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EuGH (GA): Eine Person, die in der Vergangenheit in ihrem Herkunftsland gefoltert wurde, hat nicht schon deshalb einen Anspruch auf subsidiären Schutz, weil es in diesem Land keine angemessene psychologische Betreuung gibt

Es steht jedoch im Ermessen des Mitgliedstaats, den Aufenthalt einer solchen Person aus humanitären Erwägungen zuzulassen

Eine Richtlinie der Union[1] legt Mindestnormen für den „subsidiären Schutz“ fest, um den durch die Genfer Flüchtlingskonvention verbürgten internationalen Schutz zu ergänzen. Subsidiärer Schutz wird jedem gewährt, der nicht als Flüchtling anerkannt wird, dem aber in seinem Herkunftsland ernsthafte Gefahren wie die Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen. Solchen Personen wird eine befristete Aufenthaltserlaubnis ausgestellt. Drittstaatsangehörigen, die keinen Anspruch auf subsidiären Schutz haben, kann ein Mitgliedstaat den Verbleib in seinem Hoheitsgebiet aus familiären oder humanitären Ermessensgründen gestatten, wobei diese Personen nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen.

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MP, ein sri-lankischer Staatsangehöriger, reiste im Januar 2005 als Student in das Vereinigte Königreich ein. 2009 stellte er einen Asylantrag (hilfsweise einen Antrag auf subsidiären Schutz). In diesem Antrag machte er geltend, dass er der Organisation „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ (Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE) angehört habe, von den sri-lankischen Sicherheitskräften inhaftiert und gefoltert worden sei und bei einer Rückkehr nach Sri Lanka Gefahr laufe, erneut misshandelt zu werden. Die britischen Behörden lehnten den Antrag von MP ab, da nicht nachgewiesen sei, dass ihm bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland erneut Gefahr drohe.

MP focht diese Entscheidung vor dem Upper Tribunal (Obergericht, Vereinigtes Königreich) an und legte ärztliche Zeugnisse vor, die bescheinigten, dass er Narben aufwies, die auf die in Sri Lanka erlittene Folter zurückzuführen waren, und an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Depression litt. Das Upper Tribunal wies die Klage von MP teilweise zurück, weil nicht nachgewiesen sei, dass MP in seinem Herkunftsland erneut Gefahr drohe. Es gab seiner Klage jedoch insoweit statt, als sie auf die Bestimmungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gestützt war, da MP keine angemessene Behandlung seiner Erkrankungen erhalten könne, wenn er in sein Herkunftsland zurückgeschickt würde.

Der mit dem Rechtsmittel befasste Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) möchte vom Gerichtshof wissen, ob ein Drittstaatsangehöriger, der an den Folgen von in seinem Herkunftsland verübter Folter leidet, bei einer Rückkehr dort aber keine solchen Misshandlungen mehr zu befürchten hat, deshalb Anspruch auf subsidiären Schutz hat, weil das Gesundheitssystem dieses Landes keine angemessene Behandlung seiner psychischen Erkrankungen bieten kann.

In seinen Schlussanträgen vom heutigen Tag stellt Generalanwalt Yves Bot erstens fest, dass nach dem Wortlaut der Richtlinie subsidiärer Schutz nur gewährt werden kann, wenn die Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht, der durch Folter oder unmenschliche Behandlung, der ein Antragsteller im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsland in der Zukunft ausgesetzt wäre, hervorgerufen wird.

Diese Auslegung bedeutet, dass MP im vorliegenden Fall keinen Anspruch auf subsidiären Schutz hat, da feststeht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Sri Lanka keine Folter mehr droht, auch wenn er wegen der Unzulänglichkeiten des sri-lankischen Gesundheitssystems wahrscheinlich nicht die für die Bewältigung seiner posttraumatischen Belastungsstörung erforderliche Behandlung erhalten kann und die Gefahr besteht, dass er Selbstmord begeht, wenn er in sein Herkunftsland zurückgeschickt wird.

Der Generalanwalt weist ferner darauf hin, dass eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes die direkte oder indirekte, aber stets bewusste Verantwortung der Behörden des Herkunftslands bei der Zufügung des ernsthaften Schadens ist. In einer Situation wie der hier vorliegenden reicht die Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustands des Antragstellers, die allein darauf beruht, dass in seinem Herkunftsland keine angemessene Behandlung möglich ist (ohne dass ihm die Versorgung absichtlich verweigert würde), nicht aus, um die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus zu rechtfertigen, auch wenn die Erkrankung des Antragstellers auf Folter zurückzuführen ist, die er in der Vergangenheit in seinem Herkunftsland erlitten hat.

Zweitens führt der Generalanwalt aus, dass, wenn der Gerichtshof die Bestimmungen der Richtlinie in Verbindung mit der EMRK auslegt, eine solche Auslegung die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, Personen vom Anwendungsbereich des subsidiären Schutzes auszunehmen, die an den Folgen von in der Vergangenheit erlittener Folter leiden, bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland aber nicht mehr Gefahr laufen, solchen Misshandlungen ausgesetzt zu sein.

Nach Ansicht des Generalanwalts kann die Auslegung der Richtlinie anhand der EMRK die Zuerkennung subsidiären Schutzes nur in absoluten Ausnahmefällen erlauben. Ein solcher Fall scheint bei MP jedoch nicht vorzuliegen, was der Supreme Court allerdings zu überprüfen hat.

Der Generalanwalt weist darauf hin, dass eine Auslegung der Richtlinie i.V.m. den Bestimmungen der EMRK, die jedem, der in der Vergangenheit Misshandlungen erlitten hat, ein Recht auf subsidiären Schutz gewähren würde, die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des subsidiären Schutzes erheblich ausweiten würde. Eine solche Auslegung ginge weit über das hinaus, was der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinie erreichen wollte.

EuGH, Pressemitteilung v. 24.10.2017 zu den Schlussanträgen des Generalanwalts in der Rs. C-353/16 (MP / Secretary of State for the Home Department)

  • Red. Hinweis: Zur Rechtsentwicklung im Ausländer- und Asylrecht vgl. hier.

[1] Richtlinie 2004/83/EG des Rates v. 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2004, L 304, S. 12).