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BayVerfGH: Geschlechterparitätische Wahlvorschläge – Popularklage abgewiesen

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Gegenstand des Popularklageverfahrens sind einzelne Regelungen aus dem Wahlvorschlagsrecht der Parteien und Wählergruppen bei den Landtags-, Bezirkstags-, Gemeinde- und Landkreiswahlen.[1] Die Antragstellerinnen und Antragsteller beantragen, wegen der fehlenden geschlechterparitätischen Ausgestaltung dieser Bestimmungen deren Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit festzustellen sowie den Gesetzgeber zu verpflichten, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen und paritätische Wahlvorschlagsregelungen zu erlassen.

Die 153 Antragstellerinnen und Antragsteller, darunter Vereine und Verbände, argumentieren, dass Frauen nicht ihrem Anteil an der Bevölkerung entsprechend im Landtag und in den Kommunalparlamenten repräsentiert seien; vielmehr ergebe sich aus den statistischen Daten auch heute noch eine überproportionale Vertretung durch Männer. Dem müsse dadurch entgegengewirkt werden, dass Frauen bei der Aufstellung der Wahlvorschläge paritätisch im Sinn von gleichmäßig bzw. gleichberechtigt berücksichtigt würden. Die geltenden, nicht paritätisch ausgestalteten Regelungen zum Wahlvorschlagsrecht im Landeswahlgesetz, im Bezirkswahlgesetz sowie im Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz seien in mehrfacher Hinsicht mit der Bayerischen Verfassung (BV) unvereinbar. Verstoßen werde u.a. gegen das Grundrecht von Kandidatinnen auf Chancengleichheit bei der Aufstellung von Wahlvorschlägen durch die Parteien und Wählergemeinschaften sowie gegen das Volksstaatsprinzip und das Grundrecht der Staatsbürgerinnen auf gleichberechtigte demokratische Teilhabe und effektive Einflussnahme auf die Staatsorgane in Bayern. Ferner wird ein pflichtwidriges gesetzgeberisches Unterlassen gerügt, da aus der Pflicht zur Förderung und Durchsetzung der Gleichberechtigung in Art. 118 Abs. 2 Satz 2 BV ein bindender Verfassungsauftrag an den Landesgesetzgeber zur paritätischen Ausgestaltung des gesetzlichen Wahlvorschlagsrechts der Parteien und Wählergruppen folge.

Der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung sind der Auffassung, die angegriffenen gesetzlichen Bestimmungen über die Aufstellung der Wahlvorschläge seien verfassungskonform. Da die Möglichkeit, sich zu bewerben und aufgestellt zu werden, ohne Differenzierung bei den formalen Anforderungen geschlechterunabhängig gewährt werde, würden weder die Wahlrechtsgleichheit noch die Wahlvorschlagsfreiheit verletzt. Niemand werde wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt. Dass es der Gesetzgeber den Parteien und Wählergruppen überlasse, welche Personen aufgestellt werden, um möglichst erfolgreich an der Wahl teilzunehmen und die politisch verfolgten Ziele umsetzen zu können, sei Ausfluss einer freiheitlichen Demokratie. Inhaltliche Vorgaben verböten sich insoweit. Es gebe auch keine verfassungsrechtliche Pflicht, für die Aufstellung von Wahlbewerbern Paritätsregelungen einzuführen. Allein die Unterrepräsentanz von Frauen könne etwa eine verpflichtende Platzierung nicht rechtfertigen, da dies eine im Hinblick auf die Wahlgleichheit nicht zulässige Verbesserung ihrer Chancen darstellen würde.

Der BayVerfGH hat die Anträge am 26.03.2018 abgewiesen. Die Entscheidung stützt sich auf folgende Erwägungen:

1. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Aufstellung der Wahlkreislisten durch die jeweiligen Wahlvorschlagsträger für die Wahlen zum Landtag (Art. 29 Abs. 3 und 5 LWG) und zu den Bezirkstagen (Art. 4 Abs. 1 Nr. 4 BezWG i.V.m. Art. 29 Abs. 3 und 5 LWG) sowie über die Aufstellung der sich bewerbenden Personen für die Wahl der Gemeinderatsmitglieder und der Kreisräte (Art. 29 GLKrWG) sind dadurch geprägt, dass sie sowohl im Allgemeinen als auch geschlechtsspezifisch neutral gehalten sind. Durch diese rechtlich-formale Betrachtungsweise werden verfassungsmäßige Rechte weder der Kandidatinnen noch der Wählerinnen verletzt.

2. Aus der Bayerischen Verfassung ergibt sich keine Pflicht des Gesetzgebers, die bisher geltenden wahlrechtlichen Bestimmungen um paritätische Vorgaben zu ergänzen, die darauf gerichtet sind, dass Parteien und Wählergruppen aus ihren Reihen in gleicher Anzahl Frauen und Männer als Kandidatinnen und Kandidaten auf ihren Wahlvorschlägen benennen und diese gleichermaßen auf „aussichtsreiche“ Listenplätze setzen müssen.

a) Ein Anspruch auf geschlechterproportionale Besetzung des Landtags oder kommunaler Vertretungskörperschaften und entsprechend von Kandidatenlisten lässt sich dem Demokratieprinzip (Art. 2, 4 und 5 BV) nicht entnehmen; das Parlament muss kein möglichst genaues Spiegelbild der Bevölkerung darstellen.

b) Art. 118 Abs. 2 Satz 2 BV räumt dem Gesetzgeber hinsichtlich des Förderauftrags zur Herstellung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern einen weiten Gestaltungsspielraum ein. Bei der Ausgestaltung des Wahlvorschlagsrechts spricht neben dem Grundsatz der Wahlgleichheit und dem grundsätzlichen Verbot geschlechtsspezifischer Differenzierung insbesondere die Programm-, Organisations- und Wahlvorschlagsfreiheit der Parteien gegen verpflichtende paritätische Vorgaben.

3. Soweit die Antragstellerinnen und Antragsteller das Fehlen geschlechterparitätischer Vorgaben im Hinblick auf das Wahlvorschlagsrecht für Direktmandate (Stimmkreisbewerber) bei Landtags- und Bezirkswahlen (Art. 28 Abs. 4 LWG und Art. 4 Abs. 1 Nr. 4 BezWG i.V.m. Art. 28 Abs. 4 LWG) und für die Wahl der ersten Bürgermeister und Landräte (Art. 45 GLKrWG) rügen, ist die Popularklage bereits unzulässig. Denn es mangelt an einer Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern sich derartige Regelungen mit dem bestehenden, in seinen wesentlichen Grundzügen durch die Verfassung selbst (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 BV) vorgegebenen Wahlsystem in Einklang bringen ließen.

Zu der Entscheidung im Einzelnen

1. Zur Aufstellung der Wahlkreislisten für die Wahlen zum Landtag und zu den Bezirkstagen sowie zu den Vorschlägen für die Wahl der Gemeinderatsmitglieder und der Kreisräte:

Insoweit ist die Popularklage jedenfalls unbegründet.

a) Die verfassungsmäßigen Rechte von Bewerberinnen oder Wählerinnen sind nicht beeinträchtigt.

aa) Die angegriffenen Bestimmungen beschränken sich auf verfahrensrechtliche Regelungen und enthalten sich jeglicher inhaltlicher oder personaler Vorgaben an die wahlvorschlagsberechtigten Parteien und Wählergruppen sowie an die in den Aufstellungsversammlungen wahlberechtigten Teilnehmer. Damit ist der Wahlgleichheit (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) Genüge getan, auch in Bezug auf das Verhältnis von Frauen gegenüber Männern; die gesetzlichen Regelungen enthalten keine unzulässige einseitige Benachteiligung eines Geschlechts, sondern behandeln alle gleich. Das Fehlen paritätischer Vorgaben in den gerügten Vorschriften dient gerade der Chancengleichheit aller sich um eine Kandidatur Bewerbender, während die Aufnahme von Frauenquoten bzw. eine Paritätsverpflichtung dem Grundsatz widersprechen würde, dass die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts für alle Staatsbürger möglichst in formal gleicher Weise eröffnet sein muss.

bb) Ebenso wenig wird das Grundrecht auf Gleichberechtigung (Art. 118 Abs. 2 Satz 1 BV) verletzt. Eine unmittelbare Diskriminierung von weiblichen gegenüber männlichen Kandidaten besteht nicht. In den betroffenen Vorschriften, die die formale Chancengleichheit aller sich Bewerbender gewährleisten sollen, werden keine Rechtsfolgen daran geknüpft, ob ein potenzieller Kandidat ein Mann oder eine Frau ist. Mit der Popularklage wird vielmehr beanstandet, dass der Gesetzgeber eine faktische Diskriminierung von Frauen durch die Parteien und Wählergruppen, also durch Dritte, zulasse. Diese Zielsetzung ist nicht mehr dem Schutzbereich des aus Art. 118 Abs. 2 Satz 1 BV abzuleitenden rechtlichen Differenzierungsverbots zuzuordnen.

cc) Eine im Vergleich zum Anteil an der Wahlbevölkerung bestehende Unterrepräsentation von Frauen im Landtag und in kommunalen Vertretungskörperschaften führt zu keiner Verletzung des Demokratieprinzips. Aus Art. 2, 4 und 5 BV lässt sich kein Recht einzelner Bevölkerungsgruppen ableiten, entsprechend dem (Wahl-)Bevölkerungsanteil proportional mit Mandatsträgern im Landtag oder in kommunalen Vertretungskörperschaften präsent zu sein. Diese Gremien bestehen aus frei gewählten und mit freiem Mandat ausgestatteten Volksvertretern, die nicht einem Wahlkreis, einer Partei oder einer Bevölkerungsgruppe, sondern dem gesamten Volk verantwortlich sind; sie müssen kein möglichst genaues Spiegelbild der (wahlberechtigten) Bevölkerung darstellen.

b) Aus der Bayerischen Verfassung ergibt sich keine Verpflichtung des Gesetzgebers, die angegriffenen wahlrechtlichen Regelungen um geschlechterparitätische Vorgaben zu ergänzen.

Art. 118 Abs. 2 Satz 2 BV enthält zwar einen ausdrücklichen Verfassungsauftrag zur Herstellung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Diesem Auftrag ist aber in aller Regel und auch vorliegend keine nach Inhalt und Umfang genau umgrenzte Gesetzgebungspflicht zu entnehmen. Der Gesetzgeber hat bei der hier betroffenen Regelungsmaterie verschiedene, teils gegenläufige verfassungsrechtliche Gewährleistungen, insbesondere auch grundrechtlich geschützte Positionen Dritter, zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der nur auf Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grenzen überprüft werden kann und nicht darauf, ob zweckmäßige und rechtspolitisch erwünschte Lösungen gefunden wurden. Die geforderten paritätischen Bestimmungen würden nicht nur mit wahlrechtlichen Grundsätzen und dem Verbot geschlechtsspezifischer Differenzierung gemäß Art. 118 Abs. 2 Satz 1 BV in Konflikt stehen, sondern darüber hinaus einen erheblichen Eingriff in die Programm-, Organisations- und Wahlvorschlagsfreiheit der Parteien und Wählergruppen mit sich bringen. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, sämtliche gegenläufigen Interessen sowie grundlegende wahlrechtlich-demokratische Prinzipien hintanzustellen, um der bestehenden Unterrepräsentanz von Frauen im Landtag und in kommunalen Vertretungsorganen entgegenzuwirken.

2. Zu den Vorschlägen für die Wahl der Stimmkreisbewerber sowie der ersten Bürgermeister und Landräte:

Insoweit ist die Popularklage bereits unzulässig.

Diese Vorschläge betreffen jeweils die Wahl einer einzelnen Person. Das von der Verfassung vorgegebene System der verbesserten Verhältniswahl enthält insofern Elemente der Persönlichkeitswahl. In der Popularklage wird nicht aufgezeigt, wie das Verfahren überhaupt paritätisch ausgestaltet werden könnte. Bei der Aufstellung lediglich einer Bewerberin oder eines Bewerbers können offensichtlich nicht „in gleicher Anzahl Frauen und Männer“ benannt werden; Quotierung setzt immer eine Personenvielzahl voraus, auf deren Zusammensetzung sich die Quotierungsregelung bezieht. Der pauschale Vorschlag, insoweit in Anlehnung an die französische Binomregelung die Parteien und Wählergruppen zu verpflichten, jeweils Kandidatenpaare, bestehend aus Mann und Frau, aufzustellen, die nur gemeinsam gewählt werden können, lässt sich ersichtlich nicht mit dem bestehenden, in seinen wesentlichen Grundzügen durch die Verfassung selbst vorgegebenen System von Einzelkandidaturen in Einklang bringen.

Pressemitteilung des BayVerfGH v. 29.03.2018 zu der Entsch. v. 26.03.2018 – Vf. 15-VII-16


[1] (1.) Der Art. 28 Abs. 4 sowie Art. 29 Abs. 3 und 5 des Gesetzes über Landtagswahl, Volksbegehren, Volksentscheid und Volksbefragung (Landeswahlgesetz – LWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 05.07.2002 (GVBl S. 277, ber. S. 620, BayRS 111-1-I), das zuletzt durch Art. 10a Abs. 1 des Gesetzes vom 23.06.2015 (GVBl S. 178) geändert worden ist, (2.) der Art. 29 und 45 des Gesetzes über die Wahl der Gemeinderäte, der Bürgermeister, der Kreistage und der Landräte (Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz – GLKrWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 07.11.2006 (GVBl S. 834, BayRS 2021-1/2-I), das zuletzt durch Art. 10a Abs. 4 des Gesetzes vom 23.06.2015 (GVBl S. 178) geändert worden ist, (3.) des Art. 4 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über die Wahl der Bezirkstage (Bezirkswahlgesetz – BezWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.02.2003 (GVBl S. 144, BayRS 2021-3-I), das zuletzt durch § 2 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes vom 23.02.2015 (GVBl S. 18) geändert worden ist.