Gesetzgebung

EuGH: Das Freihandelsabkommen mit Singapur kann in seiner derzeitigen Form nicht von der Europäischen Union allein geschlossen werden

Die Bestimmungen des Abkommens zu anderen ausländischen Investitionen als Direktinvestitionen und zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten fallen nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union, so dass das Abkommen in unveränderter Form nicht ohne die Mitwirkung der Mitgliedstaaten geschlossen werden kann

Am 20.09.2013 paraphierten die Europäische Union und Singapur den Text eines Freihandelsabkommens. Es handelt sich um eines der ersten bilateralen Freihandelsabkommen der sogenannten „neuen Generation“, nämlich um ein Handelsabkommen, das zusätzlich zu den traditionellen Bestimmungen über den Abbau von Zöllen und nichttarifären Hemmnissen für den Handel mit Waren und Dienstleistungen Bestimmungen in verschiedenen Bereichen enthält, die mit dem Handel im Zusammenhang stehen, wie z. B. im Bereich des Schutzes des geistigen Eigentums, der Investitionen, der öffentlichen Beschaffung, des Wettbewerbs und der nachhaltigen Entwicklung.

Die Kommission hat den Gerichtshof um ein Gutachten ersucht, um zu klären, ob die Union über eine ausschließliche Zuständigkeit für die alleinige Unterzeichnung und den alleinigen Abschluss des geplanten Abkommens verfügt. Nach Ansicht der Kommission und des Parlaments ist das der Fall. Der Rat und die Regierungen aller Mitgliedstaaten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben[1], sind der Auffassung, dass die Union das Abkommen nicht allein schließen könne, da einige Teile des Abkommens in die zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit oder sogar in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fielen.

In seinem heutigen Gutachten stellt der Gerichtshof zunächst klar, dass sich das Gutachten nur auf die Frage bezieht, ob die Union über eine ausschließliche Zuständigkeit verfügt, und nicht auf die Vereinbarkeit des Inhalts des Abkommens mit dem Unionsrecht. Sodann stellt er fest, dass das Freihandelsabkommen mit Singapur in seiner derzeitigen Form nicht von der Union allein geschlossen werden kann, da einige der geplanten Bestimmungen in die zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit fallen. Daher kann das Freihandelsabkommen mit Singapur in unveränderter Form nur von der Union und den Mitgliedstaaten gemeinsam geschlossen werden.

Im Einzelnen erklärt der Gerichtshof, dass die Union über eine ausschließliche Zuständigkeit für die Teile des Abkommens verfügt, in denen es um folgende Bereiche geht:

  • den Zugang zum Markt der Union und zum singapurischen Markt für Waren und Dienstleistungen (einschließlich aller Verkehrsdienstleistungen[2]), im Bereich der öffentlichen Beschaffung und im Sektor der Energieerzeugung aus nachhaltigen nichtfossilen Quellen;
  • die Bestimmungen im Bereich des Schutzes ausländischer Direktinvestitionen singapurischer Staatsangehöriger in der Union (und umgekehrt);
  • die Bestimmungen im Bereich der Rechte des geistigen Eigentums;
  • die Bestimmungen über die Bekämpfung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen und die Regelung von Zusammenschlüssen, Monopolen und Subventionen;
  • die Bestimmungen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung (der Gerichtshof stellt fest, dass das Ziel der nachhaltigen Entwicklung nunmehr fester Bestandteil der gemeinsamen Handelspolitik der Union ist und das geplante Abkommen die Liberalisierung der Handelsbeziehungen zwischen der Union und Singapur davon abhängig machen soll, dass die Vertragsparteien ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen in den Bereichen sozialer Schutz von Arbeitnehmern und Umweltschutz erfüllen);
  • die Regeln für den Informationsaustausch und die Pflichten zur Notifikation, Überprüfung, Zusammenarbeit, Mediation, Transparenz und Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien, außer wenn sich diese Regeln auf andere ausländische Investitionen als Direktinvestitionen beziehen (siehe unten).

Letztlich ist die Union nur für zwei Teile des Abkommens nicht ausschließlich zuständig, nämlich für den Bereich der anderen ausländischen Investitionen als Direktinvestitionen („Portfolioinvestitionen“, die getätigt werden, ohne dass eine Einflussnahme auf die Verwaltung und Kontrolle eines Unternehmens beabsichtigt ist) und für die Regelung der Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten.

Für eine ausschließliche Zuständigkeit der Union im Bereich der anderen ausländischen Investitionen als Direktinvestitionen wäre erforderlich gewesen, dass der Abschluss des Abkommens Handlungen der Union beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte. Da dies nicht der Fall ist, kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Union nicht über eine ausschließliche Zuständigkeit verfügt, sondern über eine mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit. Diese Schlussfolgerung erstreckt sich auch auf die Regeln für den Informationsaustausch und die Pflichten zur Notifikation, Überprüfung, Zusammenarbeit, Mediation, Transparenz und Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien im Zusammenhang mit anderen ausländischen Investitionen als Direktinvestitionen (siehe oben).

Auch die Regelung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten fällt in die zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit. Eine solche Regelung, die Streitigkeiten der gerichtlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten entzieht, kann nämlich nicht ohne deren Einverständnis eingeführt werden.

Somit kann das Freihandelsabkommen in der derzeitigen Form nur von der Union und den Mitgliedstaaten gemeinsam geschlossen werden.

EuGH, Pressemitteilung v. 16.05.2017 zum Gutachten v. 16.05.2017 – Gutachten 2/15


[1] Alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Belgien, Kroatien, Estland und Schweden haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Belgien hat aber an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und mündliche Erklärungen abgegeben.

[2] Sowohl für den Seeverkehr als auch für den Eisenbahnverkehr und den Straßenverkehr stellt der Gerichtshof fest, dass die im geplanten Abkommen enthaltenen Verpflichtungen in diesem Bereich die Regeln der Union beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnten, so dass die Union gemäß Art. 3 Abs. 2 AEUV für die Genehmigung solcher Verpflichtungen ausschließlich zuständig ist.