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BayVerfGH: Volksbegehren zur Begrenzung des Flächenverbrauchs nicht zugelassen [„Damit Bayern Heimat bleibt – Betonflut eindämmen“]

I. Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung eines Volksbegehrens zur Einführung einer verbindlichen Höchstgrenze für den Flächenverbrauch in Bayern gegeben sind. Der Gesetzentwurf des Volksbegehrens sieht eine Ergänzung des Bayerischen Landesplanungsgesetzes vor, wonach der Flächenverbrauch ab dem Jahr 2020 auf durchschnittlich 5 Hektar pro Tag begrenzt wird; die Aufteilung der Zielvorgabe auf die verschiedenen Planungsträger soll im Landesentwicklungsprogramm erfolgen. Für ihr Anliegen haben die Initiatoren des Volksbegehrens 48.225 Unterschriften gesammelt. Das Bayerische Staatsministerium des Innern und für Integration hat die Zulassung des Volksbegehrens abgelehnt und daher die Sache dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung gemäß Art. 64 Landeswahlgesetz vorgelegt.

II.

1. Das Bayerische Staatsministerium des Innern und für Integration hält das Volksbegehren für nicht zulässig.

Der Gesetzentwurf des Volksbegehrens schränke die kommunale Planungshoheit ein, ohne für Ausmaß und Tragweite dieser Einschränkung wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen. Für die Aufteilung des zulässigen Flächenverbrauchs kämen verschiedene Kriterien in Betracht, wie etwa die Bevölkerungszahl oder -entwicklung, die Gesamtfläche einer Gemeinde, vorhandene Freiflächen oder der bisherige Flächenverbrauch, wirtschaftliche Faktoren oder aber ein bestehender Flächenbedarf. Die Begründung des Gesetzentwurfs nenne lediglich beispielhaft eine Aufteilung nach der Bevölkerungszahl und nach anderen allgemein anerkannten und statistisch erfassten Daten. Es bleibe aber offen, welche Kriterien heranzuziehen wären, in welchem Verhältnis sie zueinander stünden und mit welchem Gewicht sie jeweils in die Aufteilungsentscheidung eingestellt werden müssten. Ebenso wenig finde sich im Gesetzentwurf eine Aussage dazu, bezogen auf welchen Zeitraum die Zielvorgabe eines durchschnittlichen Flächenverbrauchs pro Tag nicht überschritten werden dürfe sowie ob und in welchem Umfang auf künftige und somit gleichsam „anzusparende“ Flächenkontingente zurückgegriffen werden könne.

2. Der Beauftragte des Volksbegehrens argumentiert, zur Erfüllung der in Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Art. 141 Abs. 1 Bayerische Verfassung normierten Aufträge gehörten ressourcenschonende Maßnahmen auf gesetzlicher Ebene. Dabei habe der (Volks-)Gesetzgeber einen erheblichen politischen Gestaltungsspielraum, der auch Optionen für bisher unbekannte, innovative und auf Effektivität des Naturschutzes zielende Regelungsinhalte und -modalitäten biete. Der Volksgesetzgeber betrete in sachlicher und rechtlicher Hinsicht Neuland, wobei er weder auf praktische Erfahrungen im Freistaat Bayern noch in anderen Ländern oder im Bund zurückgreifen könne. Allerdings existierten durchaus bereits theoretische Überlegungen zur Flächenallokation, zumal in der Modalität eines Zertifikatsystems. Der Gesetzentwurf überantworte die Aufteilung der Zielvorgabe in den Regelungskontext, in den sie als prozesshafte Planungsentscheidung mit wertenden, gewichtenden und abwägenden Elementen sachlich gehöre, nämlich in das Landesentwicklungsprogramm. Die Neuorientierung hin zu einer verbindlichen Flächenverbrauchsbegrenzung sei maßgeblich bei der Interpretation der Reichweite des Bestimmtheitsgrundsatzes zu berücksichtigen.

III.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat am 17. Juli 2018 entschieden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens nicht gegeben sind. Die Entscheidung stützt sich im Wesentlichen auf folgende Erwägung:

Der dem Volksbegehren zugrunde liegende Gesetzentwurf verstößt gegen die verfassungsrechtliche Verpflichtung des (Volks-)Gesetzgebers, die wesentlichen Bestimmungen einer Sachmaterie selbst zu regeln. Denn es fehlen die erforderlichen Vorgaben, nach denen die Staatsregierung als Verordnungsgeber des Landesentwicklungsprogramms die Aufteilung des zulässigen Flächenverbrauchs auf die einzelnen Planungsträger vorzunehmen hätte.

Zu der Entscheidung im Einzelnen

Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß Art. 67 Bayerische Verfassung i. V. m. Art. 64 Abs. 1 Satz 1 Landeswahlgesetz über die Zulassung des Volksbegehrens zu entscheiden.

1. Im Verfahren ist zu klären, ob der Gesetzentwurf des Volksbegehrens mit der Bayerischen Verfassung im Einklang steht. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, darüber zu befinden, ob die Einführung einer Höchstgrenze für den Flächenverbrauch umweltpolitisch zweckmäßig erscheint.

2. Der Gesetzentwurf zur Begrenzung des Flächenverbrauchs in Bayern verstößt gegen das verfassungsrechtliche Gebot, wonach der (Landes-)Gesetzgeber gehalten ist, die wesentlichen Bestimmungen einer Sachmaterie selbst zu regeln.

a) Die Vorgabe einer Flächenverbrauchsgrenze beeinträchtigt die durch das Selbstverwaltungsrecht gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 2 Bayerische Verfassung gewährleistete kommunale Planungshoheit. Denn die Planungsmöglichkeiten der Gemeinden würden ab dem Jahr 2020 eingeschränkt. Der dann noch zulässige tägliche Flächenverbrauch würde sich im Vergleich zum Jahr 2016 in etwa halbieren. Es liegt auf der Hand, dass für eine Reihe von Kommunen beabsichtigte Planungen nicht oder nicht mehr im gewünschten Umfang möglich wären. Diese Beeinträchtigung eines grundrechtsähnlichen Rechts wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass es den Gemeinden unbenommen bleibt, den Innenbereich zu entwickeln, also Flächen (neu) zu überplanen, die bereits für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch genommen wurden und daher keine „Freiflächen“ im Sinn des Gesetzentwurfs darstellen. Denn zur kommunalen Planungshoheit gehört auch die Befugnis, gemeindliche Vorhaben auf Flächen im Außenbereich zu realisieren.

Auch wenn in einer flächenbezogenen Beschränkung der gemeindlichen Planungshoheit nicht zwingend ein von vornherein unzulässiger Eingriff in den Kernbestand des kommunalen Selbstverwaltungsrechts liegt, muss die vom Gesetzgeber getroffene Regelung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Hierzu bedarf es einer Güterabwägung zwischen dem betroffenen Bereich der Selbstverwaltung und den durch dessen Begrenzung zu schützenden Interessen des öffentlichen Wohls.

b) Eine solche Güterabwägung seitens des (Volks-)Gesetzgebers lässt sich dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens jedoch nicht entnehmen. Denn darin fehlen die erforderlichen Kriterien, nach denen die Staatsregierung als Verordnungsgeber des Landesentwicklungsprogramms die Aufteilung der Zielvorgabe auf die einzelnen Planungsträger vorzunehmen hätte.

Nach der Begründung des Gesetzentwurfs soll die Aufteilung auf die kommunalen Planungsträger nach anerkannten und statistisch verfügbaren Kriterien erfolgen, wie etwa der Bevölkerungsstärke der jeweiligen Kommune und gegebenenfalls gestaffelt nach Größenklassen der Kommunen, wobei diese beispielhafte Aufzählung nicht abschließend ist; ferner bleibt unklar, was unter „anerkannten“ Kriterien zu verstehen ist. Weder der Systematik des Gesetzentwurfs noch seiner Begründung sind hinreichende Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, welche konkreten Vorgaben für die Aufteilung maßgeblich sein sollen.

Je nachdem, nach welchen Kriterien die Aufteilung erfolgen würde, könnten sich sehr unterschiedliche Auswirkungen für die einzelnen kommunalen Planungsträger ergeben. Bei dem zugrunde liegenden Maßstab handelt es sich um keine bloße verfahrenstechnische Umsetzung der bereits im Gesetzentwurf vorgegebenen Aufteilung. Es geht vielmehr um eine grundlegende Weichenstellung mit Folgen nicht nur für die kommunale Planungshoheit, sondern auch für konkurrierende, ebenfalls aus der Bayerischen Verfassung abgeleitete Interessen des öffentlichen Wohls, wie etwa den Schutz des Bodens als natürliche Lebensgrundlage, die Förderung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Bayern, die Schaffung von ausreichendem Wohnraum oder die Sicherung von Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher Leistungskraft. Bei der in diesem Zusammenhang erforderlichen Auswahl der maßgeblichen Kriterien sowie der Festlegung von Vorgaben für eine mögliche Gewichtung oder Priorisierung stellen sich Fragen von wesentlicher Bedeutung für die kommunale Planungshoheit und andere verfassungsrechtlich geschützte Werte. Die damit verbundenen normativen Wertungen, die Auswirkungen auf den Flächenverbrauch in ganz Bayern haben und die gesamtstaatliche Verantwortung für die landesweite Raumordnung betreffen, muss der (Volks-)Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums selbst vornehmen. Eine solche gesetzgeberische Entscheidung mag zwar komplexe Überlegungen und Abwägungen erfordern; es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sie von vornherein faktisch unmöglich wäre.

c) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Gesetzentwurf des Volksbegehrens auch deshalb zu beanstanden ist, weil nicht hinreichend deutlich wird, auf welchen Zeitraum sich die Zielvorgabe des zulässigen durchschnittlichen Flächenverbrauchs bezieht und wie mögliche Härtefälle zu behandeln wären. Entsprechendes gilt für die Frage, wie Fachplanungen insbesondere auf bundesrechtlicher Grundlage im Rahmen der geplanten Regelung zu beurteilen wären, d. h. ob und wie die einzelnen Planungsträger an eine zeitraumbezogene Obergrenze des Flächenverbrauchs raumordnungsrechtlich gebunden werden könnten.

d) Kriterien zur Verteilung der Zielvorgabe im Gesetzentwurf sind nicht deshalb entbehrlich, weil das Landesentwicklungsprogramm als Rechtsverordnung der Staatsregierung nur mit Zustimmung des Landtags erlassen werden kann. Dieser Zustimmungsvorbehalt führt nicht dazu, dass der (Volks-) Gesetzgeber von seiner Verantwortung entbunden wäre, das Wesentliche selbst zu regeln. Die Tätigkeit des Landtags ist insoweit Beteiligung an der Rechtsetzung, aber nicht originäre Gesetzgebung.

3. Infolge der dargestellten Regelungsdefizite ist auch zweifelhaft, ob die Stimmberechtigten bei einem Volksentscheid über den Gesetzentwurf überhaupt dessen Auswirkungen überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen könnten. Auf die Frage, ob der Gesetzentwurf den Anforderungen der verfassungsrechtlich geschützten Abstimmungsfreiheit gerecht wird, kommt es jedoch im Ergebnis nicht mehr an.

Pressemitteilung des BayVerfGH v. 17.07.2017 zur Entscheidung v. 17.07.2017 – Vf. 28-IX-18

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