Gesetzgebung

BayVerfGH: Volksbegehren „Nein zu CETA!“ nicht zugelassen

Entscheidung des BayVerfGH vom 15.02.2017 über die Vorlage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr, betreffend den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens „Nein zu CETA!“

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung eines Volksbegehrens gegeben sind, mit dem die Bayerische Staatsregierung angewiesen werden soll, im Bundesrat gegen das Zustimmungsgesetz zum Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits zu stimmen. Die Initiatoren des Volksbegehrens stützen sich auf Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV, der mit Wirkung ab 01.01.2014 in die Verfassung eingefügt wurde. Danach kann die Staatsregierung in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben durch Gesetz gebunden werden, wenn das Recht der Gesetzgebung durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union betroffen ist. Für ihr Anliegen haben die Initiatoren des Volksbegehrens 30.002 gültige Unterschriften eingereicht. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr hat die Zulassung des Volksbegehrens abgelehnt und daher die Sache dem BayVerfGH zur Entscheidung gemäß Art. 64 LWG vorgelegt.

II.

1. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr hält das Volksbegehren für nicht zulässig.

Die Voraussetzungen für ein Gesetz zur Bindung der Staatsregierung in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben nach Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV lägen nicht vor, weil ein auf die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union gerichtetes Verfahren der Bundesgesetzgebung weder eingeleitet sei noch absehbar eingeleitet werden solle. Eine Zulassung des Volksbegehrens komme auch deshalb nicht in Betracht, weil mit einer innerstaatlichen Ratifikation von CETA keine Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen würden.

2. Die Beauftragte des Volksbegehrens argumentiert, die Einbringung des Zustimmungsgesetzes zu CETA stehe konkret bevor. Dass nach Auffassung der Bundesregierung durch CETA keine Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen würden, sei irrelevant. Ob die Voraussetzungen des Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV erfüllt seien, sei von den bayerischen Staatsorganen autonom zu entscheiden. Die Anwendung von CETA sei in der vertraglich vereinbarten Konzeption und auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH nicht ohne implizite Kompetenzerweiterungen der Kommission und des Gerichtshofs möglich. Das Abkommen sehe die Einrichtung des Gemischten CETA-Ausschusses sowie von Sonderausschüssen vor, die als Vertragsorgane eigenständige Hoheitsgewalt ausübten. Durch die Übertragung von Hoheitsrechten sei die Landesgesetzgebung betroffen.

III.

Anzeige

Der BayVerfGH hat am 15.02.2017 entschieden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens nicht gegeben sind. Die Entscheidung stützt sich auf folgende Erwägungen:

1. Ob auf der Grundlage des Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV eine landesgesetzliche Weisung gegenüber der Staatsregierung für das Abstimmungsverhalten im Bundesrat mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, erscheint zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Erörterung.

2. Die Weisungsbefugnis des Landesgesetzgebers setzt jedenfalls voraus, dass die Abstimmung im Bundesrat ein Gesetzesvorhaben betrifft, das ausdrücklich auf die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union durch ein Gesetz nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG gerichtet ist. Maßgeblich ist dabei allein, wie die Gesetzgebungsorgane des Bundes das zur Abstimmung gestellte Gesetzesvorhaben bewerten.

3. Im Hinblick auf das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits ist ein Verfahren auf Erlass eines Bundesgesetzes, das nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG der Zustimmung des Bundesrats bedarf, weder eingeleitet noch steht eine solche Einleitung unmittelbar bevor.

Zu der Entscheidung im Einzelnen

Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß Art. 67 BV i.V.m. Art. 64 Abs. 1 Satz 1 LWG über die Zulassung des Volksbegehrens zu entscheiden.

1. Nach Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV kann die Staatsregierung in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben durch Gesetz gebunden werden, wenn das Recht der Gesetzgebung durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union betroffen ist. Mit der Aufnahme dieser Vorschrift sowie weiterer Unterrichtungs- und Beteiligungsrechte des Landtags in die Bayerische Verfassung im Jahr 2013 sollen die Mitwirkungsrechte des bayerischen Landesgesetzgebers in Angelegenheiten der Europäischen Union gestärkt werden. Es soll der Aushöhlung seiner Befugnisse entgegengewirkt werden, die sich daraus ergibt, dass eine unmittelbare Beteiligung der Landesparlamente an der Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Eine Bindung der Staatsregierung nach Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV ist grundsätzlich auch im Wege der Volksgesetzgebung möglich.

Mit der Formulierung „Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union“ knüpft Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV bewusst an die Regelung des Art. 23 GG an, der die spezielle Ermächtigung zur Mitwirkung an der europäischen Integration und zur Entwicklung einer als Staatenbund konzipierten Europäischen Union enthält. Dem Landesgesetzgeber soll dann – und nur dann – eine unmittelbare Beteiligung insbesondere durch gesetzliche Weisung gegenüber der Staatsregierung für die Abstimmung im Bundesrat ermöglicht werden, wenn die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union durch ein Bundesgesetz i.S.d. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG das Gesetzgebungsrecht des Landtags betrifft. Außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG kann auch Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung finden. Insbesondere kann das Weisungsrecht des Landesgesetzgebers nicht auf die Abstimmung über Gesetzesvorhaben ausgedehnt werden, die auf die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen nach Art. 24 Abs. 1 GG gerichtet sind.

2. Ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, die Bindungswirkung des Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV auf das Abstimmungsverhalten der Staatsregierung im Bundesrat zu erstrecken, erscheint zweifelhaft.

Der Bundesrat ist ein Verfassungsorgan des Bundes. Nach Art. 50 ff. GG wirken die Länder durch den Bundesrat bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit. Der Bundesrat besteht aus Mitgliedern der Landesregierungen. Der Verfassungsgeber des Grundgesetzes hat sich damit für die Ausgestaltung des Bundesrats als Kammer der Landesregierungen und gegen ein auf dem Gedanken der Repräsentanz des Landesstaatsvolks beruhendes Senatssystem entschieden. Aus dieser Konzeption hat das Bundesverfassungsgericht in einer 1958 ergangenen Entscheidung gefolgert, dass das Landesparlament oder das Landesvolk zu einem Hineinwirken in die Entscheidungen des Bundesrats nicht befugt sei; eine Instruktion der Mitglieder der Landesregierung im Bundesrat durch das Landesvolk sei nach der Struktur des Bundesrats ausgeschlossen. Einer abschließenden Klärung dieser Frage bedarf es im vorliegenden Verfahren jedoch nicht.

3. Das mit dem Volksbegehren angestrebte Gesetz zur Bindung der Staatsregierung bei der Abstimmung über das Zustimmungsgesetz zu CETA im Bundesrat kann schon deshalb nicht auf Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV gestützt werden, weil ein auf die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union gerichtetes Verfahren auf Erlass eines Bundesgesetzes, das nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG der Zustimmung des Bundesrats bedarf, weder eingeleitet ist noch eine solche Einleitung unmittelbar bevorsteht.

Maßgeblich ist dabei allein, wie die Gesetzgebungsorgane des Bundes das zur Abstimmung gestellte Gesetzesvorhaben bewerten. Führen sie kein Gesetzgebungsverfahren nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG durch, ist auch kein Raum für eine Bindung der Staatsregierung durch Landesgesetz. Etwaige Meinungsverschiedenheiten über das Erfordernis eines Gesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG sind gegebenenfalls vom BVerfG zu entscheiden. Eine Kompetenz des bayerischen Gesetzgebers oder des Verfassungsgerichtshofs zur Beurteilung dieser Frage ist nicht eröffnet.

Nach den Ausführungen des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr wurde der Ratifikationsprozess in den Mitgliedstaaten bislang nicht in Gang gesetzt. Dies soll erst geschehen, wenn das Europäische Parlament, das sich heute in einer Plenarberatung ebenfalls mit dem Abkommen befasst, zugestimmt hat. Die Bundesregierung beabsichtigt, zu gegebener Zeit einen Entwurf zu einem Zustimmungsgesetz nach dem für völkerrechtliche Verträge geltenden Art. 59 GG einzubringen. Noch nicht festgelegt hat sich die Bundesregierung, ob das Gesetzgebungsverfahren noch in der laufenden Wahlperiode durchgeführt werden soll.

Gegenwärtig ist daher kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die Bundesregierung oder der Bundestag das Vorhaben als Gesetz i.S.v. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG einstufen wird. Das Volksbegehren kann daher unabhängig davon, ob demnächst eine Einbringung des Vertragsgesetzes zu erwarten ist, nicht zugelassen werden.

BayVerfGH, Pressemitteilung v. 15.02.2017 zur Entsch. v. 15.02.2017 – Vf. 60-IX-16 

Redaktionelle Hinweise

  • Meldungen und Stellungnahmen im Kontext des Urteils: hier.

Der BayVerfGH hat folgende Leitsätze formuliert:

  1. Zur Auslegung des Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV, wonach die Staatsregierung in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben durch Gesetz gebunden werden kann, wenn das Recht der Gesetzgebung durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union betroffen ist.
  1. Ob auf der Grundlage des Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV eine landesgesetzliche Weisung gegenüber der Staatsregierung für das Abstimmungsverhalten im Bundesrat mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, erscheint zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Erörterung.
  1. Die Weisungsbefugnis des Landesgesetzgebers setzt jedenfalls voraus, dass die Abstimmung im Bundesrat ein Gesetzesvorhaben betrifft, das ausdrücklich auf die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union durch ein Gesetz nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG gerichtet ist. Maßgeblich ist dabei allein, wie die Gesetzgebungsorgane des Bundes das zur Abstimmung gestellte Gesetzesvorhaben bewerten.
  1. Im Hinblick auf das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits ist ein Verfahren auf Erlass eines Bundesgesetzes, das nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG der Zustimmung des Bundesrats bedarf, weder eingeleitet noch steht eine solche Einleitung unmittelbar bevor.