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BayVGH zum Anspruch auf Betriebserlaubnis für eine Jugendhilfeeinrichtung – Kein Raum für Steuerungserwägungen der Genehmigungsbehörde

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern zu BayVGH, Beschl. v. 24.07.2017 – 12 CE 17.704 / Weitere Schlagworte: erlaubnispflichtige Einrichtung; Sicherstellung des Kindeswohls; wirtschaftlicher Betrieb der Einrichtung; Trennung von Betriebserlaubniserteilung und Entgeltvereinbarung / Landesrechtliche Normen: PfleWoqG

von Oberlandesanwältin Martina Mühlich, Landesanwaltschaft Bayern

Leitsätze des BayVGH:

  1. Der Betrieb einer Einrichtung ist auch dann nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII genehmigungspflichtig, wenn Kinder oder Jugendliche in der Einrichtung lediglich Unterkunft erhalten, ihre volljährigen Eltern aber im Rahmen einer Jugendhilfemaßnahme betreut werden. Auch in diesem Fall besteht eine heimspezifische Gefährdungssituation, der der präventive Erlaubnisvorbehalt des § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII begegnen will.
  1. Der Gegenstand einer Betriebserlaubnis nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII richtet sich ausschließlich nach der vom Träger festgelegten Ausgestaltung der Einrichtung, die sich aus der von der Genehmigungsbehörde nach § 45 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII vorgelegten Konzeption ergibt. Weicht die Betriebserlaubnis hiervon nicht nur unwesentlich ab, so liegt eine Entscheidung über ein aliud vor.
  1. Alleiniger Prüfungsmaßstab für die Erteilung einer Betriebserlaubnis nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist die Gewährleistung des Wohls der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung. Stellt die Konzeption des Einrichtungsträgers dies sicher, besitzt er einen gebundenen Rechtsanspruch auf Erteilung der Betriebserlaubnis (wie BayVGH, Beschl. v. 19.08.2016 – 12 CE 16.1172 – juris).
  1. Die Frage, ob eine Einrichtung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von ihren wirtschaftlichen Voraussetzungen her das Wohl der Kinder und Jugendlichen gewährleistet, bestimmt sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Einrichtungsträgers. Demgegenüber besitzt die Wirtschaftlichkeit des Einrichtungsbetriebs ausschließlich beim – von der Erteilung einer Betriebserlaubnis völlig getrennt zu betrachtenden – Abschluss von Leistungsvereinbarungen nach §§ 78a ff. SGB VIII Relevanz.
  1. Für Steuerungserwägungen der Genehmigungsbehörde bietet das Verfahren der Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII keinen Raum. Es darf nicht dazu genutzt werden, einem Einrichtungsträger eigene Vorstellungen von der Konzeption einer Jugendhilfeeinrichtung zu oktroyieren (wie BayVGH, Beschl. v. 02.02.2017 – 12 CE 17.71 – juris).
  1. Die Erteilung einer Betriebserlaubnis für eine Einrichtung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist deshalb weder von einer vorherigen Bedarfsprüfung noch von einer Abstimmung mit dem örtlich zuständigen Jugenhilfeträger abhängig. Ebenso wenig bedarf sie der Zustimmung des öffentlichen Jugendhilfeträgers.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Der Antragssteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb einer Einrichtung für Schwangere und junge Mütter und deren Kinder nach § 45 SGB VIII.  Das VG hat den Antrag abgewiesen. Auf die Beschwerde des Antragstellers hob der BayVGH den Beschluss des VG auf und verpflichtete die Beklagte, dem Antragsteller bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig die Erlaubnis zum Betrieb der beantragten heilpädagogischen und therapeutischen Wohngruppen für Schwangere und junge Mütter sowie deren Kinder zu erteilen.

Nach § 45 Abs. 2 SGB VIII besteht ein gebundener Rechtsanspruch auf Erteilung der Erlaubnis zum Betrieb einer Einrichtung i.S.v. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, wenn das Wohl der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung gewährleistet ist, wovon in der Regel auszugehen ist, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB VIII erfüllt sind. Der BayVGH stellt zunächst klar, dass Prüfungsmaßstab hierbei ausschließlich die vom Antragsteller vorgelegte Konzeption seiner Einrichtung ist. Der Einrichtungsträger kann sich insoweit auf seine durch Art. 12 GG garantierte „Organisationshoheit“ berufen.

Nach Auffassung des BayVGH bezieht sich die Erlaubnispflicht nach § 45 SGB VIII auch auf die von der Einrichtung angebotene Aufnahme volljähriger Mütter. Der Senat begründet dies damit, dass das für volljährige Mütter geltende Heimrecht diesbezüglich keine Erlaubnispflicht vorsehe, die bezogen auf die streitbefangene Einrichtung des Antragstellers möglicherweise vorgehen könnte.

Der BayVGH betont, dass die Eröffnung und der Betrieb einer Einrichtung i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII keinerlei Bedarfsprüfung unterliegen. Ob und welche Einrichtung ein freier Träger betreiben möchte, liegt in seiner (wirtschaftlichen) Entscheidungsfreiheit (Art. 12, Art. 2 Abs. 1 GG).

Weiterhin weist der Senat darauf hin, dass die Erteilung einer Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII weder von einer Zustimmung des öffentlichen Jugendhilfeträgers, noch von einer vorherigen Abstimmung mit diesem abhängig ist. Das Verfahren zur Erteilung einer Betriebserlaubnis ist völlig getrennt von dem Verfahren zum Abschluss von Leistungsvereinbarungen nach §§ 78a ff. SGB VIII zu beurteilen.

Zu § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII, wonach die dem Zweck und der Konzeption der Einrichtung entsprechenden wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, führt der BayVGH aus, dass dieser Prüfungsaspekt allein die wirtschaftliche Situation des Einrichtungsträgers, nicht hingegen die Wirtschaftlichkeit des Betriebs der Einrichtung nach den konzeptionellen Vorgaben des Trägers in den Blick nehme. Auch hier sei wiederum eine strikte Trennung von den Voraussetzungen im Verfahren zum Abschluss von Leistungsvereinbarungen vorzunehmen, für das § 78c Abs. 1 Satz 3 SGB VIII das Erfordernis der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung statuiert.

Net-Dokument: BayRVR2017091501 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

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Anmerkung der Redaktion

Oberlandesanwältin Martina Mühlich ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig u.a. für das Sozialrecht, das Naturschutz- und Wasserrecht, das Kommunalabgabenrecht und das Personenordnungsrecht zuständig.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen zum 15. eines jeden Monats (ggfls. am darauf folgenden Werktag) eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor: Beiträge der LAB.

Zur Rechtsentwicklung im Sozial-, Jugendschutz- und Kindergartenrecht vgl. hier.