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BayVGH zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit sog. „Reichsbürger“ per se

Bemerkung der Landesanwaltschaft zu BayVGH, Beschl. v. 12.12.2017 – 21 CS 17.1332 – und vom 19.12.2017 – 21 CS 17.2029 / Weitere Schlagworte: Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnisse; Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises; „RuStAG 1913“, „Königreich Bayern“

von Oberlandesanwältin Sigrid Kaiser, Landesanwaltschaft Bayern

Orientierungssätze der Landesanwaltschaft Bayern:

  1. Personen, die der sog. Reichsbürgerbewegung zugehörig sind oder sich deren Ideologie zu eigen gemacht haben, sind waffenrechtlich unzuverlässig.
  2. Mit der Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Berufung auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz nach dem Stand von 1913 und der Angabe „Königreich Bayern“ als weitere Staatsangehörigkeit gibt jemand zu erkennen, dass er der Ideologie der sog. Reichsbürger nahesteht. Wer dieser Ideologie folgend die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung nicht als für sich verbindlich anerkennt, lässt befürchten, dass er die Regelungen des Waffenrechts z.B. hinsichtlich der Pflicht zur sicheren Aufbewahrung nicht konsequent befolgen könnte.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

1. a) Mit zwei Entscheidungen in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes befasste sich der 21. Senat des BayVGH im Dezember 2017 mit der „Reichsbürger“-Thematik unter dem Aspekt des Waffen- und Sprengstoffrechts. Im Laufe des Jahres 2017 war in der erstinstanzlichen Rechtsprechung insoweit ein differenzierendes Vorgehen festzustellen. Es gab sowohl Entscheidungen, die bei Anzeichen für eine Zugehörigkeit oder Nähe eines Inhabers waffenrechtlicher Erlaubnisse zur „Reichsbürgerbewegung“ bereits die Erfolgsaussichten einer Klage gegen deren Widerruf für gering erachteten, als auch Entscheidungen, die die Erfolgsaussichten einer Klage für offen hielten, jedoch dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung waffenrechtlicher Maßnahmen Vorrang einräumten, und Entscheidungen, die allein ein Verhalten wie die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises in für „Reichsbürger“ typischer Weise nicht für ausreichend ansahen, um als Anknüpfungstatsache für die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit zu gelten. Zu der letzteren Gruppe gehörten die erstinstanzlichen Entscheidungen in den nun vom BayVGH (anders) beurteilten Fällen.

b) Der 21. Senat stellt nach Beschwerden des Freistaats Bayern klar, dass die Erfolgsaussichten der Klagen offen seien, eine Interessenabwägung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes jedoch zu Lasten der Antragsteller gehe. Der Senat zieht die Verfassungsschutzberichte 2016 des Bundes und Bayerns mit der darin gegebenen Beschreibung und Einordnung von „Reichsbürgern“ heran. Die „Reichsbürgerbewegung“ werde danach als sicherheitsgefährdende Bestrebung eingestuft. Ihre Ideologie sei geeignet, Personen in ein verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden und das Grundlage für Radikalisierungen sein könne. Wer der Ideologie der „Reichsbürgerbewegung“ folgend Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland in Abrede stelle und die auf dem Grundgesetz beruhende Rechtsordnung nicht anerkenne, gebe Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes oder des Sprengstoffgesetzes nicht strikt befolgen werde. Das gelte für waffenrechtliche Pflichten wie die Pflicht zur sicheren Aufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition und die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff auf Waffen und Munition haben. Eine hinreichende Anknüpfungstatsache nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG mit der Folge der Unzuverlässigkeit liege in der Zuordenbarkeit zur „Reichsbürgerbewegung“ also vor.

c) Diese Zuordenbarkeit ergibt sich nach Ansicht des Senats etwa aus dem Beantragen eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Berufung auf das „RuStAG Stand 1913“, der Behauptung der Staatsangehörigkeit „Königreich Bayern“ und bestimmten Maßgaben für die Eintragung in das Register der Entscheidungen in Staatsangehörigkeitsangelegenheiten. Die Antragsteller hätten damit eindeutig nach außen gegenüber einer Behörde zu erkennen gegeben, ideologische, für „Reichsbürger“ typische Ziele zu verfolgen. „Reichsbürger“ seien überzeugt, aus der Bundesrepublik Deutschland austreten zu können. Erster Schritt dafür sei der Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises, mit dem man sich die Sicherung vermeintlicher Rechte bei einem Untergang dieses Systems erhoffe.

d) Allerdings bedarf der Sachverhalt nach Ansicht des Senats weiterer Aufklärung. Das VG werde im Hauptsacheverfahren zu klären haben, inwieweit Einlassungen der Antragsteller, mit denen sie sich von der „Reichsbürgerbewegung“ distanzieren, im Einzelnen glaubhaft und geeignet sind, sie als jemand erscheinen zu lassen, die die Ideologie der „Reichsbürger“ nicht für verbindlich halten. Der Senat erwartet dazu insbesondere die Einsichtnahme in die Behördenakte zum beantragten Staatsangehörigkeitsausweis. Er verweist abschließend auf § 45 Abs. 5 WaffG und § 34 Abs. 5 SprengG, wonach die sofortige Vollziehbarkeit des Widerrufs waffen- und sprengstoffrechtlicher Erlaubnisse wegen fehlender Zuverlässigkeit gesetzlich bestimmt und eine Abweichung davon die Ausnahme ist.

2. a) In Hauptsacheverfahren mit dem Thema der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit von „Reichsbürgern“ sind bislang vorwiegend außerbayerische Entscheidungen erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte bekannt, z.B. das von mutmaßlichen „Reichsbürgern“ regelmäßig zitierte Urteil des VG Gera vom 16.09.2015 – 2 K 525/14 Ge – oder das zu einem gegenteiligen Ergebnis kommende Urteil des VG Cottbus vom 20.09.2016 – VG 3 K 305/16.

b) In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sind an obergerichtlichen Entscheidungen neben zwei weiteren des BayVGH (Beschl. v. 05.10.2017 – 21 CS 17.1300; Beschl. v. 17.10.2017 – 21 CS 17.1224) die Beschlüsse des NdsOVG vom 18.07.2017 – 11 ME 181/17 – und vom 01.12.2017 – 11 ME 424/17 (noch nicht veröffentlicht) und des VGH Baden-Württemberg vom 10.10.2017 – 1 S 1470/17 – zu nennen.

Net-Dokument: BayRVR2018021501 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

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Anmerkung der Redaktion

Oberlandesanwältin Sigrid Kaiser ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig u.a. für das Jagd- und Waffenrecht, Heilberufs- und Krankenhausrecht sowie das Abfallrecht zuständig.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen zum 15. eines jeden Monats (ggfls. am darauf folgenden Werktag) eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor: Beiträge der LAB

Meldungen im Kontext „Waffenrecht“: vgl. hier.