Aktuelles

EuGH (GA): Versagung des Flüchtlingsstatus wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung

©pixelkorn - stock.adobe.com

Generalanwältin Sharpston hat am heutigen Dienstag, 31. Mai 2016, ihre Schlussanträge in der Rs. C-573/14 (Lounani) zu der Frage vorgelegt, ob einem Drittstaatsangehörigen wegen der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung der Flüchtlingsstatus verwehrt werden darf.

Den Schlussanträgen ist Folgendes zu entnehmen (unter Rn. 1):

In dieser Rechtssache ersucht der Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) um Hinweise zur Auslegung der Klauseln, nach denen ein Mitgliedstaat Personen gemäß der Anerkennungsrichtlinie[1] von der Anerkennung als Flüchtling ausschließen kann. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob und gegebenenfalls inwieweit der Anwendungsbereich der Bestimmungen dieser Richtlinie über den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling durch den Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung bestimmt wird[2]. Setzt in Fällen, in denen der Antragsteller auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus ein führendes Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist, die Anwendung der Gründe für den Ausschluss der Anerkennung als Flüchtling nach der Anerkennungsrichtlinie voraus, dass er wegen einer der in Art. 1 des Rahmenbeschlusses genannten Straftaten verurteilt worden ist? Bedeutet eine Verurteilung wegen Beteiligung an einer terroristischen Organisation, dass die Prüfung seiner Flüchtlingseigenschaft automatisch ausgeschlossen ist? Falls nicht – welche Kriterien müssen die zuständigen nationalen Behörden ihrer Prüfung, ob er von der Anerkennung automatisch auszuschließen ist, zugrunde legen? Bei der Beantwortung dieser Fragen ist zu ermitteln, wo das Gleichgewicht liegt zwischen der Reaktion der Mitgliedstaaten auf terroristische Handlungen und ihrer Verpflichtung, die unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, die die Regeln des internationalen Rechts zum Schutz des Status von Flüchtlingen widerspiegeln.“

Generalanwältin Sharpston schlägt dem Gerichtshof in ihren heutigen Schlussanträgen vor, dem belgischen Staatsrat wie folgt zu antworten (unter Rn. 96):

  • Der Ausschluss eines Asylbewerbers von der Anerkennung als Flüchtling auf der Grundlage, dass er sich im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Handlungen hat zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, setzt nicht die Feststellung voraus, dass der Antragsteller wegen einer terroristischen Straftat im Sinne von Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung verurteilt worden ist.
  • Ist ein Antragsteller auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus von den Gerichten eines Mitgliedstaats wegen der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden und ist diese Verurteilung rechtskräftig geworden, so ist dieser Umstand für die individuelle Prüfung der Frage, ob die Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 anwendbar sind, relevant und sollte erhebliches Gewicht haben. Bei der Prüfung der Tatsachen und Umstände des Falls eines Antragstellers für die Zwecke von Art. 12 Abs. 2 Buchst. c in Verbindung mit Abs. 3 müssen die zuständigen nationalen Behörden außerdem anhand seiner Motive und Absichten in Bezug auf die Aktivitäten der terroristischen Vereinigung, an der er beteiligt ist, untersuchen, ob er persönliche Verantwortung trägt. Die Aktivitäten der Vereinigung müssen eine internationale Dimension haben und von solcher Schwere sein, dass sie Auswirkungen auf den Weltfrieden und die internationale Sicherheit haben. Die Feststellung, dass der Antragsteller ein führendes Mitglied einer solchen Vereinigung war, ist ein relevanter Faktor. Die Anwendung der in Art. 12 Abs. 2 Buchst. c und Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 definierten Ausschlussgründe setzt nicht die Feststellung voraus, dass er selbst zu den in Art. 1 des Rahmenbeschlusses definierten terroristischen Handlungen angestiftet hat oder an ihnen beteiligt war.
  • Die Feststellung, dass ein Antragsteller auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus zu Straftaten oder Handlungen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83 angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat, setzt nicht voraus, dass die terroristische Vereinigung, an der er beteiligt war, eine in Art. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475 aufgeführte Handlung begangen hat oder der Antragsteller einer Handlung für schuldig befunden worden ist, die in Art. 2 dieses Beschlusses genannt sind.
  • Ein Antragsteller auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus kann von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen werden, selbst wenn weder er noch die terroristische Vereinigung, deren Mitglied er ist, eine der in Art. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475 aufgeführten Gewalttaten besonders grausamer Art begangen haben.“

Ass. iur. Klaus Kohnen

Redaktioneller Hinweis: Zur Rechtsentwicklung im Ausländer- und Asylrecht.

————————

[1] Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2004, L 304, S. 12) (im Folgenden: Anerkennungsrichtlinie). Diese Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. 2011, L 337, S. 9) aufgehoben und neu gefasst. Der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften hat sich nicht wesentlich geändert.

[2] Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. 2002, L 164, S. 3) (im Folgenden: Rahmenbeschluss). Dieser Beschluss wurde durch den Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates vom 28. November 2008 (ABl. 2008, L 330, S. 21) geändert. Der Rahmenbeschluss gilt für alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs, das von seinem Recht. nach Art. 10 Abs. 4 des Protokolls Nr. 36 zu den Verträgen Gebrauch gemacht hat, dem Rat mitzuteilen, dass es sich bei diesem Beschluss um einen Rechtsakt handelt, hinsichtlich dessen es die Befugnisse der Organe nicht anerkennt.