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EuGH: Gerichtshof stellt Ungültigkeit der von der Kommission für den Zeitraum 2013 bis 2020 festgesetzten jährlichen Höchstmenge an kostenlosen Treibhausgasemissionszertifikaten fest

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Die Kommission hat für die Festlegung einer neuen Menge zehn Monate Zeit, wobei die bis dahin erfolgten Zertifikatszuteilungen nicht in Frage gestellt werden können

Im Rahmen des Kyoto-Protokolls sieht eine Richtlinie der Union[1] zum Zwecke des Umweltschutzes eine erhebliche Verringerung der Treibhausgasemissionen[2] vor. Nach der Richtlinie können die Mitgliedstaaten Unternehmen, die Treibhausgase ausstoßen, Emissionsrechte – so genannte Zertifikate – zuteilen[3]. Ein Teil der verfügbaren Zertifikate[4] wird kostenlos zugeteilt. Ist die Menge der von den Mitgliedstaaten vorläufig zugeteilten kostenlosen Zertifikate größer als die von der Kommission festgelegte Höchstmenge an kostenlosen Zertifikaten, kommt ein einheitlicher sektorübergreifender Korrekturfaktor („Korrekturfaktor“) zur Anwendung, um diese Werte einander anzugleichen und die vorläufig zugeteilten Zertifikate zu verringern[5].

Mehrere Unternehmen, die Treibhausgasemissionen erzeugen, haben in Italien, in den Niederlanden und in Österreich gegen die für die Zuteilung der Treibhausgasemissionszertifikate zuständigen nationalen Behörden geklagt. Sie stellen die Gültigkeit der nationalen Zuteilungsentscheidungen für den Zeitraum 2013 bis 2020 und mittelbar die von der Kommission in zwei Beschlüssen von 2011 und 2013[6] festgelegte jährliche Höchstmenge an Zertifikaten (sowie den Korrekturfaktor) in Frage. Die mit den Klagen befassten nationalen Gerichte ersuchen den Gerichtshof um eine Entscheidung über die Gültigkeit der Kommissionsbeschlüsse.

Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass der Beschluss der Kommission von 2011, nach dem bei der Festlegung der jährlichen Höchstmenge an Zertifikaten die Emissionen von Stromerzeugern nicht berücksichtigt werden, gültig ist. Aus der Richtlinie ergibt sich nämlich, dass die Emissionen von Stromerzeugern anders als die Emissionen von Industrieanlagen für die Festlegung der jährlichen Höchstmenge an Zertifikaten nie berücksichtigt werden. Der Kommission steht insoweit kein Ermessen zu. Eine solche asymmetrische Behandlung der Emissionen, mit der die Menge der verfügbaren Zertifikate begrenzt wird, ist mit den Zielen der Richtlinie vereinbar.

Zum Beschluss der Kommission von 2013, in dem diese den Korrekturfaktor festgelegt hat, stellt der Gerichtshof erstens fest, dass der Geltungsbereich der Richtlinie ab dem 1. Januar 2013 dahin erweitert wurde, dass u. a. Emissionen aus der Herstellung von Aluminium und aus bestimmten Sektoren der Chemieindustrie einbezogen wurden. Zweitens muss sich die Kommission, wenn sie die jährliche Höchstmenge an Zertifikaten berechnet, nach dem Wortlaut der Richtlinie und trotz unterschiedlicher Sprachfassungen, die die Einheitlichkeit ihrer Auslegung und Anwendung durch die verschiedenen Mitgliedstaaten beeinträchtigt haben, allein auf die Emissionen von Anlagen beziehen, die ab 2013 in das Gemeinschaftssystem einbezogen werden, und nicht auf alle ab dann einbezogenen Emissionen. Die Kommission hätte somit dafür Sorge tragen müssen, dass die Mitgliedstaaten ihr die Daten übermitteln, auf die es ankommt. Zumindest hätte sie, wenn ihr die Festlegung der jährlichen Höchstmenge an Zertifikaten und damit des Korrekturfaktors anhand dieser Daten nicht möglich gewesen wäre, die Mitgliedstaaten um die notwendigen Korrekturen ersuchen müssen. Die Kommission hat jedoch die Daten einiger Mitgliedstaaten berücksichtigt, die ihr – im Gegensatz zu anderen – die Emissionen aus neuen Tätigkeiten übermittelt hatten, die in Anlagen stattfanden, die bereits vor 2013 in das System für den Handel mit Zertifikaten einbezogen waren. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Beschluss der Kommission ungültig.

Daher könnte die jährliche Höchstmenge an Zertifikaten nach Maßgabe der Daten, die von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der vom Gerichtshof genannten Kriterien übermittelt werden, höher oder niedriger sein als die von der Kommission bisher festgesetzte Menge.

Für die Zeit vor Verkündung des heutigen Urteils gilt, dass sich die Aufhebung des Korrekturfaktors, um schwerwiegende Auswirkungen auf eine Vielzahl gutgläubig begründeter Rechtsverhältnisse zu vermeiden, nicht auf die endgültigen Zuteilungen auswirken wird, die in den Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer für gültig gehaltenen Regelung bereits erfolgt sind.

Für die Zeit nach Verkündung des heutigen Urteils schafft die Feststellung der Ungültigkeit ein vorübergehendes Rechtsvakuum, das die Durchführung des Systems für den Zertifikathandel und damit die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie zu unterbrechen droht. Der Gerichtshof entscheidet daher, dass sein Urteil erst nach Ablauf einer Frist von zehn Monaten ab der Verkündung Wirkungen entfaltet, um der Kommission den Erlass der erforderlichen Maßnahmen zu ermöglichen.

EuGH, Pressemitteilung v. 28.04.2016 zum U. v. 28.04.2016 in den verbundenen Rs. C-191/14 und C-192/14 (Borealis Polyolefine GmbH und OMV Refining & Marketing GmbH/Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft), C-295/14 (DOW Benelux BV u. a./Staatssecretaris van Infrastructuur en Milieu u. a.) sowie C-389/14 und C-391/14 bis C-393/14 (Esso Italiana S.r.l. u. a., Api Raffineria di Ancona SpA, Lucchini in Amministrazione Straordinaria SpA und Dalmine SpA/Comitato nazionale per la gestione della direttiva 2003/87/CE e per il supporto nella gestione delle attività di progetto del protocollo di Kyoto u. a.)

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[1] Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. L 275, S. 32) in der durch die Richtlinie 2009/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 (ABl. L 140, S. 63) geänderten Fassung.

[2] Das hauptsächlich für den Treibhauseffekt auf der Erde verantwortliche Gas ist das Kohlendioxid (CO2).

[3] Ein Zertifikat entspricht der Emission von einer Tonne Kohlendioxidäquivalent in die Atmosphäre.

[4] Die Gesamtmenge der zuzuteilenden Zertifikate wird auf der Grundlage einer Prüfung aller vorherigen Emissionen und seit 2010 mit einer jährlichen Reduzierung von 1,74 % („linearer Faktor“) berechnet.

[5] Es ist möglich, dass die Nachfrage geringer ist als die Höchstmenge. In diesem Fall wird die Differenz versteigert und der Korrekturfaktor nicht angewandt. Die Richtlinie sieht außerdem eine schrittweise Reduzierung der kostenlosen Zertifikate mit dem Ziel vor, die kostenlose Zuteilung bis 2027 zu beenden. Ab dann wird es folglich nur noch Zertifikate geben, die versteigert werden.

[6] Beschluss 2011/278/EU der Kommission vom 27. April 2011 zur Festlegung EU-weiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten gemäß Artikel 10a der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 130, S. 1) und Beschluss 2013/448/EU der Kommission vom 5. September 2013 über nationale Umsetzungsmaßnahmen für die übergangsweise kostenlose Zuteilung von Treibhausgasemissionszertifikaten gemäß Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 240, S. 27).