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BayVGH zur bau- und denkmalschutzrechtlichen Zulässigkeit eines neuen Wohnhauses in einer als Ensemble geschützten Villenkolonie

Steintafel, Aufschrift "Denkmalschutz", Pfeil nach rechts
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Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern zu BayVGH, Urt. v. 02.08.2018 – 2 B 18.742 / Weitere Schlagworte: Vorbescheid; gewichtige Gründe; Garten; Baulinie / Landesrechtliche Normen: BayBO; BayDSchG

mitgeteilt von Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl, Landesanwaltschaft Bayern

Orientierungssatz der Landesanwaltschaft:

Bei der Beurteilung denkmalfachlicher Fragen kommt der Stellungnahme des Landesamtes für Denkmalpflege als staatlicher Fachbehörde ein erhebliches tatsächliches Gewicht zu, weil Stellungnahmen staatlicher Fachstellen, die sich durch die jahrelange Bearbeitung eines bestimmten Gebiets auszeichnen und nicht nur Aktenvorgänge im Einzelfall auswerten, grundsätzlich ein wesentlich größeres Gewicht als Expertisen von privaten Fachinstituten besitzen.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Der BayVGH hatte sich mit der Frage zu befassen, ob ein zusätzliches Wohnhaus auf einem bebauten Grundstück in einer als Ensemble geschützten Villenkolonie in München-Pasing bauplanungs- und denkmalschutzrechtlich zulässig ist. Die Vorinstanz (VG München, Urt. v. 25.07.2016 – M 8 K 15.2524) hatte die allein auf das Denkmalschutzrecht gestützte Ablehnung des Vorbescheidsantrags nicht für rechtmäßig gehalten; sie hat die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens festgestellt und beanstandet, dass die Beklagte die Vorbescheidsfragen zum Bauplanungsrecht unter Verweis auf eine fehlende denkmalschutzrechtliche Zulässigkeit nicht beantwortet hat. Zudem hätte nach Auffassung des VG die Behörde in ihre nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayDSchG zu treffende Ermessensentscheidung die Frage einbeziehen müssen, ob bei einer Versagung der denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis ein finanzieller Ausgleich oder die Übernahme des Grundstücks anzubieten sei.

Der BayVGH ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Bau eines weiteren Einfamilienhauses auf dem bereits mit einem Wohnhaus aus dem Jahr 1893 bebauten Grundstück nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Ensembles führen würde. Über die Frage, ob bei einer auf eine erhebliche Beeinträchtigung des Ensembles gestützten Versagungsentscheidung auch Ausgleichs- oder Übernahmeansprüche zu prüfen gewesen wären, musste im Urteil daher nicht eingegangen werden.

Diese Frage war aus Sicht der Landesanwaltschaft Bayern, die sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligt hat, jedenfalls zu verneinen: Denkmalschutzrecht kann als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums über § 29 Abs. 2 BauGB baurechtsbeschränkend wirken. Die Zulässigkeit der Verweigerung einer Baugenehmigung allein aus denkmalrechtlichen Gründen ist daher grundsätzlich anerkannt (hierzu BVerwG, Beschl. v. 10.06.2013 – 4 B 6.13, Rn. 11; vgl. auch Urt. v. 22.07.2004 – 7 CN 1.04, Rn. 20 und 21 zu einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet). Ein Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von Art. 4 Abs. 3 Satz 3 BayDSchG setzt voraus, dass ohne Ausgleich die (unveränderte) Erhaltung des Baudenkmals dem Eigentümer nicht mehr zuzumuten ist (BayVGH, Urt. v. 27.09.2007 – 1 B 00.2474). Unzumutbar wäre die Einschränkung der Verwendungsmöglichkeit des Eigentumsobjekts nur dann, wenn hierfür keinerlei sinnvolle Nutzungsmöglichkeit mehr besteht. Dies ist nach der Rechtsprechung des BVerfG der Fall, wenn selbst ein dem Denkmalschutz aufgeschlossener Eigentümer von einem Baudenkmal keinen vernünftigen Gebrauch machen und es auch praktisch nicht veräußern kann; in diesem Fall wird dessen Privatnützigkeit nahezu vollständig beseitigt (BVerfG, Beschl. v. 02.03.1999 – 1 BvL 7/91, Rn. 85, BVerfGE 100, 226/243). Ob diese Situation vorliegt, hat der Eigentümer anhand einer Wirtschaftlichkeitsberechnung nachzuweisen, aus der eine Unzumutbarkeit der unveränderten Erhaltung nur abgeleitet werden kann, wenn die Erträge die Kosten nicht decken und das Objekt dauerhaft aus sonstigem Vermögen subventioniert werden müsste (BayVGH, Urt. v. 12.08.2015 – 1 B 12.79, BayVBl. 2016, 20). Dabei spielen Erwägungen zur Erhaltung des derzeit besonders hohen Verkaufswertes oder zur besseren Verwertungsmöglichkeit des Eigentums keine Rolle, denn Art. 14 GG garantiert weder die rentabelste Nutzungsmöglichkeit noch eine Wertgarantie (BVerfG a.a.O., Rn. 84; BVerfG, Beschl. v. 14.04.2010 – 1 BvR 2140/08, Rn. 19; BVerfG, Beschl. v. 05.02.2002 – 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, Rn. 43). Die Auffassung der Vorinstanz, angesichts „der Entwicklung der Grundstückspreise in den letzten Jahren“ stelle die Nutzung lediglich als Hausgarten einen „tiefgreifenden Eingriff in die verfassungsrechtlich verbürgte Privatnützigkeit“ dar, lässt sich daher mit dem Eigentumsbegriff des Art. 14 Abs. 1 GG nicht in Übereinstimmung bringen. Auch ein Übernahmeanspruch würde ausscheiden: Zum einen wäre bei einer Unzumutbarkeit der Einschränkung von Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks der die weitergehenden Nutzungsmöglichkeiten einschränkende Verwaltungsakt anzufechten; ein „dulde und liquidiere“ ist nicht vorgesehen (Vorrang des Primärrechtsschutzes, BVerfG, Beschl. v. 02.03.1999 – 1 BvL 7/91, Rn. 96). Ausgeschlossen ist ein Übernahmeanspruch jedenfalls, wenn er, wie im BayDSchG, einfachgesetzlich nicht vorgesehen ist, denn er bedürfte einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfG a.a.O., Rn. 93; Martin/Krautzberger, Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, 4. Aufl. 2017, Teil D Rn. 62 ff.).

Im hier entschiedenen Einzelfall hat das Gericht die erhebliche Beeinträchtigung des Ensembles verneint, weil der Charakter des Ensembles als „großer Garten“ durch den Neubau nicht beeinträchtigt werde. Allerdings gebe es in quantitativer Hinsicht Grenzen, denn bei einer ungezügelten Bebauung der bisherigen Freiflächen könnte dieser Eindruck nicht dauerhaft erhalten bleiben (Rn. 45 ff.). Der Senat ist der Einschätzung des Landesamtes für Denkmalpflege insoweit gefolgt, als dies ein Verhältnis von bebauter zu unbebauter Fläche von 1:6 als charakteristisch für die Konzeption der Villenkolonie angesehen hat; dieses Verhältnis werde durch die beabsichtigte Neubebauung eingehalten. Im nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren müsse der Erhalt der denkmalkonstituierenden Strukturelemente sichergestellt werden (Rn. 44 ff.).

Von einer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung ist die Entscheidung, weil der 2. Senat die bisherige Rechtsprechung des BayVGH bestätigt, dass ein Ensemble wie ein Einzeldenkmal zu schützen und daher nicht lediglich in seiner Gestalt, sondern seiner historischen Substanz zu überliefern ist (Rn. 39). „Bausünden“, die diese Überlieferung beeinträchtigen, schmälern nicht den Schutzanspruch (Rn. 36 f.). Bei der Beurteilung der damit zusammenhängenden fachlichen Fragen kommt der Stellungnahme des Landesamts für Denkmalpflege als staatlicher Fachbehörde ein erhebliches tatsächliches Gewicht zu, weil Stellungnahmen staatlicher Fachstellen, die sich durch die jahrelange Bearbeitung eines bestimmten Gebiets auszeichnen und nicht nur Aktenvorgänge im Einzelfall auswerten, grundsätzlich ein wesentlich größeres Gewicht als Expertisen von privaten Fachinstituten haben (Rn. 45). Die vom BayVGH für die Stellungnahmen der Wasserwirtschaftsämter angenommene besondere Bedeutung (vgl. z.B. BayVGH, Beschl. v. 02.05.2011 – 8 ZB 10.2312) hat das Gericht damit auch dem Landesamt für Denkmalpflege zuerkannt.

Net-Dokument: BayRVR2019011501 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

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Anmerkung der Redaktion

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen zum 15. eines jeden Monats (ggfls. am darauf folgenden Werktag) eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor: Beiträge der LAB.