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BVerfG: PKH für Aufstockungsklagen – Flüchtlingseigenschaft unverfolgt ausgereister, im Ausland um Asyl nachsuchender Syrer als ungeklärte Rechtsfrage

Mit jüngst veröffentlichtem Beschluss v. 18.09.2017 (2 BvR 451/17, 2 BvR 520/17, 2 BvR 613/17, 2 BvR 614/17, 2 BvR 665/17) hat das BVerfG mehreren Verfassungsbeschwerden stattgegeben, die die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) in asylrechtlichen Verfahren betrafen. Die Beschwerdeführer, denen subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, klagten auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Für die sog. Aufstockungsklage begehrten sie PKH.

Die PKH-Anträge wurden vom VG abgelehnt, weil die Klagen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hätten. In der neueren Rechtsprechung (OVG NRW, Beschl. v. 06.10.2016 – 14 A 1852/16.A; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 23.11.2016 – 3 LB 17/16; BayVGH, Urt. v. 12.12.2016 – 21 B 16.30338; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 – 1 A 10922/16; OVG Saarland, Urt. v. 02.02.2017 – 2 A 515/16 ) sei hinreichend geklärt, dass unverfolgt ausgereisten Syrern nicht allein auf Grund der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland und des längeren Auslandsaufenthaltes politische Verfolgung drohe. Die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Befragung der Beschwerdeführer hinsichtlich ihrer oppositionellen Haltung knüpfe nicht an asylerhebliche Merkmale an.

Das BVerfG hat den hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerden stattgegeben, weil dies unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgleichheit (Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz sowohl von bemittelten als auch unbemittelten Personen) geboten sei (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG).

Die Prüfung der Erfolgsaussicht im PKH-Verfahren solle nämlich nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Ein Fachgericht, das § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin auslege, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren „durchentschieden“ werden könnten, verkenne die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit.

Die Frage der Flüchtlingseigenschaft unverfolgt ausgereister, im Ausland um Asyl nachsuchender Syrer, sei zum Zeitpunkt der ablehnenden PKH-Beschlüsse des VG infolge des Beschlusses des BVerfG vom 14.11.2016 (2 BvR 31/14) als ungeklärte Rechtsfrage anzusehen gewesen. Erst nach Erlass der angegriffenen Beschlüsse habe das OVG NRW durch Urteil vom 21.02.2017 (14 A 2316/16.A) die streitgegenständliche Frage für die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in NRW einer Klärung zugeführt.

Genauer hat das BVerfG hierzu ausgeführt (Rn. 12):

„Das VG hat in den PKH-Verfahren über eine schwierige Tatsachenfrage entschieden, die jedenfalls durch das übergeordnete OVG NRW nicht geklärt war. Zwar hatte das OVG NRW bis zum 14.11.2016 in ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 05.01.2012 – 14 A 2484/11.A; vom 09.12.2013 – 14 A 2663/13.A; vom 13.02.2014 – 14 A 198/14.A; vom 05.09.2016 – 14 A 1802/16.A; vom 06.10.2016 – 14 A 1852/16.A) entschieden, dass unverfolgt ausgereisten Syrern nicht allein auf Grund der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland und des längeren Auslandsaufenthaltes politische Verfolgung drohe und damit die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorlägen. Mit Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14.11.2016 – 2 BvR 31/14 – hat das BVerfG jedoch die Frage, ob auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des OVG NRW allen potentiell nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerbern Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz zu gewähren ist, als bundesrechtliche Rechtsfrage gewertet, die nicht im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des OVG NRW geklärt sei. Der VGH Baden-Württemberg (Beschl. v. 19.06.2013 – A 11 S 927/13, juris, Rn. 4) ist auf der Grundlage der auch vom OVG NRW angenommenen Tatsachenfeststellung zu einer anderen rechtlichen Beurteilung gelangt. Er hat angenommen, dass aus Syrien illegal ausgereisten Flüchtlingen, die im Ausland einen Asylantrag gestellt und sich dort nicht nur kurzfristig aufgehalten haben, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Der Beschluss des BVerfG vom 14.11.2016 hatte zur Folge, dass die streitgegenständliche Frage in der obergerichtlichen Rechtsprechung Nordrhein-Westfalens ab diesem Zeitpunkt erneut ungeklärt war. Das VG konnte auch nicht die übrige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Beantwortung der sich in den Prozesskostenhilfeverfahren stellenden Frage heranziehen. Auch dort ist nicht geklärt, ob unverfolgt ausgereisten Syrern wegen ihrer illegalen Ausreise, Asylantragstellung im Ausland und ihres längeren Auslandsaufenthalts die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Einige OVG, auf deren Auffassung sich das VG Minden stützt, lehnen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 23.11.2016 – 3 LB 17/16; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 – 1 A 10922/16; BayVGH, Urt. v. 12.12.2016 – 21 ZB 16.30338; OVG Saarland, Urt. v. 02.02.2017 – 2 A 515/16). Andere OVG sprechen die Flüchtlingseigenschaft zu (vgl. VGH Hessen, Beschl. v. 27.01.2014 – 3 A 917/13.Z.A.; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.10.2013 – A 11 S 2046/13). Die erstinstanzliche Entscheidungspraxis zu dieser Frage ist sehr uneinheitlich. Erst nach Erlass der angegriffenen Beschlüsse hat das OVG NRW durch Urteil vom 21.02.2017 – 14 A 2316/16.A – die streitgegenständliche Frage unter Annahme veränderter tatsächlicher Feststellungen für die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in Nordrhein-Westfalen einer Klärung zugeführt. Da die streitgegenständliche Frage mangels zur Verfügung stehender Auslegungshilfen zuvor ungeklärt war, stellte die Versagung von PKH die Unbemittelten gegenüber den Bemittelten deutlich schlechter und nahm ihnen die Chance, ihren Rechtsstandpunkt in der mündlichen Verhandlung und in der zweiten Instanz weiter zu vertreten.“

Sonstiges:

Zur rechtsentwicklung im Ausländer- und Asylrecht vgl. hier.

(koh)