden deutsche Nutzer – und ausschließlich diese – von der Straßennutzungsgebühr befreit, weil ihre Kfz-Steuer genau um den Betrag der Gebühr gesenkt wird. Zum anderen sind die Preise für Kurzzeitvignetten, die typischerweise für ausländische Nutzer vorgesehen sind, überproportional teuer.

Trotz regelmässiger Kontakte mit den deutschen Behörden seit November 2014 und zahlreicher Vorschläge seitens der Kommission, wie die deutsche Nutzungsgebühr EU-rechtskonform gestaltet werden kann, sind die grundlegenden Bedenken der Kommission nicht ausgeräumt worden. Aus diesem Grund leitet die Kommission heute die zweite Stufe des am 18. Juni 2015 eröffneten Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland ein. In ihrer Begründeten Stellungnahme von heute fordert die Europäische Kommission Deutschland auf, die Gesetzgebung innerhalb von zwei Monaten mit dem EU-Recht in Einklang zu bringen. Andernfalls könnte die Kommission entscheiden, den Fall vor den Gerichtshof der Europäischen Union zu bringen.

Im zweiten Fall handelt es sich um die Einführung einer Vignette für Lastkraftwagen im Vereinigten Königreich im April 2014. Nach gründlicher Prüfung legt die Kommission nun ihre Bedenken dar, dass diese Straßennutzungsgebühr Spediteure diskriminiert, die nicht aus dem Vereinigten Königreich stammen. In ihrem Aufforderungsschreiben – der ersten Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens – fordert die Kommission von den britischen Behörden weitere Erklärungen ein. Das Vereinigte Königreich hat nun zwei Monate Zeit, zu den von der Kommission vorgetragenen Argumenten Stellung zu nehmen. Sollte die Kommission die Antworten als unzureichend befinden, wird sie in Erwägung ziehen, mit der Übermittlung einer Begründeten Stellungnahme die zweite Stufe des Verfahrens einzuleiten. 

Hintergrund

Ein Hauptmerkmal nicht-diskriminierender Straßennutzungsgebühren ist, dass alle Nutzer den gleichen Preis für die Nutzung der Strassen entrichten. Die Erhebung von Straßennutzungsgebühren für Personenkraft- und Lastkraftwagen liegt im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedsstaaten. Falls ein Mitgliedsstaat ausländische Nutzer für die Nutzung der Strassen bezahlen lassen will, muss diese Gebühr für alle Nutzer gelten – also sowohl für in- als auch ausländische. Eine Einführung einer Straßennutzungsgebühr ausschliesslich für Ausländer wäre diskriminierend.

Die Entlastung inländischer Nutzer in Form einer 1:1 Absenkung der KfZ-Steuer, so wie es im Falle Deutschlands und des Vereinigten Königreichs bei zeit-basierten Vignetten beabsichtigt ist, führt de facto zu einer Befreiung inländische Nutzer von der Straßennutzungsgebühr. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, eine solche Diskriminierung zu vermeiden:

  1. Mitgliedsstaaten könnten die steuerliche Entlastung inländischer Nutzer im Zusammenhang mit der Einführung einer Straßennutzungsgebühr an andere Kriterien als die Staatsangehörigkeit koppeln – etwa an Umweltbilanzkosten und/oder an Infrastrukturabgaben. Die Anwendung solcher Kriterien wurde die 1:1 Verbindung zwischen der Abgabe und der Entlastung bei der KfZ-Steuer – und somit die Diskriminierung ausländischer Nutzer – vermeiden.
  1. Im Gegensatz zu zeitbasierten stehen entfernungsbasierte Straßennutzungsgebühren im Verhältnis zu den zurückgelegten Kilometern. Die Kommission befürwortet verhältnismässige, entfernungsbasierte Straßennutzungsgebühren, die gemäß des „Verursacherprinzips“ die Nutzungs- und Verschmutzungskosten genauer abbilden. Die Einführung einer entfernungsbasierten Straßennutzungsgebühr schliesst eine unterschiedslose Befreiung aller Nutzer von der KfZ-Steuer aus, weil solche Steuern ja gerade nicht im Verhältnis zur gefahrenen Strecke stehen.

Die Kommission handelt, um Autofahrer in der EU zu schützten

  • 1990 verklagte die Kommission Deutschland vor dem Gerichtshof (Fall C-195/90), als zeitgleich eine LKW-Straßennutzungsgebühr (‚Gesetz über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen‘) und eine Absenkung der KfZ-Steuer eingeführt wurde, was eine Diskriminierung ausländischer Nutzer zur Folge gehabt hätte. Der Gerichtshof entschied, dass dies gegen Artikel 76 des EWG-Vertrags verstiess. Die Straßennutzungsgebühr wurde verworfen.
  • 1996 bestand die Kommission darauf, dass Österreich eine Wochenvignette für PKW einführte, um Touristen und Gelegenheitsnutzer nicht zu diskriminieren, die ansonsten eine 2-Wochen-Vignette oder eine Jahresvignette für den Besuch oder den Transit durch Österreich hätten erwerben müssen.
  • 2008 und 2014 bestand die Kommission gegenüber Slowenien darauf, dass PKW-Kurzzeitvignetten, die in der Regel von ausländischen Autofahrern erworben werden, im Preis verhältnismässig zu den PKW-Langzeitvignetten sind, die in der Regel von inländischen Autofahrern erworben werden. Dadurch bezahlen Ausländer, die lediglich einige Tage in Slowenien verbringen, einen fairen Preis.
  • 2012 gab die Kommission eine Mitteilung (COM(2012) 199 final) „über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge“ heraus. Die Mitteilung enthält Leitlinien zur Einführung von Vignetten ohne diskriminierende Wirkung.
  • 2013 gab die Kommission im Rahmen der Eurovignetten-Richtlinie eine negative Stellungnahme zur LKW- Straßennutzungsgebühr in Ungarn ab. Ungarn kam daraufhin den Bedenken der Kommission nach. Grundsätzlich müssen alle entfernungsbasierten Straßennutzungsgebühren für LKW vor ihrer Anwendung der Kommission mitgeteilt werden, woraufhin die Übereinstimmung mit geltendem EU-Recht erfolgt.
  • 2014 gab die Kommission nach Konsultationen mit den belgischen Behörden eine positive Stellungnahme zur LKW- Straßennutzungsgebühr in Belgien ab. Die neue Regelung ist im April 2016 in Kraft getreten.

Weitere Informationen:

  • Zu den Hauptentscheidungen der Vertragsverletzungsverfahren im März 2016, siehe MEMO/16/1452.
  • Vertragsverletzungsverfahren im Bereich Verkehr.
  • Zu Vertragsverletzungsverfahren allgemein siehe MEMO/12/12.
  • Zu Vertragsverletzungsverfahren.

EU-Kommission, Pressemitteilung v. 28.04.2016

Redaktionelle Hinweise

Zur europarechtlichen Einordnung der deutschen Infrastrukturabgabe siehe:

Zur Entwicklung beim Thema „Maut“ allgemein vgl. hier.