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EuGH: Drittstaatsangehöriger mit kombinierter Arbeitserlaubnis grundsätzlich zum Sozialleistungsbezug berechtigt

Ein Drittstaatsangehöriger, der Inhaber einer kombinierten Arbeitserlaubnis in einem Mitgliedstaat ist, hat im Allgemeinen Anspruch auf die für die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats vorgesehenen Leistungen der sozialen Sicherheit

Frau Kerly Del Rosario Martinez Silva, die Staatsangehörige eines Nicht-EU-Landes ist, lebt mit ihren drei minderjährigen Kindern in Italien. Sie ist im Besitz einer kombinierten Arbeitserlaubnis für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten. 2014 beantragte sie beim INPS (Nationales Institut für soziale Sicherheit) die Gewährung einer Beihilfe, die das italienische Gesetz zu Gunsten von Haushalten mit mindestens drei minderjährigen Kindern und einem Einkommen unterhalb einer bestimmten Grenze (im Jahr 2014: € 25.384,91) vorsieht. Ihr Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass das italienische Gesetz bei Drittstaatsangehörigen diese Beihilfe nicht für Inhaber einer kombinierten Arbeitserlaubnis, sondern nur für politische Flüchtlinge, Personen, denen subsidiärer Schutz gewährt worden sei, oder für Inhaber einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung vorsehe. Diese Voraussetzungen erfüllt Frau Martinez Silva nicht.

Das Tribunale di Genova (Gericht Genua, Italien), das in erster Instanz von Frau Martinez Silva angerufen wurde, wies ihre Klage ab. Die Corte d’appello di Genova (Berufungsgericht Genua, Italien), bei der die Berufung anhängig ist, hat Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften mit dem Unionsrecht und hat den Gerichtshof daher um Auslegung der Richtlinie über eine kombinierte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für Drittstaatsangehörige gebeten[1].

Mit seinem Urteil vom heutigen Tag stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass die Beihilfe, die Gegenstand der Klage von Frau Martinez Silva ist, eine Leistung der sozialen Sicherheit ist, die unter Familienleistungen nach der Verordnung der Union zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit fällt[2].

Der Gerichtshof prüft anschließend, ob ein Mitgliedstaat wie Italien Drittstaatsangehörigen, die Inhaber einer kombinierten Arbeitserlaubnis sind, den Genuss einer solchen Leistung vorenthalten darf. In diesem Zusammenhang führt der Gerichtshof aus, dass sich aus der Richtlinie ergibt, dass Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat zu Arbeitszwecken nach Unionsrecht oder einzelstaatlichem Recht zugelassen wurden, insbesondere ein Recht auf Gleichbehandlung haben. Das ist bei einem Drittstaatsangehörigen, der Inhaber einer kombinierten Arbeitserlaubnis ist, der Fall, da diese Erlaubnis es ihm gestattet, sich rechtmäßig im Gebiet des Mitgliedstaats, der sie erteilt hat, zu Arbeitszwecken aufzuhalten.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass das Recht auf Gleichbehandlung die allgemeine Regel bildet und die Richtlinie die Ausnahmen[3] von diesem Recht aufführt, die die Mitgliedstaaten vorsehen können. Die Vorschriften der italienischen Regelung können jedoch nicht als eine Durchführung dieser Ausnahmen angesehen werden.

Daraus folgt, dass die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach ein Drittstaatsangehöriger, der Inhaber einer kombinierten Arbeitserlaubnis ist, keine Leistung der sozialen Sicherheit wie die von Frau Del Rosario Martinez Silva beantragte Familienbeihilfe erhalten kann.

EuGH, Pressemitteilung v. 21.06.2017 zum Urt. v. 21.06.2017 – Rs. C-449/16 (Kerly Del Rosario Martinez Silva / Istituto nazionale della previdenza sociale [INPS] und Comune di Genova)


[1] Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (ABl. 2011, L 343, S. 1).

[2] Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, und Berichtigung ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 (ABl. 2009, L 284, S. 43) geänderten Fassung.

[3] Es handelt sich um Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung, deren Einführung die Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2011/98 beschließen können; diese Ausnahmen betreffen u.a. Familienleistungen für: 1. Drittstaatsangehörige, denen die Erlaubnis erteilt wurde, für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu arbeiten, 2. Drittstaatsangehörige, die zu Studienzwecken zugelassen wurden, 3. Drittstaatsangehörige, die auf Grund eines Visums die Erlaubnis haben zu arbeiten.