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Offensichtlicher Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis wirkt laut BVerwG auch in einem umgetauschten EU-Führerschein fort

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Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern zu BVerwG, Urt. v. 05.07.2018 – 3 C 9.17 / Schlagworte: Anerkennung von EU-Fahrerlaubnissen; Bindungswirkung; Eignungsprüfung; Führerschein-Tourismus; Inlandsberechtigung; isolierte Sperre; Legitimationspapier; ordentlicher Wohnsitz (verneint); Sperrfrist; Tilgungsfrist; Umtausch

mitgeteilt von Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl, Landesanwaltschaft Bayern

Leitsätze:

  1. Hat ein Mitgliedstaat einen EU-Führerschein unter offensichtlichem Verstoß gegen die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes ausgestellt und tauscht ein anderer Mitgliedstaat diesen Führerschein um, wirkt der Wohnsitzmangel in dem umgetauschten Führerschein fort.
  2. Ein Führerschein, den ein anderer Mitgliedstaat nach Ablauf einer Sperrfrist im Wege des bloßen Umtauschs ausgestellt hat, berechtigt vor deren Tilgung nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Das Urteil des BVerwG betrifft die Reichweite der unionsrechtlich verankerten grundsätzlichen Anerkennungspflicht bei Fahrerlaubnissen, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworben wurden.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens hatte, nachdem ihm seine deutsche Fahrerlaubnis entzogen worden war, eine tschechische Fahrerlaubnis erworben. Weil er jedoch in der Tschechischen Republik nur einen Scheinwohnsitz begründet und tatsächlich nie dort gewohnt hatte, wurde ihm in der Folge die Berechtigung aberkannt, mit seinem tschechischen Führerschein im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge zu führen. Wegen mehrfachen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ordneten die Strafgerichte zudem Sperrfristen für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis an. Nach Ablauf, aber vor Tilgung der Sperrfristen tauschte der Kläger seinen – inlandsungültigen – tschechischen Führerschein schließlich in einen österreichischen um; eine (erneute) Prüfung seiner Fahreignung erfolgte hierbei nicht. Die Klage gegen die behördliche Feststellung, dass der Kläger nicht berechtigt sei, mit seinem österreichischen Führerschein im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge zu führen, hatte im Ergebnis keinen Erfolg.

Das BVerwG hat seine Entscheidung auf zwei selbstständig tragende Begründungen gestützt: Zum einen stehe einer Anerkennung des im Wege des Umtauschs in Österreich erlangten Führerscheins der offensichtliche Wohnsitzmangel der mit ihm dokumentierten tschechischen Fahrerlaubnis entgegen (Rn. 12 ff.). Auch wenn der österreichische Führerschein als solcher nicht unter einem Wohnsitzverstoß leide, dokumentiere er letztlich nur die tschechische Fahrerlaubnis; der ihr zugrunde liegende Wohnsitzverstoß wirke damit fort. Dogmatisch folgert das BVerwG dies aus einer entsprechenden Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV. Soweit die strafgerichtliche Rechtsprechung hier teilweise zu einem anderen Ergebnis komme, sei dies dem strafrechtlichen Analogieverbot geschuldet und daher auf das Gefahrenabwehrrecht nicht übertragbar (Rn. 24).

Die Vereinbarkeit der Nichtanerkennung mit dem Unionsrecht bejaht das BVerwG unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH. Da die Fahreignung beim Umtausch eines Führerscheins nach Unionsrecht nicht zu prüfen sei, könne das Umtauschdokument nicht bessergestellt werden als der zugrundeliegende Originalführerschein (Rn. 26 ff.). Eine Anerkennungspflicht würde vielmehr den Weg zu einem „zweistufigen Führerschein-Tourismus“ bereiten. (Rn. 41).

Als zweiten Begründungsstrang hat das BVerwG eine Anerkennungspflicht auch deshalb abgelehnt, weil vor dem Umtausch des tschechischen in einen österreichischen Führerschein rechtskräftig Sperrfristen für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis angeordnet worden seien. Der (prüfungsfreie) Führerscheinumtausch könne nicht den erforderlichen Nachweis der Fahreignung des Klägers ersetzen (Rn. 46 ff.). Die sich insoweit aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 FeV ergebende Rechtsfolge stehe ebenfalls im Einklang mit den Vorgaben des Unionsrechts (Rn. 52 ff.).

Net-Dokument: BayRVR2018111501 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

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Anmerkung der Redaktion

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen zum 15. eines jeden Monats (ggfls. am darauf folgenden Werktag) eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor: Beiträge der LAB.