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EuGH (GA): Generalanwalt Bobek schlägt einen umfassenderen Zugang zu Dokumenten des Gerichtshofs vor

Die Kommission ist nach der Verordnung Nr. 1049/2001 verpflichtet, Dritten Zugang zu Schriftsätzen zu gewähren, die ein Mitgliedstaat in einer bereits abgeschlossenen Rechtssache eingereicht hatte und von denen sie eine Abschrift besitzt. Allerdings sollte in erster Linie der Gerichtshof als Herr über die Gerichtsakten über den Zugang zu den darin enthaltenen Dokumenten entscheiden

Herr Patrick Breyer beantragte bei der Kommission Zugang zu Schriftsätzen, die Österreich in einem von der Kommission gegen diesen Mitgliedstaat eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung der Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Daten[1] beim Gerichtshof eingereicht hatte. Dieses Verfahren war zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgeschlossen[2]. Die Kommission verweigerte den Zugang zu den Schriftsätzen, von denen sie Abschriften besaß, mit der Begründung, dass es sich um Dokumente des Gerichtshofs handele, die damit nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission fielen[3].

Herr Breyer erhob hiergegen Klage beim Gericht, das den ablehnenden Beschluss der Kommission über den Zugang für nichtig erklärte[4]. Nach Ansicht des Gerichts fallen Schriftsätze eines Mitgliedstaats, von denen die Kommission eine Abschrift besitzt, wie die eigenen Schriftsätze der Kommission[5] in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001.

Die Kommission legte gegen dieses Urteil des Gerichts ein Rechtsmittel beim Gerichtshof ein.

In seinen heute veröffentlichten Schlussanträgen schlägt Generalanwalt Michal Bobek dem Gerichtshof vor, das Urteil des Gerichts zu bestätigen und das Rechtsmittel der Kommission zurückzuweisen. Nach Ansicht von Herrn Bobek verpflichtet die Verordnung die Kommission, einem Dritten Zugang zu den von einem Mitgliedstaat vorgelegten Schriftsätzen, von denen sie eine Abschrift hat, zu gewähren, wenn die betreffende Rechtssache bereits abgeschlossen ist.

Der Generalanwalt sieht allerdings das Bedürfnis nach einer größeren Offenheit des Gerichtshofs und regt an, dass der Gerichtshof seine institutionellen Regelungen für den Zugang zu bestimmten, in den Bereich seiner Rechtsprechungstätigkeit fallenden Dokumenten überdenkt. 

Auch wenn gegenüber dem Gerichtshof kein Recht auf Zugang zu Dokumenten besteht, soweit sie seine Rechtsprechungsaufgaben betreffen, unterliegt der Gerichtshof dem Grundsatz der Offenheit. Ein Mehr an Offenheit würde nicht nur das öffentliche Vertrauen in die Unionsgerichtsbarkeit stärken, sondern auch die Qualität der Rechtsprechung insgesamt verbessern.

Für den Zugang zu Dokumenten des Gerichtshofs nimmt Generalanwalt Bobek eine Unterscheidung zwischen internen mit der Rechtsprechungstätigkeit im Zusammenhang stehenden Dokumenten und externen mit der Rechtsprechungstätigkeit im Zusammenhang stehenden Dokumenten des Gerichtshofs vor.

Interne mit der Rechtsprechungstätigkeit im Zusammenhang stehende Dokumente, wie der Vorbericht[6] des Berichterstatters und Vermerke für die anstehende Beratung[7], müssen aus der Sicht von Herrn Bobek vom Konzept der Offenheit unberührt bleiben und können daher nicht offengelegt werden.

Externe mit der Rechtsprechung im Zusammenhang stehende Dokumente, etwa von den Parteien vorgelegte Schriftsätze, können grundsätzlich zugänglich sein. Generalanwalt Bobek schlägt vor, dass diese Dokumente auf Antrag sowohl in abgeschlossenen als auch, in beschränkterem Umfang, in anhängigen Rechtssachen zugänglich gemacht werden. Über individuelle Anträge auf Zugang hinaus regt Generalanwalt Bobek indes an, Parteischriftsätze und Vorabentscheidungsersuchen routinemäßig auf der Website des Gerichtshofs zu veröffentlichen.

EuGH, Pressemitteilung v. 21.12.2016 zu den Schlussanträgen des Generalanwalts in der Rs. C-213/15 P (Kommission / Patrick Breyer)


[1] Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.03.2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl. 2006, L 105, S. 54).

[2] Urteil des Gerichtshofs vom 29.07.2010, Kommission/Österreich (C-189/09).

[3] Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.05.2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43).

[4] Urteil des Gerichts vom 27.02.2015 Breyer/Kommission (T-188/12), vgl. auch Pressemitteilung Nr. 26/15.

[5] Urteil des Gerichtshofs vom 21.09.2010, Schweden u.a./API und Kommission (verb. Rs. C-514/07 P, C-528/07 P und C-532/07 P).

[6] Dieser Bericht ist an alle Richter und Generalanwälte des Gerichtshofs gerichtet und enthält Vorschläge, welche Kammer in diesem Verfahren entscheiden soll, ob eine mündliche Verhandlung anberaumt werden soll und ob der verantwortliche Generalanwalt Schlussanträge verfassen soll.

[7] Hierbei handelt es sich um schriftliche Vermerke, mit denen die anderen Richter der Kammer den vom Berichterstatter erstellten Urteilsentwurf kommentieren.