Aktuelles

EuGH (GA): Einzelstaatliches Verbot von gentechnisch verändertem Mais

Nach Ansicht von Generalanwalt Bobek dürfen die Mitgliedstaaten nur dann Sofortmaßnahmen in Bezug auf genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel treffen, wenn sie neben der Dringlichkeit ein offensichtliches und ernstes Risiko für die Gesundheit und die Umwelt nachweisen können.

Die Europäische Kommission ließ 1998[1] das Inverkehrbringen von genetisch verändertem MON 810-Mais zu. In ihrer Entscheidung bezog sie sich auf eine Stellungnahme des Wissenschaftlichen Ausschusses „Pflanzen“, wonach es keinen Grund zu der Annahme gebe, dass dieses Erzeugnis eine Gefahr für Mensch oder Umwelt darstelle.

Im Jahr 2013 ersuchte die italienische Regierung die Kommission, den Anbau von genetisch verändertem MON 810-Mais durch Sofortmaßnahmen zu verbieten. Sie begründete dies mit neuen wissenschaftlichen Studien zweier italienischer Forschungseinrichtungen. Die Kommission kam auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Gutachtens der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu dem Ergebnis, dass es keine neuen wissenschaftlichen Beweise gebe, die die erbetenen Sofortmaßnahmen rechtfertigten und ihre früheren Feststellungen zur Sicherheit von MON 801-Mais in Frage stellten. Dennoch erließ die italienische Regierung 2013 ein Dekret zum Verbot des Anbaus von MON 810-Mais in Italien.

Im Jahr 2014 bauten Herr Giorgio Fidenato und andere unter Verstoß gegen dieses Dekret MON 801-Mais an.

Daraufhin wurde ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet, in dessen Rahmen das Tribunale di Udine (Bezirksgericht, Italien) den Gerichtshof insbesondere gefragt hat, ob auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips Sofortmaßnahmen zulässig sind.

In seinen Schlussanträgen vom heutigen Tag schlägt Generalanwalt Michal Bobek dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass die Mitgliedstaaten nur dann Sofortmaßnahmen in Bezug auf genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel erlassen dürfen, wenn sie neben der Dringlichkeit eine Situation nachweisen können, in der wahrscheinlich ein offensichtliches und ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt besteht. Dies ist nach Art. 34 der Unionsverordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel[2] erforderlich.

Nach Auffassung des Generalanwalts ist Art. 34 eine konkrete Ausprägung des Vorsorgeprinzips im spezifischen Kontext genetisch veränderter Lebens- und Futtermittel in dringlichen Fällen.

Das Vorsorgeprinzip des Lebensmittelrechts[3] erlaubt den Mitgliedstaaten, Sofortmaßnahmen zu treffen, um Risiken für die menschliche Gesundheit zu vermeiden, die auf Grund wissenschaftlicher Unsicherheiten noch nicht vollständig erkannt oder nachvollzogen worden sind.

Dieser allgemeine Grundsatz ändert nach Ansicht des Generalanwalts jedoch aus mehreren Gründen nichts an den eindeutigen Voraussetzungen des spezielleren Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003. Erstens verlangt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit, der insbesondere bei Verhängung strafrechtlicher Sanktionen durch die Mitgliedsaaten von Bedeutung ist, dass die staatlichen Stellen ausschließlich in den gesetzlich festgelegten Grenzen handeln. Zweitens muss eine Verordnung in allen Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt und angewandt werden. Drittens betreffen das Vorsorgeprinzip und Art. 34 verschiedene Bereiche, da Art. 34 anders als das Vorsorgeprinzip konkret für genetisch veränderte Erzeugnisse gilt, die vor ihrem Inverkehrbringen bereits einer umfassenden wissenschaftlichen Bewertung unterzogen wurden.

Der Generalanwalt ergänzt, dass sich an dieser Feststellung nichts dadurch geändert hat, dass 2015 eine Richtlinie[4] den Rechtsrahmen für genetisch veränderte Organismen in der Union erheblich geändert hat und dass die Kommission 2016[5] auf der Grundlage dieser Richtlinie MON 810-Mais in 19 Mitgliedstaaten, darunter Italien, untersagt hat. Die Richtlinie sei nach dem italienischen Dekret in Kraft getreten und betreffe andere Gründe.

EuGH, Pressemitteilung v. 30.03.2017 zu den Schlussanträgen des Generalanwalts in der Rechtssache C-111/16 (Giorgio Fidenato u.a.)


[1] Entscheidung der Kommission vom 22.04.1998 über das Inverkehrbringen von genetisch verändertem Mais (Zea mays L., Linie MON 810) gem. der Richtlinie 90/220/EWG des Rates (ABl. 1998, L 131, S. 32).

[2] Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.09.2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel (ABl. 2003, L 268, S. 1). Nach Art. 34 können die Mitgliedstaaten Sofortmaßnahmen erlassen, wenn davon auszugehen ist, dass zugelassene genetisch veränderte Erzeugnisse wahrscheinlich ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt darstellen.

[3] Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. 2002, L 31, S. 1). Nach Art. 7 („Vorsorgeprinzip“) können die Mitgliedstaaten In bestimmten Fällen, in denen die Möglichkeit gesundheits-schädlicher Auswirkungen festgestellt wird, wissenschaftlich aber noch Unsicherheit besteht, Sofortmaßnahmen treffen.

[4] Richtlinie (EU) 2015/412 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.03.2015 zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG zu der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit, den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen (ABl. 2015, L 68, S. 1).

[5] Durchführungsbeschluss (EU) 2016/321 der Kommission vom 03.03.2016 zur Anpassung des geografischen Geltungsbereichs der Zulassung zum Anbau von genetisch verändertem Mais (Zea mays L.) der Sorte MON 810 (MON-ØØ81Ø-6) (ABl. 2016, L 60, S. 90).